07.07.2021

Im Bemühen um Objektivierbarkeit etablierte sich an den Hochschulen eine Vielzahl von Indikatorensystemen, die Universitäten in ihrer Autonomie unterstützen, ihrerseits aber die Handlungsspielräume einzuschränken begannen. Günther R. Burkert, Wilhelm Krull, Peter Parycek und Andrea Schenker-Wicki beleuchteten in einem Webinar am 22. Juni 2021 das vielschichtige Thema.

In seinen Begrüßungsworten zum mittlerweile dritten Teil der Webinarreihe „Digitale Transformation der Universitäten“ machte Mag. Friedrich Faulhammer, Rektor der Universität für Weiterbildung Krems, auf wiederkehrende Themen und Querbezüge aufmerksam. Ein übergeordneter Aspekt der gesamten Reihe ist das Spannungsfeld zwischen dem Anspruch, Veränderung zu gestalten und gleichzeitig Kontinuität sicherzustellen. Hier gelte es für die Universitäten eine Balance zu finden. Im Bereich der universitären Weiterbildung, der aktuell in Österreich auf ein neues legistisches Fundament gestellt wird, strebt Faulhammer die Themenführerschaft der Universität für Weiterbildung Krems an. Zudem verwies er auf die weite Zielsetzung der Universitäten gemäß § 1 des Universitätsgesetzes 2002, worin unter anderem von der „gedeihlichen Entwicklung der Gesellschaft und der natürlichen Umwelt“ die Rede ist.

Dr. Wilhelm Krull, ehemaliger Generalsekretär der VolkswagenStiftung und Gründer sowie Geschäftsführer von „The New Institute. An Institute of Advanced Study and platform for Change“, stellte in seiner Keynote die Hauptaspekte seines Buches „Die vermessene Universität: Ziel, Wunsch und Wirklichkeit“ vor.

Balance zwischen Kreativität und Compliance

Mit seinem Buchtitel spielt der Wissenschaftsmanager auf die dreifache Bedeutung des Wortes „vermessen“ – genau gemessen, falsch gemessen und unangemessen, abgehoben – an und stellt es in einen universitären Kontext. In einer kritischen Reflexion des Wandlungsprozesses der letzten zwei Jahrzehnte tritt die gestiegene Bedeutung von Rankings, Audits und Zielvereinbarungen zutage. Es sei zu einer Verschiebung von Government hin zu Governance gekommen, so Krull, wo sich staatliche Aufsichtsgremien zu Verhandlungspartnern auf Augenhöhe wandelten. Die gewonnene Autonomie der Universitäten zwang diese, einen Ausgleich zwischen wissenschaftlichen Erfordernissen und administrativen Rahmenbedingungen, kurz zwischen Kreativität und Compliance, zu finden. Um diese Autonomie auch nutzen zu können, stieg die Bedeutung der Drittmittel im Vergleich zum Grundlagenbudget. Das Talent, Gelder für die Universität zu generieren, wurde zunehmend bedeutsam für die Berufung als Professor an eine Universität, so Krull. Die an die Universitäten angelegten Indikatoriken entwickelten einen Anpassungsdruck, der auf den unterschiedlichsten Ebenen bis hin zur Entwicklung des wissenschaftlichen Nachwuchses wirke.

Numerische Pseudoobjektivität

So nobel die Intention auch gewesen sein mag, möglichst objektive, neutrale Indikatoren zur Erfolgsmessung zu definieren, so sehr müsse auch festgehalten werden, dass diese Indikatoren zumeist interessensgeleitet konstruiert würden, so Krull. Eine sinnvolle Vergleichbarkeit zwischen den Fächern sei eine Fiktion, naturwissenschaftliche Disziplinen funktionieren grundlegend anders als etwa kunst- und kulturgeschichtliche Fächer. Während sich Nischenfächer immer schwerer täten ihre Legitimation unter dem Regime unzulänglicher Parameter unter Beweis zu stellen und folglich verschwinden, gelinge es Volluniversitäten immer weniger, ein breites Fächerspektrum aufrecht zu erhalten. Für Krull konterkariere diese Tendenz das wachsende Interesse an inter- und transdisziplinären Zugängen in der Forschung. Die Universitäten verfügten zwar über viel akademische Autonomie, doch fehle für ihre praktische Umsetzung eine Personal- und Finanzautonomie.

Hochschulentwicklung als öffentliche Aufgabe

Hochschulentwicklung sei für Krull eine Aufgabe des öffentlichen Bereichs, die wichtige Aspekte beinhalte. Als Grundbedingung für die Tätigkeit von Universitäten sehe der Experte eine Kultur der Kreativität, die sich im Vertrauen in die Forschenden und in der Risikobereitschaft bei der Vergabe von Projekten zeige. Neben der richtigen Organisationskultur sei die Infrastruktur ein entscheidendes Fundament der Arbeit. COVID-19 entpuppte sich für Krull als Beschleuniger bereits laufender Entwicklungen. So käme es zu verstärkten Bemühungen, Lehre, Forschung und Verwaltungsaufgaben in digitale Prozesse zu überführen. Auch im Verhältnis von Wissenschaft und Gesellschaft führte die Pandemie zu einem neugewonnenen Interesse an Wissenschaft und Forschung. Dieses gestiegene Vertrauen in die gesellschaftlichen Beiträge der Universitäten speise sich auch aus der Wissenschaftsfreiheit, welche es zu verteidigen gelte. Aktuell nähmen die Angriffe auf Universitätsprofessor_innen wieder zu, wie Krull konstatierte, die Freiheit der Lehre sei in immer mehr Regionen, darunter Mittel- und Osteuropa sowie die Türkei, in Gefahr.

Infrastruktur als gemeinsame Anstrengung

Univ.-Prof. Dr. Dr. h.c. Andrea Schenker-Wicki war unter anderem Leiterin der Sektion Universitätswesen in Bern sowie Vizerektorin an der Universität Zürich und ist aktuell Rektorin der Universität Basel und skizzierte die Lage in der Schweiz. Auch hier würde die Autonomie der Universitäten um den Preis eines überbordenden Berichtswesens erkauft. Die Expertin nannte dabei 22 Leistungsindikatoren, abgeleitet von der Strategie und Zielsetzung der Universität, deren Entwicklung in einem jährlichen Bericht dokumentiert werden müssen, und die Zuständigkeit zweier Rechnungshöfe sowie privater Prüfer. Univ.-Prof. Mag. Dr. Peter Parycek, MAS MSc, Leiter des Departments für E-Governance in Wirtschaft und Verwaltung, fügte hinzu, dass das Reporting in Österreich noch umfangreicher sei. Schenker-Wicki deutete diesen permanenten Rechtfertigungszwang als Misstrauen gegenüber den Universitäten, Rankings seien oft eine „sinnlose Addition von Indikatoren“, wo mehr auf Branding, die Bekanntheit der Institution, abgestellt werde als auf wissenschaftliche Kriterien.

Die Frage der Hochschulfinanzierung sei ihrer Meinung nach dringlich, da sie an ihre Grenzen angesichts teurer Infrastruktur gekommen sei. Einen Ausweg sehe Andrea Schenker-Wicki in der verstärkten Kooperation der Universitäten gerade auch in diesem Bereich. Hier erinnerte Univ.-Prof. Dr. Günther R. Burkert, Visiting Professor an der Universität für Weiterbildung Krems, an die Forschungsinfrastrukturdatenbank in Österreich, die seit 2010 bestehe, europaweit die einzige ihrer Art sei und beim Austausch von Großforschungsgeräten helfe. Krull brachte beim Thema gemeinsame Nutzung von Geräten die Facette ein, dass etwa in der Medizin, diese Geräte auch Einkommen generieren würden, was einem Austausch entgegenstünde.

Zweifel an Indikatorsystemen

Die Schweizer Expertin wies auch auf die fundamentalen Unterschiede zwischen den Geistes-, Sozial- und Kulturwissenschaften und den die Oberhand gewinnenden Life Sciences hin: Naturwissenschaften folgten schlichtweg anderen Bewertungsgrundsätzen. Bemerkenswert in diesem Zusammenhang sei der Schweizerische Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung, der bereits festgestellt habe, dass die Vermessung in dieser Form nicht mehr weitergehen könne und mehr narrative Elemente bei der Beurteilung etwa von Forschenden herangezogen werden sollten. Dazu zählten etwa Lebensläufe, Preise, Public Outreach, Konferenzteilnahmen. Der Impact Factor dürfe nicht mehr verwendet werden, so Schenker-Wicki, liege ihm doch ein starkes Bias zugrunde. Bei Besetzungen sei ihrer Ansicht nach bedeutsam, dass der Mensch in die Institution und das Beziehungsgefüge passe. Fähigkeiten wie Kreativität müssten stärker in die Potenzialbewertung einfließen.

Jenseits zahlenmäßiger Erfassbarkeit

Wilhelm Krull pflichtet dem bei, dass sich die Indikatoren verselbstständigt hätten und den Blick auf die Personen verstellten. Mit der Frage „Wie viele Zitationen braucht der Mensch?“ lenkte er die Aufmerksamkeit auf zwei Aspekte: In Fachpublikationen wie „Nature“ und „Science“ gingen ca. 90 Prozent der Zitate auf rund zehn Prozent der Artikel zurück. Gleichzeitig würden bei peer reviewed-Journals meist junge Redakteur_innen die Vorauswahl bei den eingereichten Artikeln vornehmen, was die Gefahr einer Fehlsteuerung berge. Um exzellenten Forschenden mit atypischen Lebensläufen eine Chance, gerade auch für risikobehaftete Forschung, zu geben, vergab die VolkswagenStiftung „Freigeist-Fellowships“. Die entscheidende Frage sei hier gewesen: „Wo ist die originelle Idee?“, so Krull.

Hochschulmanagement und Diversität

Ein thematischer Ausblick auf den Herbst ist bereits möglich: Univ.-Prof. em. Dr. Lothar Zechlin wird am 5. Oktober 2021 um 18.00 Uhr Thesen seines Buchs „Die gemanagte Universität. Führung in einer institutionalisierten Organisation“ präsentieren. Ao. Univ.-Prof. Dr. Johanna Hofbauer folgt im November mit dem Thema „Die ungleiche Universität. Diversität, Exzellenz und Anti-Diskriminierung“. Die Organisation der Onlineveranstaltung wird wieder das Department für E-Governance in Wirtschaft und Verwaltung übernehmen.

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