Angetrieben durch Digitalisierung und KI gerät das Arbeitsrecht unter Druck: Es ist nicht mehr so eindeutig, wo Arbeit beginnt, wo sie aufhört, wer sie machen soll und unter welchen Bedingungen. Ein Überblick in fünf Schlaglichtern.
Von Cathren Landsgesell
In der Regel folgt das Arbeitsrecht gesellschaftlichen Veränderungen mit etwas Verzögerung. Doch die gegenwärtigen Umbrüche, so Florian Schrenk, Studienmanager im Weiterbildungsprogramm Arbeits- und Personalrecht an der Universität für Weiterbildung Krems, verändern den Status quo so stark und so schnell, wie seit Jahrzehnten nicht. Für den Arbeitsrechtsexperten Schrenk stellt sich derzeit die Frage, ob das Arbeitsrecht mit den aktuellen Entwicklungen Schritt halten kann: „Die Folgen der Digitalisierung und der Künstlichen Intelligenz für die Arbeit sind so umfassend, dass eine stärkere staatliche Regulation erforderlich scheint“, sagt er. Doch wo soll die Regulierung ansetzen? Fünf Schlaglichter machen die aktuellen Herausforderungen für das Arbeitsrecht ersichtlich.
Transformation
„Veränderung hat es natürlich immer schon gegeben“, sagt Julia Bock-Schappelwein. Die Ökonomin forscht am Wirtschaftsforschungsinstitut in Wien und hat in zahlreichen Studien die Auswirkungen der drei großen Transformationen der Arbeitswelt – die demografische Entwicklung, die Digitalisierung und die Notwendigkeit des ökologischen Umbaus der Wirtschaft, Stichwort Dekarbonisierung, – untersucht. Handlungsbedarf entsteht aus ihrer Sicht bereits, weil die Veränderungen im Unterschied zu früheren Jahrzehnten sehr viel schneller passieren. Ein großer Treiber der Geschwindigkeit sind digitale Technologien, die sich exponentiell schnell entwickeln und die alle Lebensbereiche durchdringen. Bock-Schappelwein nennt ein Beispiel: „Vor wenigen Monaten war es noch weitgehend Konsens, dass der Einsatz digitaler Technologien vor allem niedrig qualifizierte und manuelle Tätigkeiten betreffen wird. Nun müssen wir feststellen, dass KI natürlich auch kreative Tätigkeiten, etwa Grafikdesign, übernehmen kann.“ Bereits bevor generative KI wie ChatGPT, Midjourney & Co. allgemein verfügbar war, hatte die Covid19-Pandemie die Durchsetzung von digitalen Technologien beschleunigt und die Arbeitswelt grundlegend verändert. Bis heute aber habe das Arbeitsrecht noch nicht umfänglich auf diese Veränderungen reagiert, meint Schrenk. Insbesondere bei den Arbeitszeitbestimmungen bei Homeoffice sei das Arbeitsrecht noch lückenhaft.
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„Auch für Qualifizierungsmaßnahmen und Weiterbildungen sollte in Zukunft mehr zeitlicher und finanzieller Raum geschaffen werden.“
Julia Bock-Schappelwein
Absicherung
Mit Pandemie und Homeoffice zog eine neue Arbeitsrealität für White Collar-Beschäftigte ein: Arbeit fand fortan nicht mehr nur im Büro statt, sondern war potenziell überall. Zu definieren, wo oder vielmehr wann die Arbeit beginnt und aufhört, ist aber nach wie vor ein Desiderat des Arbeitsrechts geblieben. Soll es etwa ein Anrecht auf Homeoffice geben? Welche Arbeitszeitregelungen sollen gelten? Nicht nur tendierten Arbeitnehmer_innen selbst dazu, die Arbeit um andere Pflichten herum zu organisieren und so de facto länger und zu gesundheitlich wenig günstigen Zeiten zu arbeiten, meint Schrenk, auch der Arbeitsort sei nicht mehr selbstverständlich festgelegt: „Hier ist das Arbeitsrecht gefordert, die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers stärker zu betonen. Es geht um Burnout-Prävention, aber auch um Datenschutz.“ Stärkere Beachtung verdienen beide Aspekte aus seiner Sicht vor allem, wenn Arbeitnehmer_innen in einem anderen Land arbeiten als das Unternehmen seinen Sitz hat. „Da kommt das nationale Arbeitsrecht an seine Grenzen.“ Während in Europa weitgehend klare arbeits- und sozialrechtliche Gegebenheiten vorzufinden sind, sei dies bei Beschäftigung für Arbeitnehmer_innen in Drittstaaten nicht der Fall. „Welchen sozialversicherungsrechtlichen Status hat eine Person, die für ein Unternehmen außerhalb Europas hauptsächlich in Drittstaaten arbeitet? Das Arbeitsrecht ist, global betrachtet, Stückwerk“, so Schrenk.
Flexibilisierung
Mit der Digitalisierung konnten sich in bestimmten Bereichen neue Arbeitsweisen etablieren, die das Potenzial haben, den Arbeitnehmer_innen mehr Freiheit zu geben, sagt Bock-Schappelwein. „New Work“ beschreibt u.a. ein Arbeiten in virtuellen Netzwerken mit weitgehend flexiblen Arbeitsorten, -zeiten und sogar -inhalten. Es ist eine Arbeitsweise, die Arbeitnehmer_innen viel Flexibilität und Autonomie bietet. „New Work ist nicht auf den Dienstleistungssektor beschränkt, sondern auch in der Produktion möglich“, sagt Schappelwein, die in einer Studie Best Practice-Beispiele in der Metallverarbeitenden Industrie untersucht hat. Für Produktionsbetriebe hat mehr Flexibilität Vorteile: Eine Vielzahl von Schichtmodellen zum Beispiel, die flexibel kombinierbar sind, macht diese Betriebe attraktiv für Arbeitnehmer_innen mit Familie und kommt dem Wunsch vieler entgegen, flexibler zu arbeiten. „Das sind Herausforderungen für das Arbeitsrecht, was zum Beispiel das Arbeitszeitgesetz betrifft oder vorgeschriebene Ruhezeiten, aber ganz grundsätzlich ist auch in der Produktion mehr Flexibilität möglich“, so Bock-Schappelwein.
Unternehmen könnten auf diese Weise auch auf die demografischen Verschiebungen reagieren, die den Fachkräftemangel in Zukunft noch verstärken werden. Wenn die geburtenstarken Jahrgänge aus dem Erwerbsleben ausscheiden, heißt dies, dass auch in Zukunft weniger Arbeitskräfte zur Verfügung stehen. Entsprechend müssen Betriebe sich an eine heterogene Altersstruktur in ihrer Belegschaft anpassen und Arbeitszeit, -ort und -inhalte den unterschiedlichen Bedürfnissen entsprechend gestalten. Auch für Qualifizierungsmaßnahmen und Weiterbildungen sollte in Zukunft mehr zeitlicher und finanzieller Raum geschaffen werden, sagt Bock-Schappelwein.
Selbständigkeit
In den letzten Jahren hat die Zahl der Einpersonen-Unternehmen oder allein selbstständig Tätigen und der Freelancer in Europa zugenommen. In Österreich etwa „stieg der Anteil der Solo-Selbständigen allein zwischen 2005 und 2016 gemäß Mikrozensus-Daten bei den Männern um 17 Prozent und bei den Frauen um 43 Prozent“, so eine Studie von Bock-Schappelwein mit Christine Mayrhuber aus dem Jahr 2018. Im selben Zeitraum nahmen auch befristete Arbeitsverträge und nicht abgesicherte Arbeitsverträge zu. Die Autorinnen gehen in der Studie deshalb davon aus, dass es sich vielfach um Scheinselbständigkeit handelt. Scheinselbständigkeit ist vor allem bei Plattform-Unternehmen verbreitet, die sich damit auch dem geltenden Arbeitsrecht entziehen. „Man muss aufpassen, dass nicht auch auf diese Weise die Schutzbestimmungen des Arbeitsrechts ausgehöhlt werden, da Selbstständige nicht durch das Arbeitsrecht erfasst werden“, sagt Schrenk.
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„Das Arbeitsrecht ist, global betrachtet, Stückwerk.“
Florian Schrenk
Flexible Kapitalgesellschaft
Thomas Ratka, der an der Universität für Weiterbildung Krems das Department für Rechtswissenschaften und Internationale Beziehungen leitet, sieht noch aus einer gemeinhin unvermuteten Richtung die Klarheit der Unterscheidung von Arbeitnehmer_innen und Arbeitgeber_innen verschwimmen: dem Unternehmensrecht. Seit 2024 können Unternehmen in Österreich die Rechtsform der Flexiblen Kapitalgesellschaft (FlexKapG) annehmen und dies stellt das Verhältnis von Unternehmens- und Arbeitsrecht auf den Kopf. Eine FlexKapG ermöglicht es Unternehmer_innen, bis zu 100 Mitarbeiter_innen mittels sogenannter „Unternehmenswertanteile“ an der Gesellschaft zu beteiligen. Anders als sonst üblich, sich die Anteile stimmrechtslos. Sie können zum Beispiel bei einem Jobwechsel weiter- oder zurückverkauft werden und werden unter bestimmten Voraussetzungen (insbesondere zum Beispiel einer mindestens dreijährigen Behaltedauer) geringer besteuert als andere Kapitaleinkünfte. Für die Unternehmen bringt dies eine neue Form der Kapitalbeschaffung und wird als Instrument gesehen, vor allem jüngere Mitarbeiter_innen zu gewinnen – und zusätzlich zu motivieren.
Thomas Ratka sieht das durchaus kritisch: „Mit der FlexKapG wird – wenn man Anteile statt eines höheren, marktgerechten Gehalts akzeptiert – das Unternehmensrisiko zum Teil auch auf die Belegschaft verlagert, diese haben aber weiterhin nur begrenzte Mitsprachrechte bei Unternehmensentscheidungen. Das abhängige Arbeitsverhältnis bleibt bestehen.“ Erfüllen sich die Erwartungen an die Wertsteigerung der Anteile nicht, haben die Arbeitnehmer_innen voll gearbeitet, aber nur einen teilweise leistungsgerechten Lohn erhalten. „Ich sehe das tatsächlich als eine Verwischung der Trennung von Arbeitgeber_innen und Arbeitnehmer_innensphäre zu Lasten Letzterer“, so Ratka. Das Modell ist somit vor allem für die Unternehmen attraktiv. Ratka schätzt, dass langfristig etwa ein Viertel der 200.000 GmbHs in Österreich umsteigen wird. Durch die Niederlassungsfreiheit kann sich das Modell auch rasch in Europa verbreiten, wenn Unternehmen sich in Österreich gründen, aber an anderen Orten operativ tätig sind.
Wird sich das Arbeitsrecht an solche Entwicklungen anpassen können? Julia Bock-Schappelwein ist optimistisch: „Die durch die Digitalisierung und die demografischen Veränderungen geforderte Flexibilität ist auch eine Chance für Arbeitnehmer_innen und Unternehmen gleichermaßen.“
JULIA BOCK-SCHAPPELWEIN
Mag.a Julia Bock-Schappelwein ist Wirtschaftswissenschaftlerin. Sie forscht am Wirtschaftsforschungsinstitut Wifo in Wien zu den Themen Arbeitsmarkt, Bildung und Migration sowie die Transformation der Arbeit im Kontext von Digitalisierung, Ökologisierung und demografischen Veränderungen.
FLORIAN SCHRENK
Florian Schrenk, BA, LL.M. ist Jurist und auf Arbeits- und Personalrecht spezialisiert. Er ist externer Studienmanager im Weiterbildungsprogramm Arbeits- und Personalrecht an der Universität für Weiterbildung Krems. Er und ist Autor zahlreiche Publikationen zum Arbeits- und Personalrecht.
THOMAS RATKA
Univ.-Prof. Dr. Dr. Thomas Ratka, LL.M. leitet an der Universität für Weiterbildung Krems das Department für Rechtswissenschaften und Internationale Beziehungen sowie den Fachbereich Unternehmens-, Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht.
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