16.03.2018

Welche Behandlungen und Untersuchungen nützen den PatientInnen wirklich, welche können sogar schaden? Welche werden zu häufig, welche zu selten eingesetzt? Als erste Fachgesellschaft hat die Österreichische Gesellschaft für Geriatrie im Rahmen des Projekts „Gemeinsam gut entscheiden“ jetzt fünf wichtige Empfehlungen für ältere PatientInnen veröffentlicht, die laut Erhebungen zu viele Medikamente erhalten. Wissenschaftlich unterstützt wird die Auswahl der Empfehlungen durch eine Kooperation des Departments für Evidenzbasierte Medizin und Klinische Epidemiologie der Donau-Universität Krems mit dem Institut für Allgemeinmedizin und evidenzbasierte Versorgungsforschung der Medizinischen Universität Graz.

Personen mit fortgeschrittener Demenz werden gegenwärtig oft über einen künstlichen Zugang zum Magen ernährt. Wie Studien zeigen, wäre eine normale Ernährung besser, da der künstliche Zugang weder das Leben verlängert noch die Lebensqualität verbessert, sondern zu Flüssigkeitsüberlastung, Durchfall, Bauchschmerzen und zu Komplikationen führen kann. Solchen Fehltherapien wollen das Projekt „Gemeinsam gut entscheiden“ mithilfe evidenzbasierter Daten durch Empfehlungen entgegen wirken und ÄrztInnen wie PatientInnen eine Hilfestellung geben. Ein weitere Empfehlung: Die Verwendung von Antipsychotika bei PatientInnen mit Demenz sollte auf jene Fälle beschränkt werden, in denen nicht-pharmakologische Maßnahmen versagt haben und PatientInnen eine unmittelbare Gefahr für sich selbst oder andere darstellen. Derzeit wird diese Form der Psychopharmaka gerne Menschen mit Demenz verschrieben, die herausfordernde oder störende Verhaltensweisen wie beispielsweise Widerstand gegen die Pflege aufweisen, ohne zu untersuchen welche Ursache dem Verhalten zugrunde liegt.

Fünf Empfehlungen durch Österreichische Gesellschaft für Geriatrie
Fünf solcher Empfehlungen wurden nun durch die Österreichische Gesellschaft für Geriatrie als erste Fachgesellschaft ausgewählt und auf der Website der Initiative „Gemeinsam gut entscheiden“ veröffentlicht. Die Empfehlungen wurden im Rahmen einer Befragung nach der Delphi-Methode, gemeinsam mit der österreichischen Fachgesellschaft für Geriatrie und Gerontologie und dem Department für Evidenzbasierte Medizin und Klinische Epidemiologie der Donau-Universität Krems ausgewählt. Dabei stehen nur solche Empfehlungen zur Verfügung, die vom Institut für Allgemeinmedizin und evidenzbasierte Versorgungsforschung der Medizinischen Universität Graz (IAMEV) als verlässlich eingestuft wurden.

Die Empfehlungen werden der Ärzteschaft nun durch eine Informationskampagne bei Fortbildungen und auf Kongressen bekannt gemacht.

Gemeinsam gut entscheiden
„Ziel von ‚Gemeinsam gut entscheiden‘ ist es, Entscheidungen im medizinischen Alltag mit evidenzbasierten Empfehlungen zu unterstützen, um einer Fehlversorgung der PatientInnen entgegenzusteuern“, erläutert der wissenschaftliche Leiter der Initiative, Priv.-Doz. Dr. med. Karl Horvath vom Institut für Allgemeinmedizin und evidenzbasierte Versorgungsforschung IAMEV der Medizinischen Universität Graz. Sie kooperiert dazu mit Cochrane Österreich am Department für Evidenzbasierte Medizin und Klinische Epidemiologie der Donau-Universität Krems, kurz EBM.

Dr. Anna Glechner, EBM: „Gemeinsam mit medizinischen Fachgesellschaften erstellen wir Listen von medizinischen Tests und Therapien, die entweder wenig bis gar keinen nachweisbaren Nutzen haben oder sogar Schaden verursachen können und somit hinterfragt bzw. vermieden werden sollten.“ Zusätzlich plant „Gemeinsam gut entscheiden“ in einer Begleitforschung zu erheben, welche Faktoren zur Umsetzung der Empfehlungen in der Praxis führen. Mit dem nun gestarteten Projekt folgt Österreich einem internationalen Trend.

PatientInnen in Entscheidung einbinden
Auch eine gezielte Information der Behandelten könnte helfen, mehr Bewusstsein für evidenzbasierte Empfehlungen zu schaffen, so Glechner. PatientInnen-Informationen erleichtern ein Verständnis dafür, dass Therapien und Untersuchungen nicht nur Vorteile, sondern auch Schaden mit sich bringen können, und dass das Nutzen-Schaden-Verhältnis ausgewogen sein sollte. Laut einer kanadischen Befragung ist die Hälfte der PatientInnen bereit, Informationen über Empfehlungen mit dem Arzt zu diskutieren und die gängige Praxis zu ändern. Im Rahmen von „Gemeinsam gut entscheiden“ werden daher auch PatientInnen gemäß den Standards für eine gute PatientInneninformation über die relevanten Empfehlungen informiert.

„Choosing Wisely“
Vorbild der Initiative „Gemeinsam gut entscheiden“ ist die in den USA erfolgreiche Aktion „Choosing Wisely“. Deren Empfehlungen sowie solche ähnlicher mitteleuropäischer Initiativen bildeten die Grundlage für aktuelle Empfehlungsliste in Österreich.

Finanzierung
Finanziert wird „Gemeinsam gut entscheiden“ vom Gesundheitsfonds Steiermark, der Steiermärkische Gebietskrankenkasse, des Niederösterreichischen Gesundheits- und Sozialfonds und von der Niederösterreichische Gebietskrankenkasse.

 

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