Internationale ExpertInnen präsentierten am Web-Kongress Möglichkeiten und Grenzen der Telemedizin und Teletherapie für Kinder mit neuromotorischen Erkrankungen und Bewegungsbehinderung. Gerade in Zeiten der COVID-19-Ausgangsbeschränkungen stellten diese eine gute Überbrückung dar. Jedoch waren sich alle ExpertInnen einig, dass gewisse Leistungen nur in Präsenz durchgeführt werden können. In Zukunft sollen aber Telemedizin und Teletherapie besser in die Therapie eingebunden werden.
Aus Anlass der COVID-19-Pandemie wurde im Mai 2020 an der Donau-Universität Krems eine Free-Webinar-Reihe zu den Möglichkeiten der Teletherapie und Telemedizin veranstaltet. Die Veranstaltungen stießen auf großes Interesse, rund 250 TherapeutInnen und ÄrztInnen aus Österreich und Deutschland nahmen teil. Als Abschluss wurde am 17. Juni ein Web-Kongress organisiert. Internationale ExpertInnen für Neuroorthopädie, Pädiatrie und Kindertherapie stellten hier Therapien vor, die ohne medizinische Einrichtungen durchführbar sind und somit eine zeitliche Überbrückung und wirkungsvolle Fortsetzung einer erfolgreich begonnenen Therapie darstellen können.
Notwendigkeit einer Mindestbelastung und -bewegung
Als Einführung wiesen die Kinderphysiotherapeutin Claudia Abel und der Kinderorthopäde Prof. Dr. Walter Strobl, auf die Notwendigkeit einer Mindestbelastung und -bewegung des kindlichen Bewegungssystems hin. Diese können dazu beitragen, schwere Folgeschäden bei Kindern mit neuromotorischen Erkrankungen zu vermeiden. Denn nach der Zeit der Ausgangsbeschränkungen konnten Folgeschäden bei Kindern beobachtet werden.
Auch wenn sich Telemedizinische Therapieverlaufs-, Röntgen-Kontrollen und Hilfsmittel sehr gut bewährt haben, stößt die telemedizinische neuroorthopädische Betreuung jedoch an Grenzen. Dr. Strobl wies in diesem Zusammenhang auf die fehlenden rechtlichen Grundlagen und das technische Entwicklungspotential hin. Dabei unterstrich er die Notwenigkeit einer Differenzierung zwischen Leistungen, die online und jenen, die im Sinne einer hohen medizinischen Qualität nur in Präsenz, angeboten werden dürfen. Zudem wurde auf die Wichtigkeit einer Kontaktaufnahme mit den Eltern eingegangen, da sich diese oft alleine gelassen fühlten.
Frau Abel stellte die Voraussetzungen, Vorteile und Methodik der durchgeführten Teletherapie, dank der Teilnahme eines jungen Patienten, auch mittels Live-Demonstration dar. Sie betonte die Vorteile für die Kontinuität, für das Vertrauen, die Compliance und damit den Erfolg der Behandlung.
Grenzen der Teletherapie erkennen
Neuropädiater und Kinderpsychiater Prim. Dr. Klaus Vavrik, Leiter des VKKJ-Ambulatoriums Sonnwendviertel in Wien, stellte explizit die Vor- und Nachteile der Telemedizin und Teletherapie vor. Er benannte vor allem die Herausforderungen beim Angebot einer vertiefenden Therapie und Betreuung für Kinder mit komplexen Krankheitsbildern und psychosozialen Problemen. Zudem warnte er sowohl vor der Überforderung der Eltern als Co-TherapeutInnen als auch vor einer „billigen“ Alternative zur aufwendigen Präsenztherapie in den spezialisierten Einrichtungen.
Über ähnliche Beobachtungen berichtete auch Privatdozent Dr. med. Sebastian Grunt, Neuropädiater und Neurorehabilitationsmediziner am Inselspital Bern und Co-Präsident der Swiss Academy for Childhood Disability. Die Ergebnisse einer von ihm durchgeführten Umfrage während der letzten Wochen zeigen, dass SpezialistInnen der Behandlungsteams telemedizinische und teletherapeutische Angebote während der Pandemie grundsätzlich als hilfreich wahrgenommen, aber auch deren Grenzen klar artikuliert haben.
Vorteile für weit entfernt lebende PatientInnen
Aus Kinder- und neuroorthopädischer Sicht wies Dr. med. Verena Schreiber vom Nicklaus Children´s Hospital in Miami, Florida, auf die guten Kontrollmöglichkeiten postoperativer Verläufe, orthopädischer und therapeutischer Versorgung und die damit einhergehende erhöhte Vertrauensbasis durch Telemedizin hin. Der vereinfachte Zugang zum multidisziplinären Behandlungsteam und die Entlastung der Krankenhausambulanz mit der Einsparung von Materialressourcen bieten gerade während der Pandemie große Vorteile. Die deutlich verbesserte medizinische Versorgung für weit entfernt lebende PatientInnen könnte zu einem „New Normal“ gezielter telemedizinischer Angebote führen.
Orthesen- und Hilfsmittelversorgung
Die für die Lebensqualität aller Kinder mit Bewegungsbehinderung wichtige Orthesen- und Hilfsmittelversorgung muss naturgemäß vor Ort erfolgen. Aber die vergangenen Wochen zeigten, dass manche Schritte auch online erfolgen und Fahrten reduziert werden können. Alexander Drehmann, MSc, Orthopädie- und Rehabilitationstechniker bei Kerkoc Orthopädietechnik in Wien, beschrieb die optimierte Logistik einer spezialisierten Versorgung und demonstrierte live mit einem Patienten seiner Familie, wie beispielsweise erstes Maßnehmen unter optimalen Bedingungen funktionieren kann.
Fortsetzung im September geplant
In der anschließenden Podiumsdiskussion konnten die zahlreichen TeilnehmerInnen per Chatfunktion Fragen an die Vortragenden richten, sodass auch Hintergrundinformationen, z. B. zu laufenden Gesprächen zur Kostenübernahme der Teletherapie und weiteren Fortbildungsangeboten, gegeben werden konnten.
Organisiert wurden die erfolgreichen Veranstaltungen vom Fachbereich Medizinische Spezialisierungen und Gesundheitsförderung. Ab September 2020 werden die Kinder-neuroorthopädischen Free-Webinar-Reihe und punktuelle Web-Kongresse als Ergänzung zu den laufenden und neuen Masterlehrgängen fortgesetzt.
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