30.11.2016

Trägt die Entwicklungs- und Migrationspolitik Europas zu einer nachhaltigen wirtschaftlichen Entwicklung der ärmsten Länder der Welt bei? Diese Frage diskutierten im Rahmen des sechsten Globalisierungsforums der Europaparlamentarier Othmar Karas, Migrationsexpertin Gudrun Biffl, Kurt Bayer (Österreichische Entwicklungsbank) sowie Cengiz Günay vom Österreichischen Institut für Internationale Politik – und kamen dabei zu unterschiedlichen Einschätzungen. Allgemein betont wurde jedoch die Notwendigkeit, Migrationspolitik und Entwicklungspolitik stärker aufeinander abzustimmen.

 

Im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit wurden zwar in den vergangenen Jahrzehnten Erfolge erzielt, dennoch steht die Welt vor großen Herausforderungen, wie Europaparlamentarier Othmar Karas anhand von Zahlen aus UN-Berichten ausführte: 825 Millionen Menschen leben noch immer in extremer Armut; 800 Millionen leiden Hunger; weltweit sind heuer 65 Millionen Menschen – so viele wie nie zuvor – auf der Flucht.

Gleichzeitig würden gerade die Zusammenhänge von Entwicklungszusammenarbeit und Migration derzeit gesellschaftlich kontrovers diskutiert, sagte Dr. Jörg Wojahn, Leiter der Vertretung der Europäischen Kommission in Wien, in seiner Eröffnungsrede: "Nach der Meinung einiger soll ja die Entwicklungszusammenarbeit möglichst nur noch dafür sorgen, dass die Leute schön brav daheim bleiben – es gibt jedoch auch viele, die das anders sehen", so Wojahn.

Dialog auf höherem Informationsniveau

Entscheidend sei es, den Dialog zwischen verschiedenen Standpunkten zu fördern, erklärte die Organisatorin und Moderatorin Univ.-Prof. Dr. Gudrun Biffl. "Wir an der Donau-Universität Krems sehen es dabei auch als unsere Aufgabe an, die Diskussionen in der Wissenschaft und in den großen Think-Tanks näher an die Menschen zu bringen und so den öffentlichen Diskurs auf ein höheres Informationsniveau zu bringen", betonte die Leiterin des Departments für Migration und Globalisierung. Dies sei auch das Ziel der halbjährlich stattfindenden Globalisierungsforen. Ausgewählte Beitrage der Globalisierungsforen 2014 bis 2015 wurden nun auch im Sammelband "Europa und Demokratien im Wandel" veröffentlicht, der im Zuge der Veranstaltung im Haus der EU in Wien präsentiert wurde.

Erfolge und Herausforderungen in der Entwicklungszusammenarbeit

Mag. Othmar Karas, langjähriges Mitglied des Europäischen Parlaments und Ehrenprofessor an der Donau-Universität Krems, argumentierte in seinem Impulsreferat, dass eine funktionierende Entwicklungszusammenarbeit (EZA) beiden Seiten nutze: "Die Stärke des Nachbarn ist unsere Stärke, seine Schwäche ist unsere Schwäche", so Karas. Die EU investiere "mehr Gelder in die Entwicklungszusammenarbeit als der ganze Rest der Welt", gleichzeitig sei man vom selbst gesteckten Ziel, die EZA-Gelder auf 0,7 Prozent des Bruttoinlandsproduktes aufzustocken, in den meisten Ländern, darunter auch Österreich, nach wie vor weit entfernt.

Verflechtungen mit der Migrationspolitik

Der EU-Parlamentarier plädierte dafür, die Entwicklungszusammenarbeit Europas auszubauen und stärker zu fokussieren. Insbesondere müssten die Verflechtungen der EZA mit der Migrationspolitik in den Blick genommen werden. Beispielsweise würden die MigrantInnen selbst den dreifachen Betrag der weltweiten EZA über Geldüberweisungen in ihre Herkunftsstaaten senden.

Auch Gudrun Biffl forderte in ihrem Beitrag, die Migrationspolitik mit der Entwicklungszusammenarbeit besser abzustimmen, beispielsweise in der Frage von Braindrain durch Abwanderung von höher qualifizierten Arbeitskräften aus den Entwicklungsländern in die entwickelten Industriegesellschaften. Sie sieht derzeit auf europäischer Ebene einen Wechsel von einer reinen Abschottungspolitik zu einer differenzierteren Migrationspolitik, die auch die Vorteile von Migration im Zusammenwirken mit der Entwicklungspolitik in den Blick nimmt. "Wir stehen diesbezüglich in Europa am Anfang von neuen Denkschemata", so Biffl.

Entwicklungszusammenarbeit in einer multipolaren Welt

Dr. Kurt Bayer, Aufsichtsratsmitglied der Österreichischen Entwicklungsbank in Wien, stellte die geopolitischen Herausforderungen in der EZA dar. Die Dominanz Europas nehme in einer "multipolaren Welt" stetig ab; es würden vermehrt bilaterale Abkommen und vielfältige Allianzen gebildet. Durch diese vielen "Parallelwelten" werde die Versorgung mit den globalen öffentlichen Gütern immer schwieriger. Zwar gäbe es auch positive Zeichen, beispielsweise im Bereich des Klimaschutzes, doch: "The proof of the pudding is in the eating, liegt also in der Implementierung", so Bayer, und da bräuchte es Institutionen, die für eine Implementierung sorgen.

Auf die Kluft zwischen dem Anspruch europäischer Entwicklungszusammenarbeit und ihrer Realität verwies abschließend Dr. Cengiz Günay, Senior Researcher am Österreichischen Institut für Internationale Politik (OIIP). In einem Forschungsprojekt zur Europäischen Nachbarschaftspolitik wurde am Beispiel Tunesien deutlich, dass weniger der Aufbau der Zivilgesellschaft als vielmehr die für Europa wichtigen Wirtschaftszweige und –sektoren im Zentrum der Zusammenarbeit stehen. Profiteure dieser Strategie sind vor allem große Firmen, die meist mit Europa oder den jeweiligen nationalen Machthabern verbunden sind; tendenzielle Verlierer seien hingegen die kleinen und mittleren Betriebe sowie der informelle Produktionsbereich, der für viele eine Überlebensstrategie darstellt.

Kritische Töne in der Podiumsdiskussion

In der anschließenden Podiumsdiskussion wurden zahlreiche Aspekte nachgefragt und die europäische EZA- und Migrationsstrategie kritisch hinterfragt. Gefordert wurde unter anderem mehr Ehrlichkeit in Bezug auf die Auswirkungen einer europäischen Entwicklungszusammenarbeit, die sich stärker an den Interessen der europäischen Wirtschaft orientiert als an den Bedürfnissen vor Ort. Doch auch die Probleme, die mit Fluchtbewegungen nach Europa verbunden sind, sollten offen diskutiert werden, so eine Diskussionsteilnehmerin, denn sonst treibe man die Menschen in die Hände von Menschen und Parteien, die einfache Antworten für komplexe Probleme anbieten, die dann die schwierige Lage noch verschärfen.

Das Globalisierungsforum wird halbjährlich in Kooperation mit dem Haus der EU in Wien und dem Österreichischen Institut für Internationale Politik (OIIP) veranstaltet.

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