Zum Thema Plattform- und Datenökonomie tauschten Florina Piroi, Claudia Garád, Peter Parycek und Lucas Winter ihre Einsichten, fachkundig moderiert von Dejan Jovicevic, aus. Die Blue Hour-Diskussionsveranstaltung des Alumni-Clubs der Donau-Universität Krems lud das Publikum am 28. Jänner 2020 wieder ins Wiener Leopold Museum ein und bot Einblicke in aktuelle Entwicklungen und Perspektiven.
Das hochkarätig besetzte Panel führte unterschiedliche Blickwinkel auf die Chancen und Risiken im Umgang mit Big Data zusammen. Mag. Dejan Jovicevic, Herausgeber und CEO von der brutkasten, einer multimedialen Plattform für Start-ups, digitale Wirtschaft und Innovation, leitete die Diskussion, in der auf technische Aspekte wie auf wirtschaftliche und rechtliche Implikationen eingegangen wurde. In seinen Ausführungen unterstrich Univ.-Prof. Mag. Dr. Peter Parycek, MAS MSc Leiter des Departments für E-Governance in Wirtschaft und Verwaltung der Donau-Universität Krems, die wesenshafte Andersartigkeit der Daten. Das Bild „Daten als das neue Gold bzw. Öl“ hält er für grundlegend unrichtig, da ein Goldbarren durch Teilung an Wert verliere, während Daten gerade durch Teilen und In-Bezug-zueinander-Setzen an Wert gewännen. Wichtig sei hier, welche Daten mit welchen Akteuren nach welchem Regelwerk geteilt werden dürfen. Datensammeln sei eine Wette auf die Zukunft, befand Dr. Lucas Winter, Geschäftsführer contact – Umdasch Ventures.
Allgemeingut oder persönliche Kontrolle
Dass die Forschung zur Bildung und Validierung von Modellen auf Daten angewiesen ist, stand außer Zweifel. Offen sei allerdings, wie sie an die notwendigen Datensätze kommen soll. In Spanien etwa würden anonymisierte Gesundheitsdaten als Allgemeingut der Wissenschaft zur Verfügung gestellt, so Parycek, wobei die BürgerInnen keine Handhabe gegen diese Verwendung hätten. Europas Grundsatz, dass den Bürgern ihre Daten gehörten, hielt Mag. Claudia Garád, Geschäftsführerin von Wikipedia Österreich, für wichtig. Sie forderte, dass jeder Mensch über seine eigenen Daten bestimmen können müsse, auch wenn sie Verständnis für das Vorgehen Spaniens habe.
Anonymisierung als Sicherheitsmythos?
Ein Weg, die Verwendung von Daten bei gleichzeitigem Schutz der Privatsphäre der BürgerInnen zu ermöglichen, läge in der Verwendung anonymisierter Daten. Doch auch hier entstehe ein Dilemma, wie Dr. Florina Piroi, Information Management and Preservation Team der TU Wien, erläuterte: Es gäbe unterschiedliche Stufen der Anonymisierung, die sich im Rückverfolgbarkeitsgrad der Daten unterschieden. Daten, die vollständig anonymisiert, folglich nicht mehr rückverfolgbar gemacht, werden, verlören allerdings auch an Aussagekraft und wären nutzlos. Um sinnvoll von Anonymisierung sprechen zu können, sei jedenfalls die Definition des Prozesses erforderlich, so Piroi. Peter Parycek nannte als Lösungsansatz aus den Originaldatensätzen synthetisierte Daten, welche gewissermaßen ein „Daten-Zwilling“ der ursprünglichen Person seien, allerdings mit geringen, unerheblichen Abweichungen, die in der Forschungsfrage irrelevant seien, aber eine Rückverfolgung nahezu unmöglich machten.
Vorsprung dank Daten
Im Verlauf der Diskussion kam es auch zur Frage, ob ein öffentliches Interesse am solidarischen Teilen von Daten bestehe. Aus wissenschaftlicher Sicht böten mehr Daten das Fundament für bessere Modelle, so Florina Piroi und nannte als Beispiele eine Impfkarte für die Verteilung von Krankheiten, was für die Zuweisung von Notfallkräften relevant sei. Zugleich verwies sie auf die Risiken, welche die Bereitstellung von Daten berge. Die großen Player wie Amazon, Microsoft oder Google könnten die freigegebenen Daten für eigene Zwecke nutzen und Patente erwirken, welche negative Folgen für Forschung und Wissenschaft hätten. Dabei stellte Parycek klar, dass es keine Patente auf die Daten selbst gäbe, da diese nur die Grundlage darstellten. Denkbar wären für ihn verschiedene Regulierungsmaßnahmen wie etwa eine EU-Datensteuer.
Open Source und neue Fördermodelle
Claudia Garád sah große Chancen in Open-Source-Projekten, die gerade auch von öffentlichen Stellen gefördert werden sollen, wodurch die „De-Googlization“ vorangebracht werden könne. Sie verwies auf Wikibase, eine Datenbanksoftware von Wikipedia Deutschland unter freier Lizenz für externe Projekte, wofür sich zahlreiche Museen, Bibliotheken und andere Einrichtungen interessierten. Solche Projekte sind auch offen für kommerzielle Zwecke und ermöglichen so weitere Innovationen. Auch Lucas Winter betonte die oftmals sehr gute Qualität von Open-Source-Lösungen und räumte ein, dass die selbstregulierende Kraft des Marktes in diesem Bereich nicht funktioniere. Am Beispiel Großbritannien illustrierte Peter Parycek einen neuen Förderansatz: Statt klassischer Subventionen investiere der Staat in Social Entrepreneurs, er fördere soziale Innovation, die ein echtes Bedürfnis der Gesellschaft anspreche, wie etwa Wikipedia.
EU-Cloud oder "the next big thing"?
Divergierende Antworten gab es auf die Frage, wie auf das Quasi-Oligopol im Bereich der IT-Infrastruktur, namentlich im Bereich Cloud-Computing, reagiert werden solle. Während Parycek Investitionen hier für wenig zielführend hielt und stattdessen auf Forschung setze, erkannte Piroi auch Chancen, wenn Europa zu Eigenentwicklungen gezwungen wäre, wenn die USA Exportverbote verhängten. Die DSGVO wurde nicht als ein Innovationshemmnis angesehen, sondern als Errungenschaft für die BürgerInnenrechte in der digitalen Welt, die für Garád einen Anreiz zur Schaffung von datenschutzfreundlichen Lösungen biete. Für Winter führe die DSGVO dazu, dass unnötige Daten „weganonymisiert“ würden, auch erhöhe die DSGVO-konforme Umsetzung die eigene Glaubwürdigkeit, was einen Wettbewerbsvorteil darstelle.
Wie relevant die Fragestellungen dieser Diskussion waren, belegten auch die zahlreichen Fragen aus dem Publikum, die die Aspekte Datensicherheit ebenso adressierten wie den Datenzugang für KMUs oder die Rolle der EU im Bereich der Datenökonomie.
Die nächste Blue Hour wird am 16. April 2020 wieder im Leopold Museum in Wien stattfinden.
Rückfragen
Tags