25.02.2025

Warum wir politisches Handeln neu erzählen müssen

„Rambo-Zambo im Konrad-Adenauer-Haus“ – so kündigte Friedrich Merz den Wahlsieg seines Parteienbündnisses aus CDU und CSU bei der deutschen Bundestagswahl 2025 an. Der Freud’sche Versprecher mag zunächst als lockerer Spruch erscheinen, offenbart aber bei näherer Betrachtung ein tieferliegendes Problem der politischen Kultur in Deutschland. Politik wird nicht als kollektives und zielorientiertes Zusammenspiel verschiedener Interessensgruppen gedacht, sondern als Machtkampf durchsetzungsfähiger einzelner Personen. Zwei narrative Strategien unterstützen dieses Problem: die Personalisierung und die Erzählung der Politik als Heldenreise.

Merz’ Wortwahl knüpft bewusst an das Bild des einsamen Kämpfers John Rambo an, der sich gegen ein feindliches System behauptet. Ein harter, kompromissloser Typ, der nicht diskutiert, sondern nach eigener Auffassung handelt. Diese Erzählweise ist nicht zufällig gewählt, sondern Ausdruck einer populären politischen Strategie: Politik wird auf Einzelpersonen reduziert, auf ihre Charaktere und „Kampfgeist“. Programme, Prozesse und institutionelle Strukturen geraten in den Hintergrund.

 

Die Heldenreise als politisches Narrativ

Die Heldenreise ist eines der ältesten Erzählmuster der Menschheit. Bekannt wurde sie vor allem durch den amerikanischen Mythenforscher Joseph Campbell, der in seinem Werk The Hero with a Thousand Faces (1949) ein universelles Erzählmuster herausarbeitete. Campbell zeigte, dass viele Mythen und Geschichten von einer zentralen Figur handeln, die eine Herausforderung meistern muss, gegen Feinde kämpft und schließlich triumphierend oder geläutert zurückkehrt.

Hollywood griff dieses Schema auf – von Star Wars bis Harry Potter orientieren sich unzählige Filme an Campbells sogenanntem „Monomythos“. Doch während das in der Popkultur für mitreißende Geschichten sorgt, ist es in der Politik problematisch. Denn Demokratie ist kein epischer Mythos, sondern ein komplexes Zusammenspiel aus Parteien, Institutionen und Wählenden.

Die Vorstellung, dass ein einzelner „starker Mann“ politische Probleme lösen kann, ist nicht nur unterkomplex, sondern gefährlich. Sie übersieht, dass demokratische Prozesse bewusst auf Konsens, Verhandlung und langfristige institutionelle Stabilität ausgelegt sind – nicht auf heroische Alleingänge.

 

Wie die Personalisierung die politische Berichterstattung verändert

Dass Wahlkämpfe und politische Berichterstattung zunehmend personalisiert werden, ist kein Zufall. Die Entwicklung lässt sich bis in die 1960er Jahre zurückverfolgen, als sich die US-amerikanische Medienlandschaft veränderte und der Wettbewerb um Aufmerksamkeit zunahm. Besonders das Fernsehen trug dazu bei, dass Politik stärker als Kampf der Persönlichkeiten inszeniert wurde.

Während früher vor allem Parteien und Programme im Mittelpunkt standen, verlagerten sich die Schwerpunkte hin zu charismatischen Spitzenkandidaten, deren Auftreten, rhetorische Fähigkeiten und persönliche Geschichten immer mehr zum entscheidenden Faktor wurden. Dieser Wandel wurde durch das Aufkommen von Talkshows, Live-Debatten und in den vergangenen Jahren durch soziale Medien verstärkt.

Heute sind Formate wie Duelle oder Trielle fast unvermeidlich geworden – sie inszenieren Politik als Kampf, in dem es klare Sieger und Verlierer gibt. Dabei entsteht der Eindruck, als sei die Wahl eine Entscheidung zwischen Einzelpersonen, nicht zwischen politischen Konzepten und Programmen.

 

Warum Personalisierung der Demokratie schadet

Doch Helden brauchen Gegner. In der politischen Realität führt dies dazu, dass populistische Rhetorik oft abstrakte Feindbilder aufbaut: „die Arbeitslosen“, „die Ausländer“, „die abgehobene Elite“. Der „Held“ tritt gegen sie an, aber ein solcher Kampf kann nie gewonnen werden. Er sorgt nur für eine ständige Erneuerung von Krisen und Konflikten, die wiederum neue Heldenfiguren legitimieren.

Noch problematischer ist, dass die Idee der Heldenreise auf den demokratischen Prozess übertragen wird. Sie suggeriert, dass Checks and Balances, parlamentarische Verfahren und politische Kompromisse hinderliche Hindernisse seien – etwas, das der „Held“ umgehen oder durchbrechen müsse. Doch genau diese Mechanismen sind es, die demokratische Systeme stabil und widerstandsfähig machen.

 

Von Rambo lernen: Ein System ohne Prozess führt zur Zerstörung

John Rambo, der Filmheld, ist letztlich eine tragische Figur. Als Vietnam-Veteran wurde er von der Gesellschaft zuerst gefeiert, dann fallengelassen. Seine einstige militärische Stärke wird zur gesellschaftlichen Last, seine Handlungen enden in Zerstörung. Er bricht am Ende weinend und verzweifelt zusammen und findet keinen Platz mehr für sich und das Einzige, was er wirklich gut kann – nämlich kämpfen.

Ein politisches System, das sich an diesem Muster orientiert, läuft Gefahr, genau das zu wiederholen: Statt stabile Prozesse zu fördern, schafft es kurzfristige Heldenerzählungen, die schnell verblassen und das mit potenziell fatalen Konsequenzen für das Vertrauen in die Demokratie.

 

Denkt in Prozessen, nicht in Personen

Demokratie braucht keine Helden. Sie braucht engagierte Bürgerinnen und Bürger, Institutionen, die verlässlich arbeiten, und eine politische Kultur, die nicht den Einzelnen, sondern den Prozess in den Mittelpunkt stellt.

„Rambo-Zambo“ ist nicht das Narrativ, das eine moderne Demokratie braucht. Was wir stattdessen brauchen, ist eine politische Kultur, die über Individuen hinausblickt und darauf setzt, dass Veränderungen gemeinsam – und nicht durch einzelne „starke Männer“ – gestaltet werden.

Autor

PD Dr. Martin R. Herbers leitet das Zentrum für Politische Kommunikation an der Zeppelin Universität in Friedrichshafen. Er ist Mitglied im internationalen und interuniversitären Netzwerk Politische Kommunikation netPOL. Er forscht und lehrt zum Zusammenspiel von Demokratie, Öffentlichkeit und Technologie.

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