Inklusive Bildung
Wir müssen Strukturen schaffen, die es allen Menschen ermöglichen, an der Gesellschaft teilzuhaben. Dieser Aufgabe widmet sich Anneliese Franz mit viel Freude und Energie.
Mit jungen Menschen zu arbeiten, sie zu fördern und mit Augenmaß zu fordern, hat Anneliese Franz schon früh interessiert. Deshalb entschied sie sich zunächst für eine Lehramtsausbildung für die Hauptschule mit den Fächern Deutsch, Bildnerische Erziehung, Geometrisches Zeichnen und außerschulische Jugenderziehung. Da es in den 90er Jahren für Pflichtschullehrer_innen nahezu unmöglich war, eine Anstellung zu bekommen, ging die gebürtige Grazerin in die Privatwirtschaft und arbeitete einige Zeit im Chefsekretariat und Marketing eines Grazer Modeunternehmens. Nach den Geburten ihrer beiden Söhne managte sie ein paar Jahre den Familienalltag. Parallel dazu absolvierte sie eine Ausbildung zur Förderung von Kindern bei Lese-Rechtschreibstörung und Legasthenie und war auf selbstständiger Basis in diesem Förderbereich tätig. 2010 wurde sie vom Vizerektorat an die KPH Graz (damals noch Kirchliche Pädagogische Hochschule der Diözese Graz-Seckau, heute Private Pädagogische Hochschule Augustinum) geholt, um dort in der Fortbildungskoordination zu arbeiten und an der angeschlossenen Praxisvorschule zu unterrichten. Später wechselte Anneliese Franz in den Hochschulbereich, wo sie in diversen Förderbereichen beschäftigt war. Während ihrer elfjährigen Tätigkeit am Augustinum widmete sie sich im Fachbereich Deutsch bereits dem Thema Inklusion. Seit 2021 arbeitet Anneliese Franz für „atempo“, einem im Jahr 2000 in Graz gegründeten gemeinnützigen Verein zur Gleichstellung von Menschen. Sie leitet dort den Bereich Digitale Bildung.
Digitales Lernen ist essenziell
atempo unterstützt junge Menschen mit Lernschwierigkeiten und Behinderungen nach Beendigung ihrer Schulpflicht beim erfolgreichen Einstieg ins Berufsleben. Dazu hat der Verein ein breites Bildungsangebot entwickelt, das an individuelle Bedürfnisse angepasst wird. Zu den Inhalten gehören zum Beispiel Gartenarbeit, Restaurant und Service, Büro- und PC-Arbeit, Social Skills, u. v. m. Ziel ist es, junge Menschen in ihren Stärken zu fördern und sie in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Um dies zu erreichen, kommt man heute in vielen Bereichen um den Einsatz digitaler Medien nicht herum. Und deren Handhabung will gelernt sein. „Digitale Medien haben ein großes Potenzial, unsere Teilnehmenden in verschiedenen Lernprozessen und in der Bewältigung von Alltags- und Arbeitssituationen zu unterstützen“, weiß Anneliese Franz aus Erfahrung. Dazu müssen die jungen Menschen individuell und in passender Form angeleitet werden und in ihrem Tempo arbeiten können. Dann stellen sich für viele Teilnehmende, die bis dato in ihrer Schullaufbahn hauptsächlich von negativen Erfahrungen geprägt sind, mitunter schöne Erfolgserlebnisse ein. Ein Projekt, das der Pädagogin besonders am Herzen liegt, ist jenes der Ausbildung von sogenannten „DigiCoaches“. In der Praxis sieht das so aus, dass Personen, die selbst Lernschwierigkeiten haben, Schüler_innen und Lehrpersonen als „DigiCoaches“ in der digitalen Welt unterstützen. „Das führt nicht nur zu einem besseren Selbstwert der Teilnehmenden, sondern auch dazu, dass Schüler_ innen, die unter Umständen selbst Einschränkungen haben, mögliche Chancen für sich erkennen“, beschreibt Anneliese Franz gelebte Inklusion.
Innovatives Forschungsprojekt
Um den Bereich digitales Lernen in ihrem Berufsfeld weiterzuentwickeln, hat sich Anneliese Franz nahezu gleichzeitig mit ihrem Eintritt bei atempo entschlossen, an der Universität für Weiterbildung Krems den Masterlehrgang „eEducation – Digitales Lern Design“ zu absolvieren. „Ich hatte gehofft, dass es in diesem Rahmen möglich sein würde, lehren und lernen inklusiv zu denken“, beschreibt die nunmehr Ex-Studierende ihre Erwartungen. Und sie wurde nicht enttäuscht: „Es war möglich, sowohl während des Studiums in den Lehrveranstaltungen als auch dann im Zuge meiner Masterthesis auf meine Zielgruppe zu fokussieren“. Das war ihr umso wichtiger, als es bislang kaum Forschungsarbeiten dazu gibt. Ihre Masterthesis zum Thema „Wie erfahren Menschen mit Lernschwierigkeiten die Teilhabe an digitalen Lernumgebungen“ war als inklusives und partizipatives Forschungsprojekt mit 13 inklusiven Testpersonen konzipiert. Die daraus resultierenden Folgerungen waren für die Wissenschafterin ermutigend. „Wenn man mit den richtigen Lernmaterialien arbeitet und individuelle Unterstützung anbietet, ist eine viel bessere Teilhabe möglich“, so Anneliese Franz. „Es war spannend, gemeinsam mit der Zielgruppe einen Katalog mit Handlungsempfehlungen entwickeln zu können, der zeigt, dass digitale Lernumgebungen vielfältige Chancen bieten, um Teilhabe in der Erwachsenenbildung zu ermöglichen und dass man durchaus inklusiv denken darf.
Gut organisiert – perfekt unterstützt
Dass Anneliese Franz diese herausfordernde Zeit der Doppel- und Dreifachbelastung gut überstanden hat, ist ihrem Organisationstalent, ihrer Fokussiertheit und vor allem „der Unterstützung und dem Verständnis meiner Familie und meines Freundeskreises zu verdanken“. Etwas Yoga zu praktizieren und gelegentlich Zeit in der Natur zu verbringen, hat sie zumindest dann und wann geschafft. Größere Wanderungen und Reisen werden erst jetzt, nach Studienabschluss, wieder möglich sein. An eine größere Ruhepause denkt sie allerdings nicht, denn sie brennt für ihre Tätigkeit und hat viele Perspektiven: „Ich will nicht müde werden, im Bereich der Inklusion weiter voranzugehen und nach immer neuen Möglichkeiten zu schauen“. Großes Potenzial sieht sie auch in Künstlicher Intelligenz. „Es gibt bereits KI-basierte Tools, die Texte vollautomatisch so vereinfachen, dass die Sprache für jeden/jede verständlich wird“.