07.08.2024

Am 27. Juli 2024 referierte Prof. Strasser im Rahmen der 8. International Conference on Culture and History (2024 8th ICCH) in Wien über das Thema The other side of the coin: How to exhibit contested aspects of cultural heritage? Reflections on approaches undertaken at the European Capital of Culture 2024 Salzkammergut / Bad Ischl.

2023 und vor allem anlässlich der „Europäischen Kulturhauptstadt 2024 Salzkammergut / Bad Ischl“ wagten sich einige österreichische Museen an ein herausforderndes Thema: NS-Raubkunst, deren Kommerzialisierung und Einlagerung, Rettung und (Nicht-) Rückgabe sollten Besuchern und Besucherinnen vermittelt werden. Die Herausforderung war, dass in den Ausstellungen nicht nur „haptische“, gegenständliche Objekte präsentiert werden sollten, sondern auch immaterielle Aspekte, wie (Un)Recht und Werthaltungen. Zudem sollten sich die Ausstellungen nicht nur an das örtliche Publikum richten, sondern sich an all jene wenden, denen Menschenrechte, Rechtstaatlichkeit und Gerechtigkeit ein Anliegen sind.

Ausstellungen über Kulturgüterschutz stellen in Österreich kein Neuland dar; bereits 1985 organisierte das Bundesdenkmalamt mit der NGO „Österreichische Gesellschaft für Kulturgüterschutz“ eine Reihe von Wanderausstellungen, die sich mit geistiger Landesverteidigung, Katastrophenschutz und mit dem 40. Jahrestag der Rettung der Kunstschätze in den Salzstollen von Altaussee beschäftigten.

2023 wurde die Einlagerung und der Schutz des Kulturgutes schließlich in einem weiteren Kontext betrachtet: Unzählige Kunstwerke (aber auch volkskundliche Objekte) waren in Sammlungen (und später in den Bergungsstollen) während der NS-Zeit nicht einfach „plötzlich da“, sondern legten zuvor – euphemistisch – eine „Reise“ zurück, deren „Fahrkarte“ auf das NS-Unrechtssystem zurückgeht: Enteignungen von Kunstsammlungen von Juden und Jüdinnen, Raubzüge in den Museen und Kirchen in eroberten Gebieten wie auch Umzugsgut von jüdischen Auswandernden, das dann von der NS-Bürokratie den Eigentümern und Eigentümerinnen nicht nachgeschickt wurde, stellten jenen Bestand dar, der ab 1943 in den Salzstollen in Altaussee eingelagert wurde – dazu kamen Kunstschätze aus Museen aus dem Deutschen Reich selbst, das eine bombensichere Aufbewahrung benötigte. Der Unrechtsbezug blieb aber nicht auf die Enteignung und auf den Raub während der NS-Zeit beschränkt. Ohne die Nachkriegspraxis in Österreich mit der NS-Willkür gleichsetzen zu wollen, hatten es nach 1945 die Opfer schwer, in Österreich zu ihrem Recht, sprich zu ihren früheren Beständen, zu kommen. Ausfuhrgenehmigungen mussten z.B. mit „Kompensationsgeschäften“ erkauft werden (d.h. für die Erteilung der Ausfuhr einer Sammlung mussten wertvolle Objekte im Inland / in den heimischen Sammlungen verbleiben.)

Das Österreichische Museum für Volkskunde in Wien ging 2023 mit gutem Beispiel voran: Mit dem Titel: Gesammelt um jeden Preis! Warum Objekte durch den Nationalsozialismus ins Museum kamen und wie wir damit umgehen wurde anlässlich des 25. Jahres-Jubiläums des Kunstrückgabegesetzes 1998 erstmals das komplexe Thema der Restitution im Kontext des NS-Unrechtsregimes im Wege einer Ausstellung erarbeitet und vermittelt. Der eher abstrakte Ausstellungs-Abschnitt über (Un)Rechtsvorschriften und Verwaltungsabläufe wurde durch die rund 600 ausgestellten Artefakte der „Sammlung Konrad Mautner“ in einen realitätsnahen Zusammenhang gestellt: die volkskundlich wertvolle Sammlung hat das Volkskundemuseum von der Witwe des Sammlers, Anna Mautner, 1938 weit unter dem wahren Wert „gekauft“. Erst nach 2015 wurde die Sammlung vom Museum an die Erben restituiert, die sie wiederum dem Museum als Zeichen der Versöhnung zurückschenkten.

Aktuelle Ausstellungen über das Sammler-Ehepaar Anna und Konrad Mautner führen uns in die Europäische Kulturhauptstadt Salzkammergut: Noch bis zum 31. August zeigt die „Kulturelle Arbeitsgemeinschaft Grundlsee“ im „kaiserlichen Stall“ in Grundlsee die Ausstellung „Konrad & Anna Mautner – zwei außergewöhnliche Leben zwischen Wien und Gößl“ und im Museum der Stadt Bad Ischl werden aus Anlass 100. Todestages von Konrad Mautner unter dem Titel „Das andere Leben“ Fotos vom Salzkammergut aus seiner Sammlung vorgestellt (bis 15. Dezember 2024).

Bis 28. September 2024 läuft im Lentos Museum in Linz die Ausstellung „Die Reise der Bilder“. Dass dieser Titel aber nichts mit Tourismus zu tun hat, stellt der Untertitel klar: „Hitlers Kulturpolitik, Kunsthandel und Einlagerungen in der NS-Zeit im Salzkammergut“. Die Ausstellung vermittelt die Gründlichkeit des verübten Kunstraubes: Die in ganz Europa „zusammengestohlenen“ Kunstwerke (sei es aus Museen, Kirchen oder konfiszierte Sammlungen – vor allem jüdischer Provenienz) sollten unter dem Decknamen Sonderauftrag Linz als Grundstock für das geplante „Führermuseum“ in jener Stadt dienen. Dieser Kunstschatz enormer Bedeutung befand sich zu Kriegsende in den Steinbergstollen von Altaussee, bevor er – mit Hilfe des amerikanischen Militärs – soweit es eben ging, wieder restituiert wurde.

Das Salzkammergut beherbergte zu Kriegsende nicht nur das damals größte europäische Kulturgutdepot in den Salzstollen oberhalb von Altaussee, sondern es diente während der Kriegszeit auch als Rückzugsort für „NS-affine“ Personen.

Zu diesem Personenkreis zählte auch Wolfgang Gurlitt (1888-1965), der in Berlin zunächst als Sammler und Kunsthändler (u.a. für beschlagnahmte und „entartete“ Kunst) tätig war und in Folge des Bombenkrieges sich mit seiner Familie (samt seiner jüdischen Partnerin Lilly Christansen-Agoston) in Bad Aussee niederließ. Nach dem Krieg und nach dem Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft übergab er der damaligen Neuen Galerie der Stadt Linz, Wolfgang-Gurlitt-Museum“ (heute Lentos Kunstmuseum) seine Kunstsammlung und wurde 1946 der künstlerische Leiter der Galerie. Diese Position hatte er bis 1956 inne, bis ihm die unsaubere Trennung als Leiter und Kunsthändler zum Verhängnis wurde. Den Versuch der Stadt Linz, um 1960 seinen Namen aus der Museumsbezeichnung zu tilgen, konnte er gerichtlich verhindern. Das Kammerhofmuseum in Bad Aussee zeigt bis 3. November 2024 die Ausstellung Wolfgang Gurlitt – Kunsthändler und Profiteur in Bad Aussee.

Wie erwähnt, dienten die Stollenanlagen für das Salzbergwerk Altaussee während des zweiten Weltkrieges als Bergungsstätte für Kulturgut. Dieser damals größten Kulturgutsammlung Europas (in den acht stillgelegten Anlagen lagerten 6500 Gemälde sowie unzählige andere Kunstwerke aus ganz Europa – mit einem Schätzwert von damals rund 3,5 Milliarden US$) wurde 2014 von George Clooney in The Monuments Men ein filmisches Dokument gesetzt. Die beabsichtigte Sprengung der Stollen zu Kriegsende konnte verhindert werden. Wie soll man nun mit diesem Unrechts-geladenen Ort umgehen? Anlässlich der Kulturhauptstadt Europas 2024 wird die Graphic Novel „Verborgen im Fels“ des Künstlers Simon Schwartz in den Ausstellungsräumen des Steinberghauses präsentiert: Ein Comic vermittelt nun die besondere Bedeutung dieses Ortes. So werden der Kunst-Raubzug in Europa, die Einlagerungen wie auch die Rettung und Restitution der Kulturgüter auch Jugendlichen einprägsam vermittelt.

Beschäftigen sich die Ausstellungen in Wien, Linz, Bad Aussee und im Salzbergwerk mit dem Kunstraub während der NS-Zeit und mit dem späteren Umgang dieses Unrechts, so spannt die im Rahmen der Europäischen Kulturhauptstadt ebenfalls vom Lentos Museum kuratierte Ausstellung im Alten Marktrichterhaus in Lauffen bei Bad Ischl auch Bezüge zu den Erwerbungen im kolonialen Kontext, über Restitutionsbemühungen, bis hin zum „kulturellen Genozid“ der Gegenwart durch systematische Zerstörungen und Plünderungen des kulturellen Erbes während kriegerischer Handlungen. Der Ort dieser Ausstellung, die bis zum 1. September 2024 läuft, ist nicht zufällig gewählt: Ab Ende 1944 bis zum Kriegsende wurden im dortigen Salzbergwerk Bestände der Wiener Museen bombensicher eingelagert.

Zu Wort kommen hier Künstler und Künstlerinnen der Gegenwart. Der Ausstellungskatalog bemerkt hierzu: „Als Schaffende von Werken sind Künstlerinnen und Künstler essenziell mit Objekten und deren Bedeutungszusammenhängen verbunden und für deren (Miss-)Verhältnisse sensibilisiert. […] So geben [sie] auch Impulse für neue Strategien, wie Museen und Sammlungen mit diesem belasteten Erbe umgehen und ihre Verantwortung zwischen Restitution und Bewahrung des Kulturerbes der Menschheit wahrnehmen können.“ (Katalog „Das Leben der Dinge“, S. 5)

Diesem Anspruch ist nichts hinzuzufügen.

 

Peter Strasser

Weiterführende Literatur:

  • Die Reise der Bilder : Hitlers Kulturpolitik, Kunsthandel und Einlagerungen in der NS-Zeit im Salzkammergut. München: Hirmer 2024, ISBN 978-3-7774-4307-2
  • Simon Schwartz: Verborgen im Fels : Der Berg, das Salz und die Kunst. Berlin: avant 2024, ISBN 978-3-96445-111-8
  • Lentos Kunstmuseum Linz: Das Leben der Dinge : Geraubt – verschleppt – gerettet. (Saalheft). Linz 2024
  • Kathrin Pallestrang, Magdalena Puchberger, Maria Raid (Hg.): Gesammelt um jeden Preis! Warum Objekte durch den Nationalsozialismus ins Museum kamen und wie wir damit umgehen. Wien: Österreichisches Museum für Volkskunde 2023, 175 S., zahlreiche Abb. (= Kataloge des Österreichischen Museums für Volkskunde, Bd. 108)
  • Peter Strasser: Buch- und Ausstellungsbesprechung über die Publikation von Pallestrang / Puchberger 2023, in: Österreichische Zeitschrift für Volkskunde, Bd. LXXVIII (neue Serie) / Gesamtserie Bd. 127, H. 1 (2024), S. 173-178

 

 

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