Nachbericht

Wege aus der Nachrichtenmüdigkeit

Wie innovative Formen des Qualitätsjournalismus wieder Lust auf Medien machen, diskutierten Expert_innen aus Wissenschaft und Journalismus bei unserer Blue Hour-Podiumsdiskussion.

Wie erreichen wir Qualität im Journalismus? Wie ist diese Qualität erkennbar und ist die Bezeichnung überhaupt noch zeitgemäß? Unter der Moderation von Julia Juster, Leiterin u.a. des Lehrgangs Qualitätsjournalismus an der Universität für Weiterbildung Krems diskutierten am 15. März die Journalistin, Autorin und Dozentin an der Hamburg Media School, Alexandra Borchardt, die Generalsekretärin des Presseclub Concordia, Daniela Kraus, Dominik Ritter-Wurnig, Gründer des Digitalmagazins tag eins und Josef Trappel, Universitätsprofessor für Kommunikationspolitik und Medienökonomie an der Universität Salzburg.

Klar ist: Journalismus generell ist unter Druck der digitalen Plattformen mit ihren Algorithmen und der schwindenden Aufmerksamkeit. Es gibt aber ermutigende Ansätze, den Niedergang des Journalismus zu stoppen.

Ist Qualitätsjournalismus noch zeitgemäß? Es ist die Realität des Medienverhaltens der Menschen und der Gestaltung von Nachrichten, die nicht nur diese Frage sondern auch jene nach Intaktheit unserer Demokratie nahelegt.

Treffend formulierte es Bundespräsident Alexander van der Bellen anlässlich seiner Angelobung:

„Viele von uns speisen ihren Blick auf die Welt mittlerweile aus sogenannten sozialen Medien. Das Bild der Welt wird dort mit Hilfe von Algorithmen gezeichnet, die vornehmlich Informationen filtern und pushen, die nicht unbedingt wahr sein müssen, aber dafür ein möglichst hohes Aufregungspotenzial in sich tragen. Und die größte Aufregung entsteht nicht durch den objektiven Blick auf die Fakten, sondern durch möglichst radikale Überzeichnung und Verkürzung.“

Clickbaiting, die reißerische Aufmachung also als Gegner guten Journalismus.


Relevanzkrise

Diesem von Moderatorin Julia Juster zitierten Bild der Nachrichtenrealität hält die Journalismusexpertin Alexandra Borchardt eine differenzierte Analyse entgegen: Der Journalismus, so Borchardt, leide viel weniger unter einer Vertrauens-, sondern einer Relevanzkrise. Die Menschen, so zeigten Studien, vertrauen noch den Medien, wenngleich sich zunehmende Skepsis vor allem bei jungen Menschen zeige. Am Relevanzproblem trage die Medienbranche aber selbst Schuld mit dem ständigen Suche nach mehr Reichweite. Gleichzeitig produzierten Medien an den Nachrichtenbedürfnissen der Menschen vorbei. Dies führe zur Vermeidung des Nachrichtenkonsums, News Avoidance, und zu Medienmüdigkeit. Vielen könnten die laufend präsentierten Krisenmeldungen nicht mehr ertragen. 
Weiterer Befund nach Borchardt: Journalismus war nie so gut wie behauptet, da trübe Nostalgie den Blick. Früher seien Nachrichten von Männern für Männer formuliert worden, viele Schichten wurden erreicht. 
Drittens: Auch wenn die Medienhäuser die Algorithmen der digitalen Plattformen nicht in der Hand hätten: Wer in der Medienbranche die Digitalisierung nicht nützt handele fahrlässig, so Borchardt. Denn gerade damit könnten bisher nicht erreichte Zielgruppen erschlossen werden.

Kommunikationswissenschafter Josef Trappel sieht den Widerspruch nicht: Auch Qualitätsjournalismus oder jener, der auf Langsamkeit setze, könne Clickbaiting nützen, schließlich müssten alle Inhalte verkaufen, die Synthese sei machbar, so der Medienökonom. Teil auch professionellen Journalismus sei es, Aufmerksamkeit zu erregen. Worüber gesprochen werden müsse: Was ist der Kern guten Journalismus. Hier führt Trappel den neuen Ansatz des Constructive Journalism ins Treffen. Journalismus an Fundament von Wissen, der lösungsorientiert sei. 

Der Synthese Trappels will der Gründer des online-Magazins tag eins, Dominik Ritter-Wurnig, nicht folgen: tag eins arbeite mit der These, Clickbaiting zerstöre Journalismus. Dieser dürfte nicht als Fast Food, sondern als gesunder Mittagstisch serviert werden und müsse fundiert informieren. Hintergründe bräuchten Recherche und damit Zeit, dafür stünde sein Wochenmagazin.

Ähnlich Daniela Kraus, Presseclub Concordia: Diese Synthese erzeuge letztlich nur Leid. Während es beinahe auf den Tag genau vor 175 Jahren, als in Österreich während der Revolution von 1848 die Zensur vorübergehend fiel, hier, dass die zum Strom kanalisierte Meinung das Geschehen beeinflussen könne, gäbe es heute im Journalismus den Zwang, viele durch Algorithmen gesteuerte Interessen zu bedienen. Wie könne der da auch noch konstruktiv gestaltet werden. 
 

Wert oder Unwert digitaler Plattformen

Doch sind digitale Plattformen wie Google und andere nicht doch positiv, weil sie Informationen bereitstellen?

Ablehnung kam dazu von Kraus, die auf die Intransparenz der Algorithmengestaltung der Digitalunternehmen hinwies, die sich ihrer sozialen Verantwortung entzögen.
Großartiger themen- und lösungsorientierter Journalismus sei aber doch auch beispielsweise auf Instagram, YouTube oder Tik Tok möglich, wie Beispiele etwa des World Economic Forum zeigten, so Borchardt. Auch das Podcasting sei enorm gewachsen und vor allem bei Frauen beliebt. Aber natürlich sei die Abhängigkeit der Medien von den Plattform-Konzernen massiv. Wenn Meta downranked, findet Journalismus nicht mehr statt

Die Vorteile der Plattformen: Menschen könnten, so Ritter-Wurnig, besser erreicht werden als früher. Das Problem sei natürlich das Fehlen einer den großen Digitalplattformen vergleichbare Plattform für Medien.
Ein schlichtes ökonomisches Argument sei hier zwingend, so Trappel: Der Werbekuchen sei nicht mehr geworden, das Geld gehe dorthin, wo die Nachfrage bzw. Aufmerksamkeit sei, und das seien die digitalen Plattformen. Ein Dagegenhalten sei schwierig, aber möglich: So refinanziere eine Digitalsteuer in Frankreich den Journalismus. Die ökonomische Ausgangslage sei aber ungesund, so Trappel. 

Jedoch, so Borchardt: Studien zeigten, dass gerade jüngere bereits sind, für digitalen Journalismus zu zahlen. Der Hemmschuh: Menschen seien gewohnt, im Internet alles umsonst zu bekommen. Dennoch steige langsam aber doch die Bereitschaft zu zahlen, in Deutschland zuletzt von 9 auf 14 Prozent – in Österreich von 9 auf 12 Prozent laut Trappel. Aber: Die Generation Netflix und Spotify zahlten sicher nicht für schnelle News, sondern „für etwas, womit sie sich identifizieren können“, so die Hamburger Medienexpertin.
 

Schwierige Finanzierung

Zum Thema Medienfinanzierung wies Daniela Kraus auf die schwierigen Marktverhältnisse in Österreich hin. „Der Markt ist klein. Der Werbekuchen bricht weg“. Die Abhängigkeit des Journalismus von öffentlichen Förderungen und Inseraten steige. Zwar gebe es mehr Einnahmen aus der Digitalsteuer, als anfangs angenommen, die Gelder gingen aber in digitale Transformationsförderungen traditioneller Medienhäuser, wovon junge Start-Ups wie tag eins nichts hätten. Innovation sei da schwierig. 
Diese Verzerrung sieht auch Ritter-Wurnig. Zwar läge ein Gesetzesentwurf zu einer neuen Medienförderung im Parlament, aber es gebe in Österreich eigenartige Incentives, wie die Förderung von Sendeminuten. Dies habe Privatsender von Zeitungshäusern sprießen lassen, obwohl es eigentlich keine Nachfrage danach gebe. 

Dass Medienhäuser immer noch gutes Geld verdienen könnten, so Trappel, zeige Axel Springer. Allerdings verdiene das einst große Medienhaus viel Geld mit dem digitalisierten Rubrikengeschäft, aber wenig mit der eigentlichen Zeitung. Nach dem Gewinnmechanismus müssten die Zeitungen eigentlich zugemacht werden, da sie defizitär seien, so der Kommunikationswissenschafter, der als weiteres Geschäft der Medienhäuser das Geschäft mit Daten anführt.
Dazu komme, so Ritter-Wurnig, dass das online-Werbegeschäft nicht funktioniere, da digitale Anzeigen die Menschen nicht sonderlich interessierten. Borchardt: Es gebe aber positive Beispiele für die Refinanzierung, etwa Newmark Craig, Gründer von Craigslist, einer US- Anzeigenwebsite, sei mit seinen Gewinnen heute ein großer Förderer des Journalismus, meinte Borchardt. 
 

Wege gegen News Avoidance

Was also können traditionelle Medienhäuser der Nachricht Nachrichtenmüdigkeit entgegen setzen?

Ästhetik von Text und Bild sieht Daniela Kraus als Rezept, mehr Gewicht sollte auf das gute Schreiben gelegt werden. Das gelte auch für Werbeformate. Doch in der Digitalisierungsdebatte trete die Ästhetik in den Hintergrund. Borchardt sieht den Ansatz durch Studien belegt: Bei gut geschriebenen Texten bleibt das Publikum dran. Im Netz funktionierten auch lange Stücke.

Positives Beispiel: Agence France Press arbeiten mit qualitativ herausragenden Fotos, um beispielsweise eine umfassende Berichterstattung zu den Auswirkungen des Klimawandels zu visualisieren. Das helfe bei schwierigen Themen. Auch interessant: Die Agentur, so Borchardt habe ihre Ressort zugunsten von Themenhubs aufgelöst, wodurch fundiertere Berichte entstünden und mithilfe starker Fotos ein anderer Lesegenuss entstehe. 

Allerdings helfe die Ästhetik nichts, bei denen, die gar nicht mehr erreicht werden, so Trappel. Immerhin ein Viertel der Bevölkerung. Das sollte Sorgen bereiten. Denn wir brauchen für die Demokratie Informationen, wenngleich, wie Borchardt zu Bedenken gibt, die traditionellen Medien ihre Gatekeeper-Funktion verloren hätten. Das Paradoxon hier sei, so Borchardt, dass gerade die Digitalisierung entgegen der Erwartung zu mehr News Avoidance geführt habe. Wobei hier auch unterschiedliche Gründe vorlägen, wie Medienabstinenz als Selbstschutz. Problematisch, so Kraus, seien auch die vielen wachsenden Biotope alternativer Medien mit teilweiser Finanzierung vom rechten Rand.

Ob dieses Viertel zurückgeholt werden kann, beurteilt Ritter-Wurnig skeptisch, und wenn, dann über Ästhetik, vor allem aber über Inspiration und Freude. Denn es werde oft vergessen, dass Journalismus Teil der Unterhaltung sei. Viele Junge beispielsweise, so Borchardt ergänzend, würden sich über Comedy Shows informieren. 
 

Nicht auf das Katastrophale fokussieren

Welche Rolle hier dem konstruktiven Journalismus zukomme?

Eine sehr wichtige, so Borchardt, die eher vom Journalismus der Perspektive sprechen möchte. Der meiste Journalismus führe Menschen in Verzweiflung. Constructive Journalism fokussiert nicht auf Konflikte oder das Katastrophale, sondern sagt, wie wir aus der Krise raus kommen. Außerdem betrachte diese Spielform des Journalismus Menschen als handelndes Subjekt, nicht als Betroffene. Davon bräuchte es dringend mehr. 
Gute und erfolgreiche Beispiele dazu, so Trappel, gebe es im baltischen Raum, und zwar rein screengetrieben.
Ritter-Wurnig sieht die Zukunft auch im Engagement Journalism, der in Österreich noch selten sei. Die Rezipient_innen würden da zum Beispiel in Recherchen eingebunden. Deutschland und die USA seien bei diesem Human-centered Journalism schon weiter.
Daniela Kraus wünscht sich als Mittel gegen die Nachrichtenmüdigkeit eine konstruktivere Medienpolitik, die Neues ermögliche.

Und wie ließe sich Qualitätsjournalismus besser ausweisen?

Kraus: Beispielsweise durch die Bekanntgabe der Qualitätssicherungsmechanismen in den Medienhäusern oder Qualitätskriterien für Förderungen und Standesethos. Selbstzertifizierungen führt Borchardt an. Alles andere wäre das Einfallstor für Zensur durch den Staat.

Die Unterscheidung zwischen Qualitätsjournalismus und Boulevard lehnt Ritter-Wurnig überhaupt ab. Es gebe nur Journalismus, der sich durch bestimmte Kriterien auszeichne, oder Nicht-Journalismus bzw. Fake News.

Wem man vertraut, müsse eben durch kritisches Lesen entstehen. 

Aufzeichnung der Podiumsdiskussion

Eine Aufzeichnung der Podiumsdiskussion "Slow News versus Clickbaiting: Qualitätsjournalismus und die Ökonomie der Aufmerksamkeit." steht Mitgliedern des Alumni Clubs unter diesem Link exklusiv zur Verfügung.

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