Angst macht hilflos, Kränkungen tun weh. Die Qualität bei der Arbeit leidet. Aber nicht immer sind die anderen an diesen Gefühlen Schuld – oft sind alte Geschichten der Auslöser. Eine Anleitung zur Selbsthilfe.
Von Lisa Breit
Er hatte kürzlich sein Studium abgeschlossen, einen neuen Job angefangen, als ihn die Angst packte. Sie krabbelte seinen Rücken hoch, brachte sein Herz so laut zum Pochen, dass er überzeugt war, alle anderen im Büro müssten es hören. Er hatte das Gefühl, mit festem Boden unter den Füßen zu fallen.
Das ist nun drei Jahre her, mittlerweile spricht Thomas M. unaufgeregt über diese Zeit, wenn auch nur anonym. Auslöser für die Angst war seine Vorgesetzte: Ein Mensch mit starken Stimmungsschwankungen, die sich in einem Moment freundlich und interessiert gab, im nächsten laut wurde. Der mit ihren Kommentaren auch oft unter die Gürtellinie traf. Thomas M.s Eindruck: Wie gut seine Arbeit bewertet wurde, hing allein davon ab, wie gut seine Chefin geschlafen oder ob sie mit ihrem Mann gestritten hatte.
Jeder kennt dieses Gefühl der Angst. Rainer Gross, Psychiater und Psychoanalytiker in Wien, nennt sie gar „den zentralen negativen Gefühlszustand in unserem Leben“. In seinem Buch „Angst bei der Arbeit - Angst um die Arbeit“ beschreibt er die Biologie der Angst: In grauer Vorzeit schützte sie die Urmenschen vor Gefahren wie Raubtieren oder Naturkatastrophen. Unsere Vorfahren waren in Alarmbereitschaft konnten in Sekundenschnelle reagieren und entscheiden: Fliehen oder kämpfen?
Heute sind die Gründe für die Angst natürlich ganz andere. Dem einen schlottern vor dem Bewerbungsgespräch die Knie, der andere hat Panik, Fehler zu. Die Auslöser für die Angst unterscheiden sich nach sozioökonomischem Status, schreibt Psychiater Gross. Auf seinem Therapiesessel saßen höchst unterschiedliche Menschen, von der Supermarkt-Kassiererin bis zum Unternehmensberater. Während erstere Existenzängste habe, sich Sorgen mache, nicht mehr mithalten zu können und selbst den schlecht bezahlten Job zu verlieren, plage letzteren vor allem die Panik zu versagen, berichtet Gross.
Angst durchaus hilfreich
Das Angst-Zentrum im Gehirn ist die Amygdala, der Mandelkern. „Sie wird in dem Moment aktiviert, in dem man mit dem angstauslösenden Reiz konfrontiert ist“, sagt Thomas Probst, Professor an der Donau-Universität Krems. Der Leiter des Zentrums für Psychotherapie, Psychologie und Beratung sagt: „Angst kann durchaus hilfreich sein.“ Ohne sie wäre der Mensch wahrscheinlich längst ausgestorben. Aber auch heute noch warnt sie uns vor Gefahren, wir sind zu Höchstleistungen fähig, ruhen uns nicht einfach auf Erfolgen aus. „Es ist grundsätzlich also durchaus sinnvoll und positiv, Angst zu erleben“, sagt Probst. Allerdings nur in einem gewissen Ausmaß – und für eine gewisse Zeit.
Denn wer sich über einen längeren Zeitraum ständig fürchtet, kann krank werden. Grund ist der ständige Stress, in dem sich der Körper befindet. Psychiater Gross bringt einen Vergleich: „Wenn ich zu Hause eine Alarmanlage habe und sie anschlägt, wenn der böse Einbrecher kommt, ist das super. Wenn ich aber eine habe, die bei jeder Kleinigkeit heult, kostet das wahnsinnig viel Strom, es nervt und bringt nichts.“ Analog dazu: Ist die menschliche Alarmanlage andauernd aktiv, erhöht sich das Cortisol-Level im Blut dauerhaft und unnötig viel Energie wird verbraucht. Die Folgen äußern sich physisch in Herzkreislauf-Problemen, einem erhöhter Blutdruck und Diabetes-Risiko. Aber auch psychisch, etwa in Schlafproblemen, Erschöpfung und Depression. Mögliche Auswirkungen sind auch Alkohol- oder Drogenabhängigkeit. Betroffene versuchen, das Problem abzutöten.
Ebenfalls typisch, sagt Gross: „Man kann an nichts anderes mehr denken als an den Auslöser der Angst.“ Wenig überraschend leidet dadurch auch die Qualität der Arbeit. „Man hat nur noch Augen und Ohren für Informationen, die einem sagen: Wird der Chef gleich wieder schreien? Dementsprechend bleiben einem nur noch wenig kognitive Ressourcen für anderes übrig.”
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„Hat man früher eine Auseinandersetzung mit Kollegen oder Autoritätspersonen erlebt, kann sich Angst vor weiteren solchen Auseinandersetzungen entwickeln.“
Thomas Probst
Kränkungen sind subjektiv
Neben der Angst können auch Kränkungen den Arbeitstag zur Qual machen. Man ist hilflos, wütend, trotzig, fühlt sich abgewertet, missachtet, ausgeschlossen, aus dem inneren Gleichgewicht gebracht. Kränkungen können die verschiedensten Ursachen haben: Die Kollegen lassen einen nicht am Büro-Klatsch teilhaben, der Chef vergibt die wichtigen Aufgaben immer nur an andere Mitarbeiter, das Projekt, in das man viel Herzblut gesteckt hat, wird verrissen. Auch eine jahrelang ausbleibende Beförderung kann verletzen.
Wie Ängste sind Kränkungen sehr subjektiv. „Wir selbst sind es, die entscheiden, ob eine Bemerkung, Handlung oder eine Unterlassung uns negativ berührt oder nicht“, sagt die Psychotherapeutin Bärbel Wardetzki. Wer gekränkt ist, versteht das Geschehene als Abwertung seiner Person, schreibt Wardetzki in ihrem Buch „Kränkungen am Arbeitsplatz“: „Bei der Kränkung verschiebt sich ein Konflikt von einer sachlichen auf die persönliche Ebene.“ Man kann nicht mehr trennen zwischen seiner Funktion im Job und seinem Wesen als Mensch, das Selbstwertgefühl leidet. Auch die Kränkung kann auf Dauer krank machen. Und ebenfalls die Qualität der Arbeit massiv beeinflussen.
Angst und Kränkung haben noch etwas gemeinsam: Sie hängen meist mit alten Geschichten zusammen. „Hat man zum Beispiel früher eine Auseinandersetzung mit Kollegen und Kolleginnen oder Autoritätspersonen erlebt, kann sich Angst vor weiteren solchen Auseinandersetzungen entwickeln“, sagt Probst. Bei einer Kränkung liegt der Auslöser oft ebenfalls lange zurück, teilweise bis in die Kindheit, in der sich jemand zu wenig beachtet oder oft ausgeschlossen gefühlt hat. Diese schlechten Erfahrungen, erklärt Probst, könnten dann zu einer Art Grundüberzeugung werden, mit der man durchs Leben geht. „Durch aktuelle Zurückweisungen werden die früheren Wunden aktiviert und wir erleben im gegenwärtigen Schmerz zugleich den alten“, sagt Wardetzki.
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„Man kann und sollte Angst und Kränkung durch andere nicht nur alleine kompensieren.“
Barbara Schober
Das stärke die Resilienz, also die Widerstandsfähigkeit. Diese Eigenschaft beschreiben die Experten und Expertinnen als einen Schutzfaktor gegen die Angst. Man könne sie auch verbessern, indem man Dinge tut, die einem Spaß machen. „Alles was positiv, gesund und sinnstiftend ist und nicht Arbeit, ist gut“, sagt Psychiater Gross. Beispielsweise sei der regelmäßige Kontakt mit Freunden und Familie wichtig, sagt Barbara Schober, Dekanin der Fakultät für Psychologie an der Universität Wien. „Von ihnen kann man ganz persönliche Wertschätzung erleben, sodass man eigene Stärken wieder erkennt.“ Professor Probst empfiehlt konkret, sich zu überlegen, was andere Lebensbereiche sind, die einem Werte oder Orientierung geben: Sport, Kultur oder sonstige Hobbys. „Es ist essentiell, dass man nicht nur den Job hat, um sich selbst zu definieren.“
Bei Selbsthilfe-Apps für das Smartphone, wie es sie immer häufiger gibt, rät Probst derzeit zur Vorsicht. „Die sind leider noch selten wissenschaftlich fundiert. Sinnvoll zur Selbsthilfe seien andere Maßnahmen wie Achtsamkeits- oder Entspannungsübungen. „Das ist etwas, bei dem viele die Augen verdrehen. Aber sie funktionieren“, sagt Gross. Und zwar indem sie die Aufmerksamkeit für das Hier und Jetzt erhöhen, Stress reduzieren, dabei unterstützen, Sorgen und Ängste distanzierter zu betrachten. Für Gelassenheit sorgen. Gross kennt eine einfache Übung: Den Sessel umdrehen, aus dem Fenster den Wolken beim Vorbeiziehen zuschauen und zehn Minuten nichts tun. Auch in den Arbeitsalltag könne man derlei Achtsamkeitstechniken einbauen, legt der Professor nahe. Er empfiehlt etwa, regelmäßig „ein paar Minuten lang eine Atemübung zu machen.“
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„Inwieweit bin ich Co-Architekt meines eigenen Unglücks.“
Rainer Gross
Mit Vorgesetzten sprechen
Und wie verhält man sich gegenüber Kollegen und Vorgesetzten? Sollte man sich outen, seine Angst, seine Kränkung zeigen? Psychotherapeutin Wardetzki empfiehlt, unbedingt professionell zu bleiben. „Es bringt nichts, wutentbrannt zu Ihrem Kollegen zu stürmen und ihm all das an den Kopf zu werfen, was Sie auf dem Herzen haben.“ Wenn man allerdings zur Erkenntnis kommt, dass die Bedingungen für einen nicht mehr erträglich sind, "es also nicht nur eine momentane persönliche Überempfindlichkeit ist“, solle man mit Kollegen oder Vorgesetzten sprechen, sagt Psychologin Schober. „Da hat es wenig Sinn, das mit sich selbst auszumachen. Man kann und sollte Angst und Kränkung durch andere nicht nur alleine kompensieren.“ Wichtige Voraussetzung, um offen über Probleme reden zu können, sei eine Unternehmenskultur, in der das auch möglich ist, fügt sie hinzu.
Was man noch tun könne, sagt Probst: Seine Bedürfnisse äußern, „etwa sagen: Diese Aufgabe will ich lieber nicht annehmen, ich will lieber meine anderen gut machen. Viele können nicht nein sagen und haben dann Stress und Angst, nicht alles zu schaffen.“
Hilfreich im Arbeitsalltag sei schließlich, sich zunächst vor allem Aufgaben vorzunehmen, in denen man gut ist - um das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten wieder zu gewinnen. Die wissenschaftlich am meisten untersuchte und erfolgversprechendste Möglichkeit, Angst zu reduzieren oder ihr vorzubeugen, sei jedoch, sich regelmäßig in die angstbesetzte Situation zu begeben, sagt Probst. Dabei gilt jedoch, es langsam anzugehen, sich nicht zu viel vorzunehmen. „Seien Sie gnädig zu sich selbst“, sagt Psychologin Schober. „Es ist nicht nötig und auch gar nicht möglich, in allem perfekt zu sein. Man sollte sich immer auch Unzulänglichkeiten erlauben.“
Wer also seine wunden Punkte kennt, sich emotionale Schutzschilder schafft und lernt, der kann Angst und Kränkung entschiedener entgegentreten. Bei Thomas M. hat es funktioniert. Nach einem Coaching ist es ihm gelungen, die Launen seiner Chefin weniger persönlich zu nehmen. In kritischen Situationen bricht ihm nun nicht mehr gleich der Schweiß aus. Nach der Arbeit kocht er oder geht ins Kino, am Wochenende mit Freunden wandern. M. weiß jetzt, dass es in ihm einen sicheren Kern gibt, den nichts und niemand erschüttern kann. Schon gar keine cholerische Chefin.
Lisa Breit ist Redakteurin beim Standard. Sie schreibt über die Themen Arbeit und Bildung.
Thomas Probst
Univ.-Prof. Dr. Thomas Probst ist Universitätsprofessur für Psychotherapiewissenschaften am Department für Psychotherapie und Biopsychosoziale Gesundheit der Donau-Universität Krems. Er studierte Psychologie an der Universität Regensburg, absolvierte die Ausbildung zum Psychologischen Psychotherapeuten im Richtlinienverfahren Verhaltenstherapie und promovierte sich in Psychologie an der Humboldt-Universität zu Berlin.
Rainer Gross
Dr. Rainer Gross ist Psychiater und Psychoanalytiker in Wien
Barbara Schober
Univ.-Prof. Dr. Barbara Schober ist Dekanin der Fakultät für Psychologie an der Universität Wien
Bärbel Wardetzki
Dr. Bärbel Wardetzki ist Psychotherapeutin, Supervisorin und Coach. Die gebürtige Berlinerin ist Autorin des Buchs „Kränkung am Arbeitsplatz. Strategien gegen Missachtung, Gerede und Mobbing“.
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