17.07.2024

Mit Besorgnis blickt Prof. Dr. Bernd Freiherr von Droste zu Hülshoff auf die Zukunft des Welterbes angesichts der großen Herausforderungen der Gegenwart. Der Gründungsdirektor des Welterbezentrums der UNESCO hat weite Teile seines persönlichen Archivs dem Jiří Toman-Zentrum an der Universität für Weiterbildung Krems zur Verfügung gestellt. Es soll helfen, die Verbindung zwischen Welterbe und Menschenrechten aufzuzeigen. Denn die universalistische ethische Dimension des Weltkultur- und Naturerbes ist in Bedrängnis.

 

Rund 30 Kartons voll mit Bänden, Publikationen und persönlichen Aufzeichnungen: Warum haben Sie sich entschieden, große Teile Ihres Archivs dem Jiří Toman-Zentrum zu überlassen?

Bernd von Droste zu Hülshoff: Die Entscheidung beruht auf einer langjährigen beruflichen Zusammenarbeit in der UNESCO und Freundschaft mit Professor Strasser, ein sehr tüchtiger Welterbeverfechter mit großem Verständnis für das, was hinter dem Welterbe steht. Peter Strasser hat durch seine Veröffentlichungen über das Welterbe gezeigt, wie er mit wissenschaftlicher Gründlichkeit an die Dinge herangeht. Darüber hinaus hat er sehr viel Erfahrung beispielsweise durch seine Tätigkeit für die OSZE im Kosovo und gezeigt, wie Kulturerbe, Schutz und Friedensbemühungen zusammenhängen – dieser Frage widmet sich ja das Jiří Toman-Zentrum: Eine Institution, die sich nicht nur um Kulturgüterschutz, sondern um Menschenrechte kümmert. Kulturgüterschutz und Menschenrechte hängen engstens zusammen, Kulturgüterschutz und Welterbeschutz sollten ein Teil der Friedensbemühungen der Menschheit sein. Und das ist etwas, was wir gar nicht genügend vertiefen können. Nehmen Sie den Krieg in der Ukraine: Inwieweit müssen wir bei der Zerstörung der Kulturgüter in der Ukraine nicht auch gleichzeitig von einer Verletzung der Menschenrechte sprechen? Ich bin überzeugt, dass der Fundus, den ich mitbringe, helfen kann, diese Themen noch verstärkt wissenschaftlich zu verfolgen.

Was erwarten Sie sich aus der Aufarbeitung Ihrer Überlassung?

Von Droste zu Hülshoff: Ich hoffe, dass der Fundus digitalisiert wird, um ihn der Wissenschaft und der Öffentlichkeit zugänglich und für moderne Methoden wissenschaftlich erschließbar zu machen. Es ist ein sehr persönliches Archiv, nicht jenes der UNESCO selbst. Interessant wäre natürlich, zu den Anfängen der Welterbekonvention zu arbeiten, doch leider findet sich ausgerechnet dazu aufgrund eines Brandes im UNESCO-Archiv insgesamt wenig.

Was sind denn aus Ihrer Sicht die ganz besonders interessanten Stücke, die Sie mitgebracht haben?

Von Droste zu Hülshoff: Ich habe aus der täglichen Arbeit in der UNESCO jeden Monat ein paar Schriftstücke herausgenommen, die ich damals für wichtig hielt, und habe die am Ende des Jahres binden lassen. Sie befassen sich zum Beispiel mit den weltweiten Missionen, für die ich unterwegs war. Oder mit den Reports an den Generaldirektor sowie meine Reden. Denn aus meiner führenden Position heraus hatte ich natürlich sehr viele repräsentative Aufgaben. Die Berichte spiegeln nicht nur meine Erfahrungen, sondern ein ganzes Team steht dahinter. Peter Strasser hat dabei auch sehr wichtigen Anteil gehabt.

Die Schriftstücke spiegeln meine weltweite Verantwortung in zweifacher Form, denn ich war Direktor für Ökologie, zuständig unter anderem für das Programm „Der Mensch und die Biosphäre“. Gleichzeitig war ich damals für das Naturerbe im Rahmen des UNESCO-Welterbes zuständig. Enthalten sind auch viele Teile der beiden Zeitschriften, die ich meiner UNESCO-Zeit begründet habe, die Welterbe Zeitschrift und die Zeitschrift „Natur und Ressourcen“.

Worin bestanden die besonderen Herausforderungen Ihrer Tätigkeit für die UNESCO?

Von Droste zu Hülshoff: Ich war weltweit verantwortlich und hatte nur ein kleines Team von Leuten. Man hatte völlig unzureichende Geldmittel, dennoch musste die Aufgabe erfüllt werden. Sowohl die Ökologie, wie auch das Welterbe sind keineswegs politisch neutral. Im Gegenteil, es geht hier um Identitätsfindung, um sehr wichtige Symbole für die Länder und für die Leute. Nehmen Sie Jerusalem, Bethlehem, Palästina. In Wirklichkeit reden wir in der UNESCO über Krieg und Frieden. Es geht also beim Welterbe stark um ethische Fragen, ich nenne nur Auschwitz und Hiroshima. Als Deutscher war ich Mitglied im Auschwitz-Komitee. Es galt dabei, das Ethische beim Welterbe zu sehen und immer wieder dahinter die Botschaft, dass man die Religion, den Alltag, den Glauben anderer tolerieren muss und achtet, dass sich künftig Dinge nicht wiederholen. Darüber hinaus erinnert das Welterbe an unsere Verantwortungen: Wie gehen wir mit der modernen Technik um, wie mit Nachhaltigkeit, wie mit den Gefahren durch Atomwaffen und den Klimawandel? Und wie auf der anderen Seite mit dem Mangel an Bildung und der Sensibilisierung der Leute für die Werte, um die es eigentlich gehen muss.

Stichwort Werte. Haben Sie den Eindruck, dass sich der Geist des Universalismus verändert hat? Wenn Politiker_innen heute über Welterbe nachdenken, sehen sie da nicht vorrangig seine nutzbringenden Aspekte?

Von Droste zu Hülshoff: Ja, leider spielt die Kommerzialisierung eine große Rolle. Vieles geschieht, weil man sagt, wir wollen auf der Welterbeliste stehen, weil wir da einen Wettbewerbsvorteil bekommen. Die touristische Bedeutung des Welterbes ist sehr groß und zum Teil ist der Tourismus auch der Feind der Erhaltung des Welterbes, weil eine touristische Übernutzung erfolgt. Auf der anderen Seite ist es wichtig, die richtige Balance zu finden. Und das ist möglich. Wir sind hier an den Toren zur Wachau, einer Kulturlandschaft als Welterbe. Hier stellt sich die Frage des Umgangs mit dem Tourismus besonders und es ist völlig klar, dass wir sehr innovativ verfahren müssen, denn der Tourismus ist natürlich auch eine zentrale Frage für den wirtschaftlichen Erfolg der Region. Es geht also darum, das Kultur- und Naturerbe sowie die Schönheit der Landschaft nachhaltig zu schützen und gleichzeitig einen nachhaltigen Tourismus für die Zukunft sicherzustellen. Ich denke, die Region ist dafür eine Modellregion.

Wichtig erscheint mir, dass auch stark besuchte Welterbestätten Werte vermitteln. Verboten werden sollte, das Symbol UNESCO Welterbe nur kommerziell zu gebrauchen. Der Tourismus darf dieses Symbol nicht zerstören, sondern muss zu seiner Erhaltung beitragen. Durch diesen Beitrag zu den Kosten ist er gerechtfertigt. Das Gleichgewicht ist hier aber noch nicht ausreichend.

„Das Welterbe ist ein gigantisches Unternehmen für den Frieden und für die Menschenrechte. Nur sagt es keiner und niemand stellt es so dar. Es muss so dargestellt werden und es muss so durchgearbeitet werden. Das Jiří Toman-Zentrum ist gefordert, das zu tun. Es ist höchste Zeit, das Thema von der ethisch-fundamentalen Seite noch ganz anders aufzuarbeiten.“

Bernd von Droste zu Hülshoff

Welche Möglichkeiten hat die UNESCO, die Werte des Welterbes in Erinnerung zu rufen?

Von Droste zu Hülshoff: Wir müssen zunächst sehen, dass der Eintrag einer Stätte in die Welterbeliste auch ein Souveränitätsverzicht ist, weil diese damit Erbe der Menschheit wird. Das Welterbekomitee hat die Aufgabe, darüber zu wachen, dass diese Werte, für die es eingeschrieben wird, erhalten bleiben und gegebenenfalls einzuschreiten, wie es das übrigens bei der Welterbestätte „Historisches Zentrum von Wien“ getan hat. Im schlimmsten Falle wird eine Stätte von der Liste genommen, wenn das Welterbe missbraucht wird. Im anderen Fall wird eine Inspektion gemacht, wovon ich verschiedene unternommen habe, von Yellowstone bis zu den Galapagosinseln. Ich war viel unterwegs und musste vermitteln und dem Welterbekomitee Bericht erstatten. Dort kommt dann aber die politische Diskussion. Da braucht es gute Vorbereitung, denn selbst, wenn es verwerflich ist und gegen das Welterbe geht, haben manche Staaten viele Unterstützer, die am selben Strang ziehen.

Dazu kommen die Strukturen: diese leiden in Österreich daran, dass die Welterbekonvention in die nationale Gesetzgebung nicht voll umgesetzt wurde. Die jüngste Novelle des Denkmalschutzgesetz versucht ein Teil davon zu reparieren. Das ist ja auch geglückt. Aber es ist längst noch nicht alles, weil in Österreich die Zuständigkeiten so unterschiedlich sind. Der Bund hat Kulturerbe-Zuständigkeit, aber fürs Naturerbe und die Raumordnung sind die Länder zuständig, ebenso wie für das Baurecht. Für das Welterbe wichtig wäre der Umgebungsschutz. Aber natürlich muss auch für die Entwicklung Platz sein. Es ist also ein ständiges Suchen nach dem Gleichgewicht zwischen Schutzbedürftigkeit und Entwicklungsnotwendigkeit.

Ihr großes Verdienst war ja, die beiden Stränge Naturerbe und Welterbe zusammenzuführen und den Gedanken der Nachhaltigkeit zu implementieren. Wie der Umbau des Wiener Michaelerplatzes zeigt, können sich Welterbe und Klimaschutz auch stoßen.

Von Droste zu Hülshoff: Wenn überhaupt etwas als Konzept nachhaltig ist, dann das Welterbekonzept. Die langfristige Perspektive, eine Erbe für künftige Generationen zu erhalten, ist ja Ausdruck von Nachhaltigkeit. Der Gedanke war in den 1970er Jahren völlig neu und kam mit der UNESCO überhaupt erst in die internationalen Fora. Kultur und Naturerbe waren nicht mehr dem Schutz der Privatleute und eines Staates anvertraut, sondern wurden zu einer weltweiten Aufgabe der Menschheit. Es ist der Schutz des Welterbes damit ein intergenerationeller ethischer Vertrag, der aber Optionen für die Zukunft offen lässt, damit auch die künftigen Generationen noch Handlungsfreiheit haben.

Das Zweite: Viele Welterbestätten zeigen uns, was Nachhaltigkeit konkret bedeutet. Nicht nur die Naturerbegüter in ihrer biologischen Diversität, sondern viele Bauten zum Beispiel hier in Wien selbst. Altbauten zu nutzen ist eine fantastische, nachhaltige Angelegenheit. Andere Stätten weisen den Weg zum Umgang mit dem Klimawandel, etwa die Windtürme im Iran, die die heiße Luft kühlen. Sie zeigen uns, wie man auch mit einem sehr heißen Klima zurechtkommt. Die Nachhaltigkeit ist fundamental fürs Welterbe. Der Klimawandel betrifft alle. Und für alle Welterbestätten, ob in der Arktis oder hier an der Donau, wird der Klimawandel erhebliche Konsequenzen haben.

Zu den angesprochenen Konfliktstellungen: es geht darum, diese Konflikte so zu lösen, dass die Leute in der Lage sind, die Verantwortung zu übernehmen. Man muss ihnen sehr klar vor Augen führen, welche Konsequenzen die verschiedenen Entscheidungen haben. Das Problem: Oft fehlen sowohl auf der politischen Seite wie auf der Seite der Bevölkerung die dafür notwendigen Informationen, die notwendige Bildung und Sensibilisierung. Es bräuchte viel mehr Transparenz und bessere Kommunikation.

Wir halten derzeit bei knapp 1200 Welterbestätten. Wäre es für das Welterbe zukunftsweisend, weniger auf die Menge und mehr auf Qualität zu setzen und vielleicht sogar die Zahl der Stätten zu reduzieren?

Von Droste zu Hülshoff: Eine Reduktion ist nicht möglich, da dies in der Welterbekonvention nicht vorgesehen ist. Mit der Konvention ist zum ersten Mal ein internationales Forum kreiert worden, wo über Natur und Kulturgüter gemeinsam und transparent debattiert wird. Vor 50 Jahren gab es so was Bahnbrechendes nicht. Die Entwicklung hin zu der Fülle an Welterbestätten und Aufgaben war damals zu Beginn der Konvention nicht vorhersehbar. Angesichts der jetzigen limitierten Mittel ist es klar, dass die internationale Gemeinschaft personell völlig überfordert ist. Die Länder selbst müssen die Verantwortung übernehmen. Deswegen geht es darum, erstens bei den künftigen Neuaufnahmen strikte Maßstäbe anzulegen. Das heißt, es muss hochselektiert vorgegangen werden. Zweitens ist international eine viel stärkere Solidarität erforderlich, um gefährdeten Welterbestätten zu helfen.

Eine qualitative Verbesserung der Situation erfordert grundsätzlich bessere Kommunikation, bessere Vermittlung, bessere Bildungsarbeit, um die Hüter des Welterbes von morgen vorzubereiten. Wichtig in diesem Zusammenhang ist es, an die Lehrer heran zu kommen, ihnen Material zur Sensibilisierung an die Hand zu geben, damit sie für den Kulturgüter- und Naturgüterschutz und gleichzeitig auch für Menschenrechte, die damit verbunden sind, eintreten. Die geschieht aber nicht oder zu wenig.

Was würden Sie einer Lehrerin mitgeben, die am Beispiel Aachener Dom, Welterbestätte der ersten Stunde, ihre Klasse mit dem Welterbe vertraut macht? Die Schüler_innen sind vermutlich vielfacher kultureller und religiöser Herkunft. Was sagt diese Lehrerin über das Verbindende des Welterbes am Beispiel einer christlichen Kirche?

Von Droste zu Hülshoff: In allen Religionen gibt es eine ähnliche Botschaft zu Toleranz und Solidarität. Ob man den Koran nimmt oder die Bibel, es gibt eine erstaunliche Übereinstimmung und die gleichen Wurzeln. Es geht alles auf Abraham zurück und die Ursprünge können auch räumlich nach Mesopotamien zurückverlegt werden. Auf der Liste des Welterbes stehen neben christlichen Kirchen muslimische Moscheen und buddhistische Tempel. Vom Aachener Dom über Jerusalem mit seinem Tempelberg bis zum Tempel von Nara in Japan. Das Welterbe ermöglicht also, das Verbindende zu finden. Es hilft, die Kultur des anderen zu respektieren. Notwendig ist, dass man sich gegenseitig respektiert und die Kultur des anderen anerkennt, also das Recht auf eigene Kultur. Das gehört zu den fundamentalen Rechten. Die Verletzung und die Zerstörung der kulturellen Identität ist, siehe Ukraine, ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit und die Menschheit.

Das heißt, es gibt einen starken Zusammenhang zwischen den Menschenrechten und dem Welterbe?

Von Droste zu Hülshoff: Das Welterbe ist ein gigantisches Unternehmen für den Frieden und für die Menschenrechte. Nur sagt es keiner und niemand stellt es so dar. Es muss so dargestellt werden und es muss so durchgearbeitet werden. Das Jiří Toman-Zentrum ist gefordert, das zu tun. Es ist höchste Zeit, das Thema von der ethisch-fundamentalen Seite noch ganz anders aufzuarbeiten.

Die UNESCO ist nach dem 2. Weltkrieg geschaffen worden, um zum Frieden der Menschheit beizutragen auf ihrem Gebiet, für das sie zuständig ist: Erziehung, Kultur, Wissenschaft und Kommunikation. Das Welterbe ist nicht umsonst hinzugekommen, weil es ja direkt verknüpft ist mit diesen Zielen. Dies müsste noch viel stärker herausgearbeitet werden.

Ich muss ganz ehrlich sagen, als ich mich mit dem Welterbe zum ersten Mal 1976 befasste, habe ich das auch noch nicht so gesehen. Damals glaubte man, Welterbe sei was Esoterisches oder Schöngeistiges, die schönsten Parks und die großartigsten Monumente. Und dann kam der ungeheure Schock, als es an die Erstellung der Liste ging. Als erstes waren die Polen an der Tür und sagten, wir wollen, dass die Welterbeliste anfängt und als erstes kommt Auschwitz auf die Liste. Wir hatten anfangs überhaupt nicht daran gedacht, dass der polnische Vertreter sagen würde, das Welterbe steht doch für das Ethische, für eine für uns wichtige Erinnerung. Auschwitz wurde dann nicht in der ersten Runde (1978), aber 1979 Welterbestätte, heute benannt als KZ Auschwitz-Birkenau. Von Anfang an kam diese ethische Dimension ins Spiel. Ich halte das für sehr viel wichtiger, als alles andere. Das habe ich am Anfang nicht so gesehen, muss ich gestehen.

Geht die derzeitige Entwicklung nicht auch wieder in eine andere Richtung? Die Erinnerungen an den 2. Weltkrieg verblassen, die Zusammensetzung des Welterbekomitees ändert sich Richtung mehr Diplomat_innen, der globale Süden wird stärker, politische Überlegungen werden dominanter.

Von Droste zu Hülshoff: Der ursprüngliche Ansatz lautete: die Verantwortung liegt bei den Politikern, unabhängige Fachbehörden bestimmen, ob die Konvention von den Ländern eingehalten wird. Das ist für die Kulturgüter ICOMOS und für die Naturgüter die International Union for Conservation of Nature (IUCN). Beide sollten auch Stimme und Gewicht im Welterbekomitee haben. Anfangs funktionierte das auch. In den ersten Jahren wurde auch verlangt, dass die Länder durch Fachleute vertreten werden. Erst ab dem Jahr 2000 hat sich das völlig geändert. Die aufkommende politische Diskussion war natürlich von Anfang an auch mit der Frage Jerusalem verknüpft und das ist sie bis heute – zunächst auf Ebene der UNESCO insgesamt, dann beim Welterbe. Die politischen Fragen beschäftigen natürlich bis heute das Komitee und führen dazu, dass es eine Lagerbildung gibt und Entscheidungen getroffen werden, die vorher innerhalb der UNESCO abgesprochen sind.

Das politische Spiel beim Welterbe war zu meiner Zeit als Direktor des Welterbezentrums nicht nur eines zwischen Nord und Süd. Es war damals auch noch das Spiel zwischen Ost und West. Und. Es gab zwischen der frankophonen und der anglophonen Welt sehr unterschiedliche Auffassungen über den Umgang mit dem Welterbe. Die anglophone Welt war beim Welterbe besser gerüstet, weil Kanada und die USA von vornherein Kulturgüterschutz und Naturgüterschutz in einer Hand vereint hatten, ein Modell, das ich vorgeschlagen hatte und welches die UNESCO später übernahm. Für die UNESCO ein sehr großer Schritt, denn sie war an sich sektoriell organisiert. Die damit verbundene Hoffnung war, die USA in die UNESCO zurück zu bringen. (Anm.: Die USA waren zwischen 1984 und 2004 und zwischen 2019 und Juli 2023 kein Mitglied bei der UNESCO)

Dieses Zusammenspiel hat sich als außerordentlich segensreich für das Welterbe ausgewirkt, denn das Management des Naturerbes war vorbildlich. Es gab Managementpläne, was es für das Kulturerbe überhaupt nicht gab. Mit der Zusammenlegung kamen auch neue Ideen, zum Beispiel, Kulturlandschaften auf die Liste zu nehmen. Das war ein Eye Opener für die Kultur.

Wenn Sie an die Zukunft denken, was ist das Entscheidende für die Entwicklung des Welterbes?

Von Droste zu Hülshoff: Es geht um die Werte, um die ethische Dimension. Es geht um die Nachhaltigkeit. Und es geht darum, wie wir das Welterbe retten. Seit Beginn der Welterbekonvention hat sich die Welt völlig verändert. Die Welterbekonvention ist entstanden aufgrund der Erfahrung des Zweiten Weltkrieges. Heute ist der Krieg ja nicht nur einer mit Waffen, sondern auch ein Krieg gegen die Natur, Stichwort menschgemachter Klimawandel. Und dieser Krieg ist überall sichtbar, in Venedig durch die Anstieg des Meeresspiegels ebenso wie in den Permafrostregionen, wo die Erde auftaut und das archäologische Erbe zerstört wird.

Für das Welterbe wird die Nachhaltigkeit durch unsere Form der Wirtschaft nicht garantiert. Die Erderwärmung ist das größte Zeichen, dass wir nicht nachhaltig leben. Dass wir zum ersten Mal das Klima selbst beeinflussen, ist ein völliger Bruch. Damit untergraben wir unsere Bemühungen, Natur und Kulturgüter zu erhalten. Es geht daher darum, aus dem Welterbe zu lernen, was Nachhaltigkeit ist und was nicht. Dafür wäre es ein guter Lehrmeister.

Das Gespräch führte Roman Tronner

 

Prof. Dr. Bernd Freiherr von Droste zu Hülshoff ist der Gründungsdirektor des UNESCO-Welterbezentrums, ehemals Beigeordneter Generaldirektor (ADG) der UNESCO und ein deutscher Forstwissenschaftler. Er begann seine Tätigkeit für die UNESCO 1974 und wurde ab 1977 Sekretär für das Weltnaturerbe. 1992 wurden auf seinen Vorschlag durch Generaldirektor Federico Mayor die bis dahin getrennten und überlasteten Sekretariate für das Weltnaturerbe und das Weltkulturerbe zusammengelegt. Von Droste zu Hülshoff stellt seine Expertise dem Jiří Toman Zentrum für kulturelles Erbe und humanitäre Normen an der Universität für Weiterbildung Krems zur Verfügung.

 

Wissenswertes

Das Jiří Toman Zentrum für kulturelles Erbe und humanitäre Normen

Das Zentrum wurde 2023 an der Universität für Weiterbildung Krems eingerichtet und nach dem ehemaligen Mitarbeiter am Department für Bauen und Umwelt, Univ.-Prof. DDr. Jiří Toman (1938-2020), benannt.

Das Jiří Toman Zentrum steht unter der wissenschaftlichen Leitung von Univ.-Prof. Mag. Mag. Dr. Dr. Peter Strasser, LL.M. Das Zentrum forscht an den Schnittstellen zwischen der Erhaltung des kulturellen Erbes, der Menschenrechte, des humanitären Rechts und den Tätigkeiten internationaler Organisationen in einem globalen Kontext. Kernstück des Zentrums ist die wissenschaftliche Bibliothek von Jiří Toman, die er noch zu seinen Lebzeiten der Universität für Weiterbildung Krems vermachte. Die rund 4000 Bände bieten einen Querschnitt durch das Völkerrecht mit Schwerpunkten auf Kulturgüterschutz, Menschenrechte, Humanitätsrecht, Streitbeilegung und Recht der internationalen Organisationen. Weitere Bücher- und Archivschenkungen von Prof. Dr. Bernd Von Droste zu Hülshoff zu Hülshoff (Gründungsdirektor des UNESCO-Welterbezentrums in Paris) und vom wissenschaftlichen Leiter des Jiří Toman-Zentrums über Welterbe und Recht ergänzen die umfangreiche Sammlung.

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