16.12.2024

Warum ist die Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ) so erfolgreich? Was können andere Parteien von ihr lernen? Kann man – abgesehen von rechtspopulistischer Politik – überhaupt etwas von ihr lernen? Oder geht es gar nicht um Inhalte? Die „Kickl-FPÖ“ zeigt vor, wie innere Geschlossenheit, klare Positionen und eine konsequente Kommunikation über eigene Krisen hinweghelfen und erfolgreiche Wahlergebnisse einbringen kann.   

 

Das Phänomen FPÖ

Das „Superwahljahr 2024“ ist geschlagen – und es kam wie zu erwarten war: Die FPÖ geht als klare Siegerin und stimmenstärkste Partei aus allen Landes- oder Bundeswahlen (mit Ausnahme von Vorarlberg, wo sie hinter der ÖVP Platz zwei erreicht) hervor. Die Zuwächse sind teils atemberaubend und korrespondieren auf nationaler Ebene mit erheblichen Verlusten der ÖVP: + 8,2% bei der Europawahl (ÖVP -10,0%), +12,7% bei der Nationalsratswahl (ÖVP -11,2%), +14,07% bei der Landtagswahl Vorarlberg (ÖVP -5,22%), + 17,28% (!) bei der Landtagswahl in der Steiermark (ÖVP -9,24%) (BMI 2024a, b; ORF 2024a, b).

Auch der Ruf der FPÖ als „Bierzelt- und Männerpartei“ ist nicht mehr aufrechtzuerhalten. Im Gegenteil, die FPÖ scheint in der Mitte der Gesellschaft angekommen zu sein. Die Wahlanalysen der Nationalratswahl sprechen in diesem Zusammenhang eine klare Sprache: Noch nie hat es einen größeren Strom unter den Wähler_innen gegeben als dieses Mal von der ÖVP zur FPÖ (443.000 Stimmen). Die FPÖ erhielt die Stimmenmehrheit in den meisten Wähler_innensegmenten: von den Frauen genauso wie von den Männern; von der Gesamtheit der unter 60-jährigen (davon 37% bei den 35 bis 59-jährigen) und den Erwerbstätigen (davon 31% bei den Selbständigen, gleichauf mit der ÖVP, 32% bei den Angestellten und 50% (!) bei den Arbeiterinnen und Arbeitern). Pointiert ausgedrückt: Die FPÖ ist die Partei der Erwerbstätigen, die ÖVP jene der Pensionist_innen.

Von der FPÖ „abgeholt“ fühlen sich vor allem jene, die mit der Arbeit der letzten Bundesregierung unzufrieden sind, die Entwicklung Österreichs negativ sehen und sich insbesondere von den Themen Zuwanderung, Kriminalität/Terrorismus und Teuerung beschäftigt zeigen. Für Anhänger_innen der repräsentativen Demokratie sollte der Befund besorgniserregend sein, dass 36% der FPÖ-Wähler_innen meinen, dass das Parlament nicht gut ihre Meinung abbilden würde, Parteien vor allem auf „Stimmenfang“ aus seien, und 45% Demokratie nicht für die beste Regierungsform halten. (Foresight 2024; ORF 2024c)

Zudem ist auffällig, dass sich die Wähler_innen der FPÖ bereits früh in ihrem Stimmverhalten festgelegt haben und der Nationalratswahl 2024 eine außerordentliche große Bedeutung zugemessen haben. All dies spricht für eine „Wahl der Entscheidung“ – genauso wie die Tatsache, dass die weitere Entwicklung der Sonntagsfrage eine Fortsetzung des Aufwärtstrends der FPÖ – die nicht in die Regierungsbildung involviert ist – abbildet: Anfang Dezember (Stichtag 04.12.2024) hätten 34% die FPÖ gewählt (apa 2024).  

Kurzum und ohne Zweifel: Die FPÖ „zieht“. Sie erlangt große Reichweiten, mobilisiert ihre Wähler_innenschaft höchst effizient (76% der Wähler_innen von 2019 wählten 2024 wieder die FPÖ) und erzeugt national wie international erstaunliche Resonanz.

Mehr noch – die FPÖ schafft es, dass sich ein Gutteil der politischen Mitbewerber_innen in deren Stellungnahmen auf den Vorsitzenden der FPÖ, Herbert Kickl, einschwört. Damit konstruieren diese ungewollt einen für sie selbst negativen Referenzrahmen (vgl. Praprotnik/Schieder 2024, 15. Februar). Zusätzlich wird ein permanenter Fokus der innenpolitischen Debatte auf die FPÖ gelegt. Man könnte in diesem Zusammenhang gar von externem Agendasetting (McCombs/Shaw 1972) sprechen. Mit anderen Worten: Die FPÖ muss nur ihre Themen lancieren, den Rest erledigen die anderen – indem sie sich dauerhaft damit beschäftigen, was die FPÖ tut. Kickl selbst nimmt dies bereitwillig auf, instrumentalisiert das Verhalten der anderen zugunsten der FPÖ und wertet die politischen Mitbewerber_innen ab. So proklamiert er etwa in der Aktuellen Stunde des Nationalrats am 31.01.2024, dass sich die ÖVP-Fraktion im Parlament in einen „Angsthasen-Sektor“ verwandelt habe. Deren Angst führe „so weit, dass die ÖVP vor einigen Tagen [bei der Präsentation des „Österreich-Plans“ durch Bundeskanzler Nehammer; Anm. d. Verf.] eine Messehalle in Wels zum größten Panik-Raum dieser Republik umfunktioniert hat. Und dort hat es dann eine massentherapeutische Sitzung gegeben, wo die Österreichische Volkspartei dann versucht, ihre eigene Angst vor der Freiheitlichen Partei und vor mir abzuwälzen auf die Bevölkerung. […] Und sie tun mir ja fast leid, meine sehr geehrten Damen und Herren von der Österreichischen Volkspartei. Es muss schrecklich sein, wenn man von solchen Ängsten geplagt ist, dass die Bevölkerung sogar schon bei ihren Auftritten im Fernsehen, zuhause im Wohnzimmer, den Angstschweiß riechen kann. Sie sind in einem bemitleidenswerten Zustand“ (Kickl 2024: 02:33-03:28).

Die mediale und kommunikative Strategie der FPÖ gilt mittlerweile als Vorbild für rechtspopulistische und rechtsextreme Parteien in ganz Europa (etwa der deutschen AfD – vgl. Gasser 2024). Dass sie derart erfolgreich ist, sorgt aber auch für Spott und Hohn. Jan Böhmermann stellt im „ZDF Magazin Royale“ etwa fest: „Ich liebe Österreich, das Ungarn von Deutschland.“ und fragt „Sind wir Österreicher_innen einfach dumm?“ (Böhmermann 2024).

Böhmermann verweist auf die Tatsache, dass sich der Höhenflug der FPÖ nur fünf (!) Jahre nach dem „Ibiza-Skandal“ vollzieht. „Ibiza“ führte 2019 zum Kollaps der damaligen „türkis-blauen“ Bundesregierung (Kabinett Kurz 1), einem historischen Misstrauensvotum gegen die Übergangsregierung sowie Kanzler Kurz selbst und zur Angelobung einer Beamt_innenregierung, jener von Brigitte Bierlein, der ersten und bisher einzigen Bundeskanzlerin Österreichs. Begleitend war der Ruf der Republik arg beschädigt und es wurden heftige Debatten über Rechtsstaatlichkeit und die Moral in der Politik geführt. Letztlich sind auch die sogenannten Chat- und Korruptionsaffären, die zum Sturz des Kabinetts Kurz 2 führten, als indirekte Konsequenzen dieser Entwicklungen zu sehen. (vgl. ORF 2020)

Wie also kann eine Partei, die ein derartiges politisches Erdbeben losgetreten hat, binnen kurzer Zeit wieder massiv an Popularität und Zuspruch gewinnen bzw. gar stärkste Partei werden? Steckt dahinter eine ausgefeilte Medienstrategie – oder „Sind wir Österreicher:innen einfach dumm?“1

Letztere Frage könnte ohne Polemik nicht seriös beantwortet werden. Erstere soll Gegenstand dieses Beitrags sein.

 

Die FPÖ und die Medien

Seit den 1980er Jahren opponiert die FPÖ gegen etablierte Medien, insbesondere den öffentlich-rechtlichen Rundfunk (ORF). Sie bemängelt, „der Mainstream“ würde nur die „Mächtigen“ und „Eliten“ vertreten, die FPÖ inkorrekt darstellen bzw. bestimmte Aussagen gar „herausschneiden“ (vgl. Temel 2023). Dies entspricht der klassischen Argumentationskette rechtspopulistischer Medien. Deren Absicht ist nicht, umfassend und breit zu informieren. Stattdessen sind sie ideologisch und propagandistisch ausgerichtet. Kritik an (meist öffentlich-rechtlichen) „Systemmedien“ ist Teil der Berichterstattung (ÖGPP 2017: 2). Oftmals ist in diesem Zusammenhang auch von „Lügenpresse“ die Rede. „Dieser Begriff wurde in der NS-Zeit vor allem antisemitisch und antikommunistisch aufgeladen. Er war ein Lieblingswort von Joseph Goebbels, Hitlers Propagandaminister.“ (ebda.)

Als Reaktion auf die subjektiv wahrgenommene Benachteiligung durch „die Medien“ hatte die FPÖ bald begonnen, eigene Kanäle zu etablieren. Am wichtigsten sind dabei soziale Netzwerke. Die FPÖ betreibt seit 2012 digitale Kanäle, baut fortlaufend Follower / Abonnent_innen auf und erzielt eine Resonanz, von der andere politische Parteien nur träumen können.

Eine kurze Chronologie:

„2012 geht FPÖ TV an den Start. Die Wochenzeitung NFZ gibt es schon lange, 2015 wurde sie einem Relaunch unterzogen. Seit 2017 ist man auf Instagram, seit 2019 auf Telegram, seit 2020 auf Tiktok. Heuer [2023; Anm.d.Verf.] kamen auch noch zwei Podcasts hinzu. Und so weiter und so fort. Mit diesen Kanälen ist man durchaus erfolgreich: Den Youtube-Channel haben 194.000 Menschen abonniert, die Facebook-Page hat 188.000 Fans; dem Tiktok- und Telegram-Auftritt folgen immerhin noch 22.000 Accounts. In Summe ist das alles so stark, dass sogar der Wegfall von Heinz-Christian Straches Facebookpage mit knapp 800.000 Fans keinen dauerhaften Einbruch in der Reichweite bedeutete.“ (Vogt 2023)

Das Flaggschiff dabei ist FPÖ TV, welches als eigentliches „Parteimedium“ gelten kann:

„FPÖ-TV ist das mediale Aushängeschild der Partei. Der Kanal ist auf YouTube reichweitenstark: Er zählt knapp 200.000 Abonnenten, rund 5800 Videos wurden bisher hochgeladen. Seit seiner Gründung im Jahr 2012 brachte es der Kanal auf 133 Millionen Aufrufe. Zum Vergleich: Der YouTube-Kanal der ÖVP kommt auf 32.600 Aufrufe und 1180 Abonnenten.“ (Bischof 2023; Stand 2023)

Die FPÖ hat also über die Jahre ein mediales Paralleluniversum aufgebaut und sich von den ihr „feindlich gesinnten“ etablierten Medien emanzipiert. Sie kann auf diese Weise die eigene Wähler_innenschicht konsequent und 24/7 mit passgenauen Botschaften versorgen, ohne von den „Eliten“ und „Mächtigen“ daran gehindert zu werden. Die Rezipient_innen wiederum können frei entscheiden, wann, wo und wie sie FPÖ-TV sehen wollen. Demokratie- und medienpolitisch ist dies brisant, weil bei sogenannten Owned Media – und dazu gehören die FPÖ-Medien – Qualitätsjournalismus, Unabhängigkeit und Medienvielfalt nicht gegeben sind (siehe u.a. Plaikner 2021). Parallel dazu, offline sozusagen, werden Drohgebärden gegenüber der freien Presse unverblümt und öffentlich geäußert. Der Vize-Landeshauptmann und Vorsitzende der FPÖ Oberösterreich, Manfred Haimbuchner, hat zum Beispiel bei einer Veranstaltung in der Gemeinde Micheldorf am 31.10.2023 verlautbart: „Unter einem freiheitlichen Kanzler Kickl werden so einige wieder das Benehmen lernen: vom Journalisten bis zum Islamisten." (OÖN 2023)

 

Was macht die FPÖ? Wie macht sie das? Und macht sie es richtig?2

Ob es die FPÖ politisch richtig macht, ist Ansichtssache. Die Frage, ob sie das Handwerk der strategischen Kommunikation beherrscht, ist rasch zu beantworten: ja. Inwiefern dies nachahmenswert ist, sei dahingestellt. Der Versuch einer Analyse:

Die in den Kanälen der FPÖ verwendete Sprache ist rau. Andere, Andersdenkende, vor allem aber „die Regierung“, politische Mitbewerber_innen und „Ausländer_innen“ werden heftig kritisiert und unter Anwendung von Untergriffigkeiten herabgewürdigt. Besonders drastisch sind die verbalen Ausfälle im Rahmen von bestimmten Anlässen wie den politischen Aschermittwochsreden (siehe etwa FPÖ TV 2024a).

Was die Inhalte anbelangt, werden durchgängig und konsequent dieselben Kernbotschaften kommuniziert. Im (Vor-)Wahlkampf zur Nationalratswahl 2024 konzentrierten sich diese um das Wort „Festung“ und den „Volkskanzler“ Herbert Kickl. Die Regierung und „die EU“ würden nur „die Elite“ vertreten und wären für den Niedergang des Staates sowie der „österreichischen Kultur“ verantwortlich. Beispiel: „ÖVP-Kanzler Nehammer hat die Österreicher erneut verraten.“ (FPÖ 2024a). Die Lösung bringe die FPÖ: „In Koalition mit der Bevölkerung!“ (FPÖ  2024b). Dies folgt nicht nur einem klassischen Storytelling-Narrativ, nach dem die FPÖ die Antworten auf die von den anderen verursachten Probleme hätten und daher gewählt werden solle. Derartige Statements befeuern zudem die Polarisierung der politischen Debatte und erschweren eine konstruktive demokratische Ausverhandlung verschiedener legitimer Positionen. Kurzum: Will man wissen, wie negative campaigning funktioniert, empfiehlt sich eine Analyse der medialen Kommunikation der FPÖ.

Die FPÖ setzt dabei sogenannte Frames sehr umfassend und geschickt ein. Frames kommen zum Einsatz, wenn man bestimmte Bedeutungszusammenhänge erzeugen möchte. Sie bestimmen die Art und Weise, wie wir Informationen wahrnehmen und interpretieren. Einer der Klassiker ist das halb-volle oder halb-leere Glas: je nach Betonung fällt die Sichtweise und Bewertung anders aus. Die FPÖ verwendet unterschiedliche Frame-Techniken – etwa Werte- und emotionales Framing oder Frame-Bridging (für eine Übersicht von Frame-Techniken siehe Oswald 2022: 62f.). Werteframing betrifft Kommunikationen, welche die Werte der Zielgruppe bewusst ansprechen. Beispiel: „FPÖ war einzige Partei, die geschlossen gegen Corona-Impfpflichtgesetz gestimmt hat!“ (FPÖ 2024c) Durch emotionales Framing sollen gezielt Gefühle provoziert werden, im politischen Kontext oft in Zusammenhang mit Ungerechtigkeit und/oder Bedrohung. Beispiel: „Trotz massiver Migrantengewalt geht illegale Masseneinwanderung ungehindert weiter!“ (FPÖ 2024d) Durch Frame-Bridging schließlich werden an sich nicht verbundene Inhalte miteinander verknüpft. Beispiele: „Festung Österreich“, „Festung Bargeld“ (FPÖ 2024e). Lösungsframes, die Lösungen von Problemen andeuten, werden vor allem auf „Volkskanzler“ Herbert Kickl bezogen. Er wird somit bewusst als progressive Kraft in Szene gesetzt, die eine vermeintliche „Normalität“ zurückbringen würde: „Freiheitliche Politik mit Herz, Hirn und Hausverstand bringt unsere alte Normalität zurück.“ (FPÖ 2024f).

Die erwähnten Strategien werden auf sehr stringente Art umgesetzt. Dies geschieht vor allem über die eigenen Medien, die einen ideologischen Mikrokosmos aufspannen und die avisierten Wähler_innen-Segmente ansprechen sollen (vgl. Oswald 2022: 171). Widerspruch ist dabei programmatisch nicht vorgesehen.

Dass soziale Medien aufgrund ihrer algorithmischen Konstitution für diese Zwecke ideal geeignet sind, liegt auf der Hand. Mehr noch, aufgrund der allgemeinen Entwicklung der Medienlandschaft stehen die Zeichen für die FPÖ weiterhin gut. Sie dürfte auf die richtigen Pferde gesetzt haben. Im Digital News Report 2023 wird dazu ausgeführt: „Die globalen Trends zeigen seit Längerem in eine Richtung, die nun auch in Österreich besser erkennbar ist. Mehr digitale Nutzung, Transformation von etablierten, traditionellen Angeboten, die Probleme mit Print-Nachrichtenprodukten, sinkendes Interesse an Nachrichten und eine Sättigung in der Nutzung sind nur einige Beispiele.“ (Gadringer 2023: 10)

Und was ist mit den Personen? Auch hier ist eine gewisse Linie erkennbar: Selbst wenn mit Susanne Riess-Passer (2000-2002) und Ursula Haubner (2004/2005) zwei Frauen an der Spitze der FPÖ standen, wurde das Gesicht der Partei in den letzten 40 Jahren von medial präsenten, polarisierenden Männern mit markigen Sprüchen und angriffigem Ton geprägt. Die bedeutendsten davon sind Jörg Haider (Obmann von 1986-2000), Karl-Heinz Strache (2005-2019) und Herbert Kickl (seit 2021). Haider – der „Posterboy der europäischen Rechten“ (Gasser 2024) – entsprach im Außenauftritt dem Charakter des juvenilen und dynamischen Yuppies. Für Karl-Heinz Strache und vor allem Herbert Kickl galt bzw. gilt dies weniger. Während ihrer Obmannschaft wurde dafür die Sprache immer akzentuierter und radikaler. „Daham statt Islam“, der zentrale Slogan der FPÖ im Nationalratswahlkampf 2006 war diesbezüglich wegbereitend. Bereits damals wurde auf Emotion gesetzt: Sprache wurde zum Erzeugen von Nähe genauso eingesetzt wie zur Provokation (vgl. dazu Blahak 2021). Der Erfolg scheint recht zu geben: Die FPÖ hat einen sukzessiven Aufstieg zu einer (relativ gesehenen) Großpartei geschafft – und zwar trotz wiederholter Selbstauflösungsprozesse wie Knittelfeld 2002 oder Skandale wie Ibiza 2019. Ein autokratisch anmutendes Selbstverständnis nach außen wie innen dürfte dabei helfen: Die Partei reüssiert unter Herbert Kickl nicht nur in Umfragen und Wahlen, sondern ist auch nach innen geeint.

 

Was bedeutet all das für unsere demokratische Kultur?

Polarisierung führt zum Verlust der politischen Mitte, zu sinkender politischer Beteiligung und schlechterer Erreichbarkeit bestimmter Wähler_innengruppen: Insbesondere Menschen an den äußeren Rändern des politischen „Links-Rechts-Spektrums“ sehen sich von öffentlich-rechtlichen Medien nicht vertreten, zeigen sich unzufriedener mit der Demokratie und fühlen sich aufgrund ihrer politischen Meinung ausgegrenzt (Roose 2021: 134). Diesen Nährboden nutzen rechtspopulistische Medien.

Polarisierung ist dabei an sich nichts Bedenkliches, schon gar nicht in Demokratien – solange sie Meinungsunterschiede zu bestimmten Themen betrifft (ideologische Polarisierung). Problematischer ist die sogenannte „affektive Polarisierung“. Dabei werden Gefühle der Abneigung und des Misstrauens gegenüber Gruppen von politisch Andersdenkenden ausgesprochen. Sie kann zum Gift für eine konstruktive demokratische Debattenkultur werden, weil sie eine Auseinandersetzung auf Sachebene verunmöglicht. Wird ideologisch und affektiv polarisiert, kann der soziale Zusammenhalt in Gefahr geraten und der Damm brechen. (vgl. Blattner/Voelkel 2023, Harteveld/Wagner 2023)

Hinzu kommt die Radikalisierung der Sprache. Am Beispiel der FPÖ lässt sich nachverfolgen, dass Haider zum Teil noch versucht hatte, bestimmte Aussagen zu relativieren oder umzudeuten. Die FPÖ unter Strache war bereits von einer unverhohlenen „Ausländer-raus“-Rhetorik geprägt. Seit Kickl entgleist die Kommunikation gänzlich: Die öffentliche Abwertung politischer Mitbewerber_innen, Andersdenkender oder „der Medien“ ist Teil der Tagespolitik geworden.

 

Was können andere von der FPÖ lernen?

Die Antwort ist einfach: Stringentes Agendasetting und Framing, ein klares Profil und eine geeinte Partei hinter einer medial präsenten Führungsperson stellen die Grundlinie dar. Werden innere Geschlossenheit und eindeutige Positionen konsequent transportiert, können die eigenen Stärken entwickelt und sichtbar gemacht werden (vgl. Thumann 2024). Dann ist es nicht mehr nötig, zu polarisieren, andere abzuwerten oder zu diskreditieren. Es sollte möglich sein, Wahlerfolge auch mit einer Politik einzufahren, die rechtstaatliche Grundsätze, Menschenrechte, gegenseitigen Respekt betont und die „andere“ als Teil derselben Demokratie würdigt – anstatt sie als Gegner_innen oder gar Feind_innen zu diffamieren.

Die strategische Nutzung sozialer Medien ist im 21. Jahrhundert ohnehin unumgänglich. Diese können zur Verbreitung von fake news, hate speech und shitstorms verwendet werden – oder aber um Vorurteile abzubauen und friedliche Kontakte zwischen politisch Andersdenkenden zu fördern. (Blattner/Voelkel 2023)

Letztlich, bei all dem Gesagten ist grundsätzlich festzuhalten: Demokratie muss anpassungs- und widerstandsfähig bleiben. Dies bedarf stabiler rechtstaatlicher Institutionen (vgl. Urban 2024), einer uneingeschränkten Verteidigung der Grund- und Menschenrechte sowie eindeutiger Positionen in Bezug zu Diskriminierung und Extremismus.

„Gleichzeitig ist aber nicht jede Meinung, nur weil sie einem selbst vielleicht sehr fremd ist und möglicherweise auch abstoßend erscheint, deshalb undemokratisch. Dem Angriff auf die Demokratie konsequent entgegenzutreten, aber die Breite demokratischer Meinungen zuzulassen, auch dort wo es unangenehm ist, und immer wieder bereit zu sein, nach Ausgleich und Kompromiss zu suchen, das dürfte der Weg für eine entpolarisierende Haltung sein.“ (Roose 2021: 135)

Dies ist eine gemeinsame Aufgabe, an der der Staat, politische Parteien, zivilgesellschaftliche Organisationen, aber auch Bürger und Bürgerinnen mitwirken müssen. Letztlich müssen wir alle für die Erhaltung und Weiterentwicklung von Demokratie arbeiten, wenn wir sie denn wollen.

 

Nachblende

Im Frühling des Jahres 2024, in Anbahnung der kommenden Wahlen des Jahres, wurde in ein und derselben Sendung des „Ö1-Mittagjournals“ von drei Ereignissen berichtet, deren Gleichzeitigkeit – gelinde gesagt – interessant anmutet, bei entsprechender Prädisposition gar erschrecken lässt (ORF 2024d):

Margarete Klein von der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin erwähnte in einem Interview, dass die in Russland stattgefundenen Wahlen auch in den besetzten (!) Gebieten der Ukraine durchgeführt wurden. Dabei zogen bewaffnete russische Einsatzkräfte mit Wahlurnen von Wohnung zu Wohnung, um die Stimmen einzuholen.

Der slowakische Ministerpräsident, Robert Fico, kein Rechts- sondern eher ein Linkspopulist, kündigte die Auflösung und Neugründung des öffentlich-rechtlichen Senders RTVS an. Begründet wurde dies mit Effizienzsteigerung und Einsparungen. Dieser Schritt war aber auch die einzige juristisch haltbare Möglichkeit, um sich des von der Vorgängerregierung eingesetzten und parlamentarisch gewählten Generaldirektors bzw. der gesamten Geschäftsführung des Senders zu entledigen.

Letztlich, am 14.03.2024 wurde bei einer FPÖ-Kundgebung ein Kameramann des Privatsenders „Puls24“ weggestoßen und bedroht. Es war bereits das zweite Mal, dass Medienvertreter_innen auf einem FPÖ-Event während der Berichterstattung tätlich angegriffen wurden: Der Satiriker Peter Klien war davor, im Oktober 2023, beim Versuch, den FPÖ-Parteivorsitzenden Herbert Kickl bei einer Veranstaltung im steirischen Hartberg zu interviewen, von einem Security in den „Schwitzkasten“ genommen und weggezerrt worden (ORF 2023). Die Replik der FPÖ war in beiden Fällen ähnlich: Die betroffenen Medienvertreter hätten sich ungebührlich verhalten, es fände eine Täter-Opfer-Umkehr statt. Für ein Interview zu dem Übergriff am 14.03.2024 war aus der FPÖ niemand bereit. Stattdessen wurde auf FPÖ-TV ein kurzes Video mit der Überschrift „Puls24-Kameramann provoziert Demo-Teilnehmer!“ online gestellt (FPÖ TV 2024b), welches den Kameramann in einer gänzlich anderen Situation zeigt, die mit dem eigentlichen Vorfall nichts zu tun hatte. Erneut: Alles eine Frage des Framings. Die anderen Parlamentsparteien reagierten in ihren Stellungnahmen scharf. ÖVP-Generalsekretär Christian Stocker kommentierte, dass der Übergriff zeige, in welche Richtung die Politik im Medienbereich gehe. Stocker im O-Ton: „'Wehret den Anfängen und sehet die Zeichen'. Das ist der Beginn und wo es endet, kann man in Russland sehen.“ (Stocker 2024).

Am 24.11.2024 wurde die FPÖ in jenem Bundesland, zu dem Hartberg gehört, mit knapp 35% und mit knapp 10% Abstand zur zweitplazierten ÖVP zur stärksten politischen Kraft gewählt. 

 

 

1 Ergänzend sei hinzugefügt, dass die FPÖ bei den Nationalratswahlen 2019 im Vergleich zu 2017 zwar -9,8% an Stimmen verloren hat, aber immer noch von 16,2% der Österreicher:innen und Österreicher gewählt wurde (BMI 2019). 

2 Siehe dazu auch ÖGPP (2017) und Vogt (2023).

Literaturhinweise

APA – Austria Presse Agentur (2024): APA-Wahltrend. https://apa.at/produkt/apa-wahltrend/ (Zugriff am 04.12.2024).

Bischof, Daniel (2023): Wie Kickls FPÖ die Macht der traditionellen Medien bricht. In: Die Presse online. 22.09.2023. https://www.diepresse.com/17664395/wie-kickls-fpoe-die-macht-der-traditionellen-medien-bricht (Zugriff am 29.02.2024).

Blahak, Boris (2021):  „Daham statt Islam“. Zur funktionalen Einbindung von Dialektstrukturen in die Sprache politischer Werbeplakate. In: Zeitschrift für Dialektologie und Linguistik. Jg.  88, 2021/1–2, 21–56.

Blattner, Adrian/Voelkel, Jan (2023): Wenn Andersdenkende zu Gegnern werden. In: Zeit Online. 28. August 2023. https://www.zeit.de/gesellschaft/2023-08/polarisierung-deutschland-afd-gruene-linke (Zugriff am 15.03.2024).

BMI – Bundesministerium für Inneres (2019): Nationalratswahl 2019. https://bundeswahlen.gv.at/2019/ (Zugriff am 16.02.2024).

BMI – Bundesministerium für Inneres (2024a): Europawahl 2024. https://www.bundeswahlen.gv.at/2024/eu/ (Zugriff am 04.12.2024).

BMI – Bundesministerium für Inneres (2024b): Nationalratswahl 2024. https://www.bundeswahlen.gv.at/2024/nr/ (Zugriff am 04.12.2024).

Böhmermann, Jan (2024, 16. Februar): Die FPÖ und ihr Volkskanzler. ZDF Magazin Royale [Fernsehsendung]. ZDF. https://www.zdf.de/comedy/zdf-magazin-royale (Zugriff am 16.02.2024).

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FPÖ (2024a): https://www.instagram.com/p/C21-NpZohv1/ (Zugriff am 15.03.2024).

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Gadringer, Stefan (2023): Vorwort. In: Gadringer, Stefan, Sparviero, Sergio, Trappel, Josef, Reichenberger, Pauline: Digital News Report Network Austria 2023. Detailergebnisse für Österreich. Salzburg: Paris Lodron Universität Salzburg. https://digitalnewsreport.at/ (Zugriff am 29.02.2024).

Gasser, Florian (2024): Das Vorbild für die AfD. Mäßigung lohnt sich für die Rechte nicht. Das lernen Alice Weidel, Björn Höcke und Co. von der FPÖ. In: Zeit Online. 29. Januar 2024. https://www.zeit.de/2024/05/fpoe-afd-oesterreich-rechtpopulismus (Zugriff am 16.02.2024).

Harteveld, Eelco/Wagner, Markus (2023): Does affective polarisation increase turnout? Evidence from Germany, The Netherlands and Spain. In: West European Politics. Vol 46, No 4. S. 732–759.

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ORF (2024c): Wahl 24 Wahlmotive. Nationalratswahl 2024 - news.ORF.at (Zugriff am 04.12.2024).

ORF (2024d, 15. März): Mittagsjournal [Radiosendung]. Ö1. https://oe1.orf.at/player/20240315/752703 (Zugriff am 15.03.2024). 

Praprotnik, Katrin/Schieder, Barbara (2024, 15. Februar): Analyse der Aschermittwochreden. Ö1 Morgenjournal [Radiosendung]. Ö1. https://oe1.orf.at/player/20240215/749829/1707977155000 (Zugriff am 16.02.2024). 

ÖGPP – Österreichische Gesellschaft für Politikberatung und Politikentwicklung (2017): Die Medienwelt der FPÖ. Wien: ÖGPP.

Plaikner, Peter (2021): Der große Medienirrtum. In: Die Furche, 41. 14. Oktober 2021. S. 8.

Praprotnik, Katrin/Schieder, Barbara (2024, 15. Februar): Analyse der Aschermittwochreden. Ö1 Morgenjournal [Radiosendung]. Ö1. https://oe1.orf.at/player/20240215/749829/1707977155000 (Zugriff am 16.02.2024). 

Roose, Jochen (2021): Politische Polarisierung in Deutschland. Repräsentative Studie zu Zusammenhalt in der Gesellschaft. Berlin: Konrad-Adenauer-Stiftung e.V.

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Stocker, Christian (2024, 15. März): Regierung kritisiert FPÖ für Demo-Vorfall. Ö1 Mittagsjournal [Radiosendung]. Ö1. https://oe1.orf.at/player/20240315/752703/1710501943000 (Zugriff am 15.03.2024). 

Temel, Peter (2023): „Das schneiden´s jetzt aber ned ausse“ – Der „herbe Charme“ des Herbert Kickl. https://kurier.at/kultur/medien/das-schneidens-jetzt-aber-ned-ausse-der-herbe-charme-des-herbert-kickl-beim-sommergespraech/402565502 (Zugriff am 15.03.2024).

Urban, Roland (2024): Bedeutet Rückschritt gleich das Ende von Demokratie? … oder brauchen wir nur eine andere Erzählung? https://www.donau-uni.ac.at/de/universitaet/fakultaeten/wirtschaft-globalisierung/forschung/research-lab-democracy-and-society-in-transition/demokratie-politische-kommunikation-und-politische-bildung/netpol/blog/2024/bedeutet-rueckschritt-gleich-das-ende-von-demokratie-.html (Zugriff 08.05.2024).

Vogt, Jonas (2023): Die seltsame Welt des Herbert Kickl. In: Der Standard online. 2. Juli 2023. https://www.derstandard.at/story/3000000177119/die-seltsame-welt-des-herbert-kickl (Zugriff am 29.02.2024).

Autor

Roland Urban hat Geistes-, Sozial- und Gesundheitswissenschaften in Wien und Dublin studiert. Er ist Gesundheits-, Klinischer und Notfallpsychologe, Prozessgestalter und Forschender. Seit 30 Jahren arbeitet er in unterschiedlichen Kontexten mit sogenannten marginalisierten Gruppen und zielt darauf ab, diese auf ihrem Weg der Ermächtigung zu begleiten. Die letzten 15 Jahre hatte er die Möglichkeit, in verschiedenen koordinativen und leitenden Funktionen sowie durch diverse Fortbildungsangebote und Lehrgänge die Weiterentwicklung der Kinder- und Jugendhilfe in Oberösterreich mitzugestalten. Aktuell promoviert er zudem an der Interdisziplinären Doktorschule der Andrássy Universität Budapest. Arbeits- und Forschungsschwerpunkte: Beteiligung, Peer Education, Empowerment, Gemeinschafts- und Demokratiebildung.


Andrássy Universität Budapest
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