„Lebensbegleitendes Lernen im Kontext von Digitalisierung und anderen gesellschaftlichen Herausforderungen” war der Titel der Antrittsvorlesung am 21. April 2022, in der Tobias Ley vier Thesen zur gesellschaftlichen Transformation formulierte. Mit 1. September 2021 wurde er als Universitätsprofessor nach § 98 UG 2002 an die Universität für Weiterbildung Krems berufen, wo er das Zentrum für Digitalisierung im Lebensbegleitenden Lernen am Department für Weiterbildungsforschung und Bildungstechnologien leitet.
In seiner Begrüßung betonte Mag. Friedrich Faulhammer, Rektor der Universität für Weiterbildung Krems, die Bedeutung der Universitätsprofessor_innen als tragende Säulen in Forschung und Lehre. Für Univ.-Prof. Dipl.-Ing. Dr. Stefan Oppl, MBA war es eine Premiere, in seiner Funktion als Dekan der Fakultät für Bildung, Kunst und Architektur den Vortragenden der Antrittsvorlesung vorzustellen.
I. Gesellschaftliche Transformationen brauchen Lebensbegleitendes Lernen
Seinen Ausführungen stellte Univ.-Prof. Dr. Tobias Ley Prognosen darüber voran, mit welcher Wahrscheinlichkeit bestimmte Berufe in naher Zukunft maschinell erledigt werden. Unternehmensberatungen warnen bereits seit Längerem, dass ungefähr ein Drittel der aktuellen Jobs von Automatisierung bis zur Mitte der 2030er-Jahre betroffen sein dürfte. Angesichts dieser Tendenz besteht ein hoher Druck, neue Betätigungsfelder zu schaffen und die Fähigkeiten der Beschäftigen in diesen Bereichen weiterzuentwickeln. Entscheidend sei hier, den Menschen nicht auf seine auszugleichenden Defizite zu reduzieren, sondern das lebensbegleitende Lernen als gesellschaftliche Chance zu begreifen, die gegenwärtigen und zukünftigen Herausforderungen kollektiv angehen zu können. Um diesen Herausforderungen erfolgreich zu begegnen, sieht der Experte für technologiegestützte Lernprozesse drei relevante Komponenten: soziale Praktiken, Werte und eine geteilte Intentionalität.
Dementsprechend stellt lebensbegleitendes Lernen – so Leys erste These – eine Voraussetzung für gesellschaftliche Transformationen dar.
II. Technologien können Arbeiten und Lernen transformieren
Mit Fallbeispielen demonstrierte Ley seine zweite These, wie Technologien Arbeiten und Lernen verändern können. Anhand des Projekts Learning Layers, das sich mit dem Arbeitsplatzlernen in KMUs beschäftigt, wurde gezeigt, wie Arbeitstechniken gemeinsam weiterentwickelt und bestehende Probleme etwa beim Lehmbau gelöst werden können. Dafür werden über eine App Videos selbst erstellt und geteilt, die von der Benutzer_innengruppe auch kommentiert werden können. Die drei oben erwähnten Komponenten sind in diesem Beispiel: Nachhaltigkeit als gemeinsamer Wert, das Experimentieren mit neuen Techniken und Materialien als geteilte Intentionalität sowie die sozialen Praktiken, die sich aus der Verbindung von Lernen und Arbeiten ergeben. Während bei diesem Beispiel das Wissen auf die Baustelle gebracht wird, zeigt das folgende die andere Transferrichtung von der Praxis in das Lernsetting: Virtuelle Simulationen bieten Einsatzleiter_innen bei Rettungseinsätzen die Gelegenheit, ihr „Situationsbewusstsein“, das Einschätzen und Vorhersagen dynamischer Situationen sowie das richtige Entscheiden bei Unsicherheiten, zu trainieren. Auch hier kommt es zu einer Verbindung von Lernen und Arbeiten, das Training fühle sich für die Teilnehmer_innen wie die tatsächliche Arbeit an.
III. Transformationen müssen gemeinsam gestaltet werden
Anhand des Simulationsbeispiels illustrierte Ley drei Gruppen, wie Transformationsprozesse gestaltet werden können: In einer wendeten die Trainer_innen die Simulationen nur an, im zweiten Fall erstellten sie eigene Szenarien und im dritten Fall halfen Trainer_innen anderen eigene Szenarien zu erstellen. Bei der anschließenden Selbsteinschätzung zeigte sich, dass die zweite Gruppe die höchsten Werte bei integriertem Wissen erzielte.
Als weiteres Beispiel brachte Ley das Projekt EDULAB, das neue Lerndesigns mit Lehrkräften entwickelte, um die Digitalisierung an den Schulen zu gestalten. Entscheidend war hier die Wissensappropriation, wo es nicht um bloße Kenntnis oder Anwendung, sondern verinnerlichte Aneignung des gemeinsam entwickelten Wissens geht. Es konnte auch eine Korrelation zwischen den sozialen Praktiken während des Trainings und der intendierten Umsetzung nachgewiesen werden: Die Innovationslabs für Lehrer erhöhten die Bereitschaft diese Innovationen auch im Alltag umzusetzen.
Es ist wichtig zu begreifen, dass der Einsatz innovativer Technologie allein Transformation nicht determiniere. Aus den Forschungen von Tobias Ley ergibt sich die hohe Bedeutung der gemeinsamen Gestaltung. Sie führt zu integriertem Wissen über die Rolle digitaler Technologien. Zudem wird auf diesem Weg Ownership, Selbstwirksamkeit und die intendierte Umsetzung gestärkt. Nicht zuletzt unterstützt die gemeinsame Gestaltung die Wissensappropriation.
IV. „Daten sind das Neue Öl“
Im Bereich der Bildung zeigte die Auswertung von 24.000 Lerndesigns auf der digitalen Bildungsplattform GRAASP, wie Wissensreife, also die Reichweite der Verteilung in der Gruppe, Wissensappropriation und die tatsächliche Umsetzung der Lerndesigns im Unterricht zusammenhängen. So fanden bloß geteilte Lerndesigns in nur 13 Prozent den Weg in die Anwendung. Wurden bestehende Designs weiterentwickelt, stieg dieser Wert auf 28 Prozent und wenn im Reifungsprozess eine Formalisierung erreicht wurde, erreichte dieser Wert sogar 36 Prozent.
Ausblick
Lehrende werden in Zukunft mit Assistenten, die auf Künstlicher Intelligenz (KI) basieren, zusammenarbeiten. In ersten Versuchen haben diese Assistenten bereits Gruppenarbeiten beobachtet und den Lehrkräften Vorschläge gemacht. Die Lehrkräfte folgten in der Regel den Vorschlägen und gewannen in ihrer Arbeit Selbstsicherheit. Dies zeigt den großen Einfluss, den solche Agenten auf unser Entscheiden und Verhalten haben können und unterstreicht damit die wichtige Rolle der künftigen Forschung in diesem Bereich.
Über die Person
Tobias Ley promovierte 2005 in Psychologie und Wissensmanagement mit seiner Arbeit über „Organizational competency management: a competence performance approach; methods, empirical findings & practical implications“ an der Universität Graz, wo er sich 2010 im selben Fach habilitierte. Nach seiner Tätigkeit in Graz lehrte er an der Universität Tallinn, Estland, von 2011 bis 2021. Ley leitete interdisziplinäre Forschungsgruppen im Bereich Bildungstechnologie sowie Innovation und war federführend an einer Reihe groß angelegter EU-finanzierter Forschungsprojekte beteiligt. Zudem veröffentlichte er mehr als 100 wissenschaftliche Artikel. Seine Forschung wurde mehrfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Europäischen Forschungspreis für Berufsbildung und dem Estnischen Nationalen Wissenschaftspreis für Sozialwissenschaften.
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