19.10.2018

Forschungsprojekte mit Beteiligung vieler unterschiedlicher Disziplinen stehen immer vor einer Hürde: einander zu verstehen und sich über einen gemeinsamen Wissensbestand zu verständigen. So auch im Projekt Gebäudesoftskills - neben ForscherInnen und PraktikerInnen der Architektur- und Baubranche sind WissenschaftlerInnen aus verschiedenen Fachrichtungen - von der Medizin bis zur Geisteswissenschaft - beteiligt. Das Forschungsteam des Departments für Bauen und Umwelt der Donau-Universität Krems überwand nicht nur die Verständnishürde, sondern bündelte auch Erkenntnisse zu den Wechselwirkungen zwischen Mensch und Gebäude in eine aktuelle Wissensbasis.

Neben zahlreichen technischen Umsetzungsmöglichkeiten existieren in der EU mindestens 28 Definitionen für den Begriff „Niedrigstenergiegebäude“. Alleine dieses Beispiel verdeutlicht, wie komplex das Feld des Bauens gegenwärtig geworden ist. Wird das Thema dann aus Sicht anderer Disziplinen beleuchtet, wächst die Palette der Betrachtungsweisen weiter: Für die im Projekt beteiligten MedizinerInnen stehen nicht technische Lösungsansätze und Definitionen im Vordergrund sondern deren mögliche positive und negative Auswirkungen auf die Gesundheit.

Verständnisgewinn als Ziel
„Fragestellungen zu Mensch-Gebäude-Wechselwirkungen, also unter welchen Bedingungen sich Menschen in Gebäuden wohl fühlen und wie sie darin agieren, sind in der Architektur- und Bauforschung bislang eher Randthemen, die jedoch für den langfristigen Erfolg von Gebäuden unabdingbar sind. Sie erfordern neben WissenschaftlerInnen und Fachleuten mit bautechnischem Hintergrund auch die Beteiligung von ExpertInnen verschiedener anderer Disziplinen“, sagt Arch. Dipl.-Ing. Gregor Radinger, MSc, Leiter des Projekts am Department für Bauen und Umwelt. Durch interdisziplinär zusammengesetzte Teams und transdisziplinäre Ansätzen und Methoden könne ein Verständnisgewinn zu den komplexen Wechselwirkungen zwischen Menschen und ihren Gebäuden erfolgen, so der Architekt.

Gebaute Umwelt wächst rasant
Dieses Verständnis wird immer wichtiger: Während noch im 19. Jahrhundert nur etwa fünf Prozent der Menschen weltweit in Städten lebten, sind es heute bereits mehr als die Hälfte. Prognosen zufolge wird der in Städten lebende Anteil der Weltbevölkerung bis ins Jahr 2045 sogar auf zwei Drittel gestiegen sein. Gestiegen ist auch die durchschnittliche Pro-Kopf-Wohnfläche: diese hat sich etwa in Österreich von 22 m² im Jahr 1971 auf rund 45 m² im Jahr 2017 verdoppelt. Begleitet wurden diese Entwicklungen von rasantem technologischem Fortschritt, so sind Niedrigenergie- und Passivhäuser mittlerweile Baustandard. Gleichzeitig hinkt der Wissensstand über die Wechselwirkungen zwischen Mensch und gebauter Umwelt hinterher, so Dipl.-Ing. Christina Ipser, Co-Projektleiterin und Teil des Projektteams der Donau-Universität Krems. Da blieben lange Zeit die von der Industrie getriebenen Studien zum Thema Behaglichkeit aus den 1970er Jahren Stand des Wissens. Die Anforderungen an die gebaute Umwelt seien seither aber stark gestiegen, damit werde auch ein viel grundlegenderes Verständnis für die Auswirkungen von Gebäuden auf Gesundheit und Wohlbefinden, aber auch über die Bedürfnisse und das Verhalten der NutzerInnen erforderlich. Das komplex gewordene System Gebäude, so Ipser, benötigt daher nicht nur Wissen am neuesten Stand, sondern vor allem transdisziplinäres Wissensmanagement.

40 beteiligte Institutionen
Im Projekt Gebäudesoftskills arbeiten rund 40 Institutionen aus Wirtschaft und Forschung zwei Jahre lang disziplinübergreifend zusammen, um wichtige Grundlagen für ein solches Verständnis zu schaffen. Ziel des Projektes ist es, relevante Erkenntnisse aus dem Bereich der Humanwissenschaften zu identifizieren, um es mit dem in der Architektur- und Baubranche bereits vorhandenen Wissen abzugleichen und dieses zu ergänzen oder zu aktualisieren. Für diesen Wissenstransfer ist eine enge Kooperation von WissenschaftlerInnen mit Forschungsschwerpunkten wie der Umweltmedizin, der Verhaltensbiologie, der Architektur- und Wohnpsychologie, der Sozialraumforschung, der Psychoakustik, der Baubiologie usw. mit ForscherInnen und PraktikerInnen aus der Architektur- und Baubranche erforderlich.

State-of-the-Art-Wissensbasis über Gebäudewechselwirkungen
Trotz der anfangs auftretenden Verständnisbarrieren konnte mithilfe eines umfangreichen Maßnahmensets eine tragfähige Arbeitsbasis für die Bearbeitung von drei Projektphasen geschaffen werden. Im Zentrum stehen die erfolgreiche interdisziplinäre Vernetzung und die Durchführung eines maßgeschneiderten Wissenstransfers. Gelungen ist ein besonderer Schritt in eine wichtige Richtung: die Entwicklung einer Vertrauens- und Arbeitsbasis zwischen den beteiligten PraktikerInnen und WissenschaftlerInnen unterschiedlicher Fachrichtungen.

Radinger: „Mit der bereits gewonnenen Wissensbasis haben wir ein gutes Fundament für weitere Schritte.“ Bei Projektabschluss Ende 2018 wird sich zeigen, in welche Richtung die Ergebnisse genutzt werden. Denkbar, so Gregor Radinger, ist die Verankerung des Wissens zum Beispiel in einem institutionalisierten Netzwerk. Zudem werden die erzielten Ergebnisse in Forschung und Lehre einfließen und über die WirtschaftspartnerInnen direkten Eingang in die Baupraxis finden.

Gebäudesoftskills - Qualifizierungsnetzwerk Humanwissenschaften und Bautechnik

Projektzeitraum: 01.01.2017 bis 31.12.2018
Förderungsgeber: Österreichische Forschungsförderungsgesellschaft FFG
Projektverantwortliche/r: Arch. DI Gregor Radinger und DI Christina Ipser, Department für Bauen und Umwelt

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