Norbert Wiederer, MBA verbindet zwei Welten. Er arbeitet nicht nur als First Officer der A320-Flotte bei der Lufthansa, sondern verantwortet als Referent „Operations Support and Flight Crew Communication“ auch einen anspruchsvollen Kommunikationsjob im Unternehmen. Während seiner Masterarbeit setzte er sich mit dem Thema Löschflugzeuge auseinander und eröffnete sich ein weiteres Feld für Entwicklung.
Ein Gespräch über intuitive Entscheidungen, den Drang Neues zu erkunden und die richtige Dosis Gelassenheit.
Wann wussten Sie, dass Sie Pilot werden möchten?
Das habe ich ganz spontan gewusst. Nach dem Abitur haben wir eine private Klassenfahrt nach Lloret de Mar organisiert. Wir sind damals von Nürnberg nach Barcelona geflogen und auf diesem Flug habe ich beschlossen: Ich werde Pilot. Das war eine Entscheidung von zehn Sekunden. In Barcelona bin ich dann sofort in ein Internet-Café gegangen und habe mir die Website von der Lufthansa angeschaut, inklusive Bewerbungsformular.
Erinnern Sie sich noch, was für ein Flugzeug es war?
Es war wahrscheinlich ein Airbus, aber so genau wusste ich es damals gar nicht. Aus meiner damaligen Perspektive war es irgendein Flugzeug. Ich habe mich dann natürlich auf den Bewerbungsprozess und die Einstellungstests vernünftig vorbereitet. Aber der initiale Trigger war wirklich diese Abiturfahrt. Die Entscheidung, Pilot zu werden, stand damit für mich fest. Es war sozusagen Liebe auf den ersten Blick.
Zum Glück hat dann alles optimal funktioniert. Nach einem halben Jahr hatte ich einen Platz für die Einstellungstests. In der Zwischenzeit hatte ich begonnen, Chemie zu studieren. Das war sozusagen mein Plan B, falls aus der Ausbildung zum Piloten nichts wird. Die Einstellungstests haben sich etwas hingezogen, aber nachdem ich sie absolviert hatte, konnte ich gleich in der Flugschule anfangen und schließlich den Flugschein machen. Ich bin dann auch sofort – ohne Zeitverlust – von der Lufthansa übernommen worden. Das war wirklich ideal.
Wohin führte Ihr erster Flug?
Mein erster Flug war ein ganz alltäglicher Routineflug: Frankfurt, Brüssel - Brüssel, Frankfurt. Am Hinflug ist noch mein Ausbildungskapitän geflogen und Brüssel - Frankfurt bin ich geflogen. Danach ging es dann gleich in entferntere Destinationen. Mein nächster Flug, zum Beispiel, ging nach Kasan (Russland).
Ich war dann in Frankfurt stationiert und war bald in ganz Europa unterwegs. Das war natürlich super! Und ist auch heute noch super. Aber in der Anfangsphase - ich war mit 22 Jahren mit der Pilotenausbildung fertig - war es überhaupt das Höchste.
Was hat Sie zu Beginn am Beruf des Piloten am meisten fasziniert?
Die Kombination aus allem, würde ich sagen. Ich konnte mein technisches Interesse einbringen, einfach nur dadurch, dass das Flugzeug ein technisches Gerät ist. Aber auch die zwischenmenschlichen Themen haben mich sehr interessiert. Man lernt viele Menschen kennen, nicht nur die Crew, sondern auch die Menschen vor Ort.
Mit Anfang zwanzig war ich an Orten, die ich vorher erstmal im Atlas suchen musste. Das war eine großartige Möglichkeit neue Kulturen zu entdecken, gleichzeitig konnte ich die Sprachen, die ich in der Schule gelernt habe, nutzen. Das war unglaublich inspirierend und hat für mich wirklich gepasst. Und es passt noch immer. Für mich ist es mehr als ein Beruf. Ich sage bis heute nicht, dass ich in die Arbeit gehe. Ich sage: „Ich gehe zum Flieger“. Das Wort „Arbeit“ benutze ich eigentlich nie in Kombination mit einem Flug.
In welcher Kombination verwenden Sie es?
Da muss ich nachdenken. Vielleicht in Kombination mit „E-Mails abarbeiten“. Ich mache eigentlich alles gern, was ich tue. Die Tätigkeiten, die ich momentan mache, erfüllen mich auch. Es ist immer eine gewisse Herzensangelegenheit dabei.
Mir war irgendwie immer schnell klar, wie es weitergeht und so hat sich der nächste Schritt logisch ergeben.
Norbert Wiederer, MBA
Absolvent - MBA Aviation Management
Heute haben Sie auch Führungsverantwortung?
Teils, teils. Nach sieben Jahren Fliegen, hatte ich das Gefühl, ich könnte ja nicht nur fliegen, sondern in diesem Unternehmen auch in einem anderen Bereich arbeiten. Mein Arbeitgeber ist ein großer Konzern und bietet viele tolle Möglichkeiten. Damals wurde gerade eine Stelle in der Kommunikationsabteilung des Flugbetriebs frei. Gesucht wurden Piloten und Pilotinnen, die das Umfeld „draußen“ kennen, für die interne Kommunikation mit den Piloten und Pilotinnen. Das war wieder genau das Richtige für mich. Nach sieben Jahren Fliegen war ich auch innerlich für so eine Veränderung bereit.
So bin ich in die Kommunikation gekommen. Dort ist auch zum ersten Mal das Thema „Studium“ relevant geworden, denn es war so, dass zum Aufstieg in eine Managementposition ab einer gewissen Stufe ein Studium Formalkriterium ist. Einige Arbeitskolleg:innen und auch mein Chef haben in Krems studiert und so war der Draht zur Universität für Weiterbildung Krems schnell gelegt.
Mir war rasch klar, dass ich studieren möchte. Ich habe mir damals gesagt: „Na gut, ich verstehe jetzt die Fliegerwelt, ich verstehe die Grundsätze unserer internen Organisation. Jetzt ist es Zeit, mich selber nochmal weiterzuentwickeln“.
Viele Entscheidungen in meiner Karriere sind ähnlich verlaufen. Mir war irgendwie immer schnell klar, wie es weitergeht und so hat sich der nächste Schritt logisch ergeben.
Wie ist es, wenn man als Pilot in der operativen Kommunikation arbeitet?
Es ist eine ganz andere Welt! Ich habe dadurch nochmal einen anderen, sehr bereichernden Einblick in den Konzern bekommen und eine neue Perspektive gewonnen. Man lernt ganz andere Menschen kennen und baut ein breites Netzwerk auf. Mir hat die Kombination wirklich sehr gut gefallen. Da ich selbst aus der Pilotenschaft komme, weiß ich, wie ich mit den Kollegen:innen reden muss und ich hatte auch das Gefühl, dass ich in der Rolle als Mittelsmann zum Management von den Piloten:innen geschätzt wurde, weil ich einer von ihnen bin. Ich bin ja selber noch zu 50% im fliegerischen Dienst und war sozusagen „best of both worlds“. Ich mache die Kommunikatorenstelle bis heute und betreue die internen Crew-Foren für die Pilot:innen. Das läuft noch immer sehr gut.
Was hat Sie bei dieser neuen Tätigkeit am meisten erstaunt?
Die größte Überraschung für mich waren zwei Dinge: zum einen der Aspekt „Zeit“.
Beim Fliegen haben wir immer klare und strukturierte Entscheidungsprozesse: in bestimmten Situationen ist auf eine bestimmte Art zu reagieren. Wenn zum Beispiel auf einem Flug schlechtes Wetter auftritt, müssen wir unmittelbar eine Entscheidung treffen. Da kann man nicht sagen: Darüber denke ich noch mal nach oder lassen wir den Text mal ruhen und stimmen uns mit Kolleg:innen ab oder wir sammeln noch weitere Fakten.
Neu war auch, dass mich Aufgaben über eine längere Zeit und auch nach Dienstende begleiten. Bei einem Flug ist die Aufgabe erfüllt, wenn man den Zielort erreicht hat. Der Flieger steht sicher da und man ist zufrieden, 200 Menschen sicher von A nach B befördert zu haben. Am Ende eines Arbeitstages ist man fertig mit seiner Arbeit.
Das ist in der Kommunikation nicht so und das war neu für mich. Am Ende eines Arbeitstages habe ich immer noch offene E-Mails und es geht weiter. Man schließt vielleicht eine Thematik ab, aber wenn man zum Beispiel in mehrjährigen Projekten drin ist – wir haben zum Beispiel neue Software Tools eingeführt und unsere Kommunikationslandschaft verbessert – nimmt man das als kontinuierliches Arbeitspaket mit sich. Man hat nicht mehr so sehr das Gefühl: „Jetzt ist Feierabend und ich bin fertig.“ Beruf und Privatleben verschwimmen mehr. In der Kommunikatorenrolle kann es vorkommen, dass nach Feierabend ein Anruf kommt, weil etwas passiert ist, und wir einen Kommunikationsauftrag haben.
Der zweite Aspekt, der für mich in der Kommunikation neu war, betraf die Arbeitsorganisation. Als Pilot sind die Arbeitsabläufe sehr genau vorgegeben. In einem Kommunikationsjob muss man sich viel stärker selber strukturieren und selbst organisieren. Man muss lernen, wie man mit der nicht aufhörenden Workload umgeht, wie man Prioritäten setzt und letztlich sein Leben arrangiert.
Man muss lernen, wie man mit der nicht aufhörenden Workload umgeht und Prioritäten setzt.
Norbert Wiederer, MBA
Absolvent - MBA Aviation Management
In dieser Zeit entstand auch Ihr Wunsch, ein MBA-Studium zu absolvieren.
Genau. Mir war klar, dass ich weiterkommen wollte und für eine höhere Managementfunktion, ein Studium Voraussetzung ist. Auch mein Chef, der selbst an der Universität für Weiterbildung in Krems studiert hat, legte mir diesen Schritt nahe. In meinem Umfeld waren insgesamt drei Kollegen, die entweder gerade dort studierten oder schon fertig waren. Diese Kollegen waren für mich so etwas wie Vorbildkollegen. Sie hatten Weitblick, waren zwischenmenschlich sehr gut und hatten durch das Studium nochmal einen deutlichen Entwicklungsschritt gemacht. Daher war mir völlig klar, dass ich in Krems studieren wollte. Im Jahr 2020 habe ich mit dem MBA-Studium Aviation Management schließlich begonnen.
Wie ist es Ihnen im Studium gegangen?
Mein Studium fand aufgrund der Corona-Pandemie im Home-Office statt. Ich war einer der wenigen, die während der Pandemie Vollzeit arbeiteten, weil ich sehr flexibel einsetzbar war. Ich war immer noch im fliegerischen Dienst und bin die paar Flüge geflogen, die noch möglich waren. Gleichzeitig haben wir in der Kommunikationsabteilung sehr viel an Informationen und Regularien verarbeitet. Ich war damals zuständig für die Covid-Einreisebestimmungen für unsere Crews.
Ich habe also im Home-Office gearbeitet und studiert. Am Anfang war das nicht einfach, weil für Studierende und Professor:innen das Online-Studieren bzw. Lehren neu war. Aber nach einer gewissen Findungsphase sind die Online-Vorlesungen sehr professionell geworden, auch didaktisch war das Studium sehr gut. Und dann war es sehr praktisch für mich: ich konnte von zu Hause arbeiten und studieren.
Durch die vielen Lockdowns waren viele Tage alternativlos, in dem, was man tun konnte. Ich konnte meine Tage perfekt füllen mit Homework schreiben oder Literatur lesen. Die Zeit der Pandemie war für das Weiterkommen im Studium, also für das pure fachliche Weiterkommen, perfekt. Gleichzeitig fehlte natürlich die persönliche Interaktion mit den Mitstudierenden, das Kennenlernen am Campus oder gemeinsame Mittagessen an der Uni. Das macht ein Studium ja auch aus.
Welche Fächer oder Themen haben Sie im Studium am meisten interessiert?
Ich glaube, mich hat vor allem die Vielfalt der Fächer angesprochen. Es ging los mit Luftrecht, dann hatten wir International Business, Airport Management und Marketing. Ich bin zwar meistens mit einer einzigen Tätigkeit glücklich, aber ich habe unterschiedliche Interessen. Daher war das Studium für mich immer interessant. Alle Fächer waren zwar Luftfahrtgebunden, aber inhaltlich sehr unterschiedlich. Unter dem Mantel des Luftfahrtsmanagements waren wir im Studium unglaublich facettenreich unterwegs.
Jedes Modul wurde von einem anderen Professor bzw. Professorin unterrichtet, jedes beschäftigte sich mit einer unterschiedlichen Thematik, aber alle Module waren miteinander verknüpft. Es war, wie wenn man mit einer Taschenlampe immer auf eine andere Stelle leuchtet und dabei stets Neues entdeckt.
Sie haben Ihr MBA-Studium abgeschlossen. Was ist Ihr nächster Schritt?
Ich bin mit Ende der Corona-Pandemie mit dem Studium fertig geworden. Die letzte Phase des Studiums war sehr fordernd, weil ich einerseits meine Masterarbeit geschrieben habe, andererseits wieder viel geflogen bin - mehr als sonst - und im Büro war natürlich auch wieder mehr los. Meine Tage waren wirklich sehr voll und ich war froh und stolz, als ich im Oktober 2023 mit dem Studium fertig war.
Die Masterthesis ist eine Herausforderung?
Ja, auf jeden Fall. Bei der Masterthesis beschäftigt man sich inhaltlich intensiv mit seinem Thema, gleichzeitig findet aber auch eine Persönlichkeitsentwicklung während dieser Zeit statt. Die Masterarbeit wächst und man selber wächst mit.
Worüber haben Sie geschrieben?
Über den Einsatz von Löschflugzeugen in Europa.
Da stellt sich die Frage, wie es bei mir weitergeht, nachdem ich das Studium abgeschlossen habe und das Formalkriterium für einen Karrieresprung im Unternehmen, der sich bestimmt früher oder später auftun wird, erfülle.
Durch das Thema meiner Masterarbeit tut sich parallel dazu eine interessante Entwicklung auf, weil sich mit diesem Thema noch niemand in der Ausführung auseinandergesetzt hat. Das Thema ist – im wahrsten Sinn des Wortes – brandaktuell. Sie erinnern sich sicherlich an die schweren Waldbrände auf Rhodos im Sommer, Spanien brennt permanent – das Thema Löschflugzeuge stößt zunehmend auf Interesse.
Welche Firmen bauen Löschflugzeuge?
Der größte Hersteller ist Conair aus Kanada. Conair war mein Dreh- und Angelpunkt für die Interviews in meiner Masterarbeit. Daraus ergeben sich regelmäßig interessante Meetings und Calls mit Flughafenbetreibern, die Interesse an der Stationierung von Löschflugzeugen haben. Gleichzeitig haben hochrangige Politiker:innen Interesse an dem Thema, weil es in Deutschland auch im Koalitionsvertrag enthalten ist. Aber auch die Hersteller von Löschflugzeugen nutzen meine Masterarbeit, um zum Beispiel den Kosten-Nutzenaspekt zu beleuchten. Da tun sich neue Möglichkeiten auf.
Die Idee zu meinem Masterthesis-Thema war übrigens ein Output der Pandemie. Wir haben damals intern überlegt, was wir mit den geparkten Passagierflugzeugen machen können. Da entstand die Idee, einige zu Frachtflugzeugen umzubauen. Luftfracht war in der Pandemie ein sehr gutes Geschäft. Bei der Umrüstung zu Frachtflugzeugen haben wir festgestellt, dass sich die Umrüstung von größeren Flugzeugen zu Löschflugzeugen gar nicht so stark davon unterscheidet. Da kam mir die Idee zu meinem Masterarbeit-Thema. Das Thema war – wieder mal - einfach da, hat mich sofort interessiert und ich habe mich gleich dafür entschieden.
Ich habe den Eindruck, dass Sie offen für neue Themen sind und dem, was Sie interessiert, mit großem Engagement, aber auch mit einer gewissen Lockerheit, nachgehen. So ergeben sich neue Chancen, vielleicht sogar mehr, als wenn man einem einzigen Karriereziel hinterherläuft.
Karriere ist natürlich wichtig und eine Bereicherung. Aber ich glaube, das Leben ist mehr als das. Es geht um eine gute Balance. Das war auch ein Output aus dem Studium. Man kann nicht nur Masterarbeit schreiben und sich da sozusagen optimieren, denn dann bekommt man irgendwann ein Thema in einem anderen Lebensbereich. Jedes Pflänzchen pflegen und für sich das richtige Maß finden! Ich mag, wenn das Leben facettenreich ist. Ich freue mich, wenn ich einen Flug fliege, ich freue mich, wenn ich ins Büro gehe. Ich freue mich, wenn schöne Dinge in meinem Leben passieren.
Ich mag es, wenn mein Leben facettenreich ist.
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