12.09.2022

Zum ersten Mal hat eine EU-Expert_innengruppe systematisch den Stellenwert des kulturellen Erbes in der europäischen Klimaschutzpolitik erhoben und seinen Beitrag für eine klimafitte Zukunft aufgezeigt. Trotz seiner Bedrohung durch die Auswirkungen der Klimakrise zeigt die Klimaschutzpolitik in Europa und seinen Mitgliedsstaaten drastische Defizite bei der Berücksichtigung des Kulturerbes, so der jetzt vorgelegte Endbericht. Empfohlen wird der Politik, mehr Fokus auf das Kulturerbe zu legen. So sollte zum Beispiel bei der Umsetzung des Green Deal der Beitrag des kulturellen Erbes für Innovation und nachhaltiges Wohnen verstärkt Beachtung finden. Erarbeitet wurde der Bericht durch eine 50 Expert_innen umfassenden Gruppe aus 25 EU- und drei assoziierten Staaten unter Mitwirkung von Univ.-Prof. Dipl.Arch.ETH Dr. Christian Hanus von der Universität für Weiterbildung Krems.

Kernstück des Berichtes mit dem Titel „Strengthening cultural heritage resilience for climate change : where the European Green Deal meets cultural heritage“ sind 83 Fallstudien zur Demonstration gelungener Beiträge zum Klimaschutz aus dem Anwendungsfeld des Kulturerbes. Sie zeigen nicht nur optimale Schutzmaßnahmen vor den Auswirkungen der Klimakrise, sondern präsentieren Kulturerbe als Wissenspool für klimaschützende Innovationen.

Burgtheater-Belüftung zeigt Innovationspotenzial des Kulturerbes

Seit seiner Eröffnung 1888 nützt das Wiener Burgtheaters für Kühlung und Heizung das im 19. Jahrhundert entwickelte Belüftungssystem erfolgreich ohne großen energetischen Aufwand und komplizierter Haustechnik. Das System des historischen Hauses ist Maßstab für den Einsatz einer zukunftsfitten nachhaltigen und energiearmen Gebäudebelüftung auch bei steigenden Temperaturen.

Ein weiteres Beispiel für das Innovationspotenzial kulturellen Erbes ist die seit dem 14. Jahrhundert eingesetzte Grünlandbewässerung in den Niederlanden. Die Grünlandbewässerung ist eine Form der Agrartechnik, bei der Grünland durch fließendes Wasser mit Kalk und Mineralien aus Flüssen und Quellen künstlich gedüngt werden. Diese kleindimensionale Bewässerung ist optimal, um Biodiversität zu erhalten und Wiesen vor Austrocknung zu bewahren.
Zu den im Bericht aufgezählten Good-Practice-Beispielen zählt auch ein WebGIS-Tool zur Darstellung von Risiken für das Kulturerbe aus klimawandelbedingten Naturkatastrophen. Das Tool wurde unter Mitwirkung der Universität für Weiterbildung Krems im EU-Projekt ProteCHt2save entwickelt.

Bewusstseinsbildung, Forschung und transdisziplinäre Zusammenarbeit

„Das gebaute Kulturerbe, gesammelte Kulturgüter, ebenso wie ganze Kulturlandschaften sind in besonderer Weise von den Auswirkungen der Klimakrise betroffen. Es ist dringlich, auf diese Besonderheiten bei europäischen und nationalen Klimaschutzplänen einzugehen. Wenn Kulturerbe nicht nur in seiner Schutzwürdigkeit und Besonderheit, sondern als Wissensquelle für Innovation begriffen wird, hat nicht nur das Kulturerbe, sondern auch der Klimaschutz gewonnen. Die Fallstudien im Abschlussbericht zeigen das eindrucksvoll auf“, so Univ.-Prof. Dipl.Arch.ETH Dr Christian Hanus.

Gerade das gebaute kulturelle Erbe, so der Experte der Universität für Weiterbildung Krems, sei hier in seinem Beitrag zu einer CO2-neutralen Zukunft von Siedlungsräumen immer noch unterbewertet. Es brauche neben weiterer Forschung Bewusstseinsbildung und die transdisziplinäre Zusammenarbeit von Wissenschaft und Praxis, um das Potenzial des kulturellen Erbes für den Klimaschutz optimal zu nützen und Maßnahmenpläne auf die besonderen Bedürfnisse des Kulturerbes abzustimmen, so Hanus, der Österreich als wissenschaftlicher Experte in der EU-Expert-Group „Strengthening Cultural Heritage Resilience for Climate Change“ neben dem Kulturministerium vertrat.

Erste Expert-Group dieser Art

Die Expert_innengruppe unter Vorsitz von Dr. Johanna Leissner von Fraunhofer Brüssel wurde von der Europäischen Kommission, Generaldirektion Kultur, 2021 einberufen und setzte sich aus 50 Expert_innen aus 25 EU-Mitgliedstaaten, Island, Norwegen und der Schweiz zusammen. Die Expert_innen stammten aus der Wissenschaft sowie aus der öffentlichen Verwaltung. Die im Rahmen der „Open Method for Coordination“ einberufenen Expert Group bot einen Kooperationsrahmen für die Expert_innen der EU-Mitgliedstaaten, um sich mit Fragen des Klimawandels und der Erhaltung des europäischen Kulturerbes zu befassen, bestehende Lücken und strukturelle Defizite in der Klimaschutzpolitik zu ermitteln und Empfehlungen an die Politik zu erarbeiten.


Bezugsquelle des Abschlussberichts: https://data.europa.eu/doi/10.2766/44688
Executive Summary: https://doi.org/10.2766/030764

European Commission, Directorate-General for Education, Youth, Sport and Culture, Strengthening cultural heritage resilience for climate change : where the European Green Deal meets cultural heritage, Publications Office of the European Union, 2022

 

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