05.11.2019

Die Ära des „homo ludens“
Blue Hour diskutierte das Spiel als Triebkraft von Wirtschaft, Kultur, Bildung und Politik

 

Ob in digitaler oder analoger Form – Spiele sind längst ein bedeutender Teil unserer Gesellschaft geworden. Das Spiel und damit der „homo ludens“ zeigen sich gegenwärtig in vielfältiger Form. Der Nutzen des Spiels geht jedoch weit über den alleinigen Unterhaltungswert hinaus; welchen konkret, das diskutierte am 5. November in Wien die Blue Hour in fachkundiger Besetzung.

 

Es war das erste Spiel der Welt – Ur, ein königliches Spiel aus Mesopotamien, erfunden vor rund 4.500 Jahren. Quer durch die Geschichte zeige sich, was der niederländische Kulturhistoriker Johan Huizinga postulierte: Der Mensch ist ein homo ludens, so Alexander Pfeiffer, Wissenschafter am MIT und der Donau-Universität Krems. Die Donau-Universität Krems war die erste Universität in Europa die einen explizit auch so bezeichneten Game Studies Lehrgang anbot und dies heute noch tut.

Gespielt wurde früher nicht nur am Brett, so Pfeiffer in seinem Impulsreferat, sondern auch in Form von Wettkämpfen von Menschen und Tieren. Die Philosophie und Soziologie betrachtet das Leben selbst als Spiel, siehe etwa Plotin in der Antike oder Goffman, nach dem das Leben in „magic circles“ nach bestimmten Regeln „gespielt“ werde. Mit der industriellen Revolution und dem Druck zur durchgetakteten Erwerbsarbeit wurde das Spiel in Kinderzimmer und Altenheime zurückgedrängt. Digitale Spiele, deren Praxis zunächst nur „Nerds“ zugeschrieben wurde, brachten jedoch die Wende: Mit der Digitalisierung ab 2010 wurde das Spiel zu einem offen zur Schau getragenen Massenphänomen, wie gegenwärtige eSports-Wettbewerbe, wie etwa Fortnite, zeigten. Pfeiffers These: Alles ist Spiel, ob analog oder digital. Mit der Gamification, so Pfeiffer, unterstützen Spielmechanismen Prozesse der realen Welt. Eingesetzt werden sollten diese aber zum Beispiel in Unternehmen nur von ExpertInnen, um nicht intendierte Folgen zu vermeiden.

 

Wir brauchen Aufgeschlossenheit und gleichzeitig Reflexion

Die nachfolgende Diskussion unter Moderation von Werner Sejka, Anchor PULS 24 News, verdeutlichte: Das Spiel und seine Mechanismen finden in den Gesellschaften der Gegenwart vielfältige Umsetzungen; Aufgeschlossenheit aber auch Wachsamkeit und Reflexion seien erforderlich. Evident sei, so Jörg Hofstätter, Geschäftsführer der Digitalagentur ovos, dass wir am besten spielend lernen, wie man dies bei Kindern beobachten könne. Bedauerlicherweise werde uns dies im Berufsleben abgewöhnt. Die motivierende Kraft des Spiels unterstrich der NMS-Lehrer Michael Fleischhacker aus eigener pädagogischer Erfahrung. Den Einsatz spielerischer Mechanismen beispielsweise als Belohnung in Form von Badges oder Punkten, so die AIT-Forscherin Simone Kriglstein, gebe es nicht erst seit der Digitalisierung, bereits in der analogen Ära wurden diese im Unterricht eingesetzt. Solche Systeme könnten, so Fleischhacker, auch Leistung differenzierter beurteilen als Noten. Gamification-Mechanismen dieser Art gebe es auch, laut Pfeiffer, im universitären Bereich, beispielsweise ECTS-Punkte oder Punkte, die mit der Publikation von Aufsätzen gesammelt würden.

Egal in welchem Lebensbereich, Spiel, so die mehrfache Computerspiel-Staatsmeisterin Yvonne Scheer, motiviere, müsse aber maßvoll eingesetzt werden, denn bei einem Zuviel drohten soziale Fähigkeiten verloren zu gehen. Auf die positive Erfahrung mit dem Einsatz von Spielemechanismen im Unternehmenssektor verwies Jörg Hofstätter. Er setzt Spiele zur Organisationsentwicklung und für das Managementcoaching ein. Führungskräfte könnten beispielsweise ihre Sozialkompetenz durch die in Lernspielen eingebauten Reflexionsebenen verbessern. Zu genereller Reflexion über Folgen und Wert von praktizierten Spielen vor allem Kinder und Jugendliche anzuhalten, sei gerade in der Pädagogik relevant, so Fleischhacker. Das Spiel sei jedenfalls kein Allheilmittel, so der Lehrer, Vielfalt bei den Unterrichtsmethoden sei wichtig, auch das herkömmliche Buch habe nach wie vor seinen Wert.

 

Die Tücken von Spiel und Gamification

Ungelöst, so Alexander Pfeiffer, sei in der Spieleforschung das Problem, dass Menschen ihr Leistungsverhalten im Spiel eher an Rekorden denn an Verhaltensänderungen orientierten. Ein Beispiel: Der Schrittzähler, bei dem der gesundheitliche Aspekt oft hinter das Ziel rücke, seine eigenen Bestmarken zu brechen. Weitere Herausforderung: Das oft geschickt getarnte Abgreifen persönlicher Daten durch Spiele wie zum Beispiel bei Pokemon Go. Hier brauche es Aufmerksamkeit, so Pfeiffer.

Social scoring als Ausprägung von Gamifizierung, wie es in China gezielt zur Verhaltensbeeinflussung eingesetzt werde, sei, so Pfeiffer, aus Sicht der Politik eines so großen Landes nachvollziehbar, berge aber viele negative Eigenschaften. Die Frage sei immer auch, wie mit Daten umgegangen werde: behält man die Kontrolle zum Beispiel durch Blockchain-Technologie, oder werden diese rein zur Überwachung genützt? Mit dem discounting als Bestrafung von Verhalten in Form beispielsweise höherer Versicherungsprämien, gebe es social scoring auch im Westen, so Pfeiffer. Mit social scoring, so Jörg Hofstätter müssen das Recht auf Vergessen sowie das Thema Privatsphäre ethisch diskutiert werden. Es sei als systematische Massenüberwachung kein rein technisches Thema. Simone Kriglstein verwies hier auch auf technologische Entwicklungen zur Gefahrenabwehr. So gebe es bereits Schutzstrategien gegen Gesichtsscanning. Verantwortung für den richtigen Umgang mit Spielen und damit digitalen Daten von Kindern sieht Yvonne Scheer zudem bei Eltern, auch wenn diese selbst keine digital natives seien.

 

Spiel als "Cashcow"

Zu bedenken ist, so die Runde, dass das Spiel zu einem stark wachsenden Wirtschaftszweig geworden sei. Gaming bzw. eSport-Events wie Fortnite, so Scheer und Hofstätter, seien heute gleich stark oder sogar schon stärker nachgefragt als andere Sportveranstaltungen und mittlerweile höchst professionell und attraktiv für prominente Sponsoren wie A1, Mercedes oder McDonald‘s. Die Preisgelder in Millionenhöhe, etwa bei Fortnite, seien Indiz für die Reichweite. Streamingdienste wie Twitch, s seien mittlerweile so beliebt wie Netflix und eSport habe das teils fragwürdige Image nicht verdient, laut Scheer, niemand müsse sich schämen, so die Computerspiel-Staatsmeisterin, die darin eine Erweiterung des Freizeitangebots sieht.

Spiel, so das Fazit, brauche Bewusstsein für Risiken und Reflexion seiner Gefahren, berge aber enorme Chancen für Lernprozesse, wirtschaftlichen Erfolg und die Möglichkeit, Kinder und Benachteiligte zum Lernen zu bewegen.

 

Es diskutierten:

Priv.-Doz.in Dipl.-Ing.in Dr.in Simone Kriglstein

Universität Wien – CSLEARN – Educational Technologies, Austrian Institute of Technology

Mag. Jörg Hofstätter

Geschäftsführender Gesellschafter von ovos gmbh, spielerische Lernerhebung in Unternehmen

Yvonne Scheer

Mehrfache Computerspiel-Staatsmeisterin, Genderbeauftragte des österreichischen eSport Verbands (ESVÖ)

Michael Fleischhacker, Bakk.phil.

Bildungshub.wien/Bildungsdirektion für Wien, Lehrer an der NMS Kinzerplatz in Wien-Floridsdorf

Dr. Alexander Pfeiffer

Massachusetts Institute of Technology (MIT), Zentrum für Angewandte Spieleforschung der Donau-Universität Krems

Werner Sejka (Chair)

Anchor PULS 24 News

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