Am 7. Mai 2020 präsentierten beim ersten Online-Symposium des Departments für Kunst- und Kulturwissenschaften elf ExpertInnen ihre Untersuchungen zu virtuellen Museumsbesuchen und digitalen Vermittlungsangeboten und stellten sich der Diskussion mit KollegInnen und Studierenden. Aufgrund des enormen internationalen Interesses wird das von Univ.-Prof. Anja Grebe initiierte Symposium am 18. Juni 2020 fortgesetzt.
Die Maßnahmen zur Eindämmung des Corona-Virus haben auch das kulturelle Leben zum Erliegen gebracht. Museen, Archive und Bibliotheken sind seit den letzten Wochen massiv von den angeordneten Schließungen betroffen, Ausstellungen und Kulturvermittlungsprogramme mussten abgesagt, Projekte verschoben werden. „Selbst ohne akute Existenzbedrohung für einzelne Einrichtungen verändert die aktuelle Situation den Blick auf Museen und Sammlungen langfristig“, so Univ.-Prof. Dr. Anja Grebe, Professorin für Kulturgeschichte und Museale Sammlungswissenschaften, in ihrer Symposiums-Einführung. Gleichzeitig sei zu beobachten, dass Museen gerade während ihrer physischen Nicht-Besuchbarkeit enormes kreatives Potential entfalten und die Krise vielerorts als Chance, sich den Sammlungen und Objekten auf innovative Weise zu nähern, genutzt wird.
Im Rahmen des Online-Symposiums erörterten ExpertInnen aus Wissenschaft und Forschung, KuratorInnen und KulturvermittlerInnen, inwiefern Museen und Ausstellungsbetriebe gerade in Zeiten, in denen keine physischen Besuche erlaubt sind, neue BesucherInnen gewinnen können. Es ging darum zu eruieren, wie Museen auf die COVID-19-Maßnahmen reagieren, welche Angebote und Projekte konkret entwickelt und wie sie technisch umgesetzt werden können und wie BesucherInnen bzw. NutzerInnen diese annehmen.
Museen in Quarantäne – Neue Chancen?
Die Medizinerin Prof. Dr. Marion Maria Ruisinger, Direktorin des Deutschen Medizinhistorischen Museums Ingolstadt, eröffnete unter dem Projekttitel „Ingolstadt: Covid-19 & History“ den Reigen mit einer epochenübergreifenden Untersuchung des Umgangs der Gesellschaft mit Epidemien und zeigte in einem Sammlungs-Blog seuchenhistorische Objekte. Derzeit ruft das Museum in einer partizipativen Sammelaktion in der Öffentlichkeit dazu auf, Corona-Schutzmasken einzuschicken und somit für die Nachwelt den Alltag in der Corona-Krise zu erhalten. Dass medizinische Objekte gerade in dieser Zeit besonderes Interesse wecken, zeigen die wesentlich stärkere Medienpräsenz und ein Anstieg der Besuchsfrequenz auf der eigenen Website sowie die „ermutigenden Rückmeldungen der NutzerInnen, die sich auf immer neue vorgestellte Objekte freuen“, wie Ruisinger berichtete.
Die Rolle von Social Media
Über gut angenommene Online-Kampagnen wie #KuMaCHALLENGE und die enorme Bedeutung von Social-Media-Kanälen für den direkten Kontakt mit den FollowerInnen sprachen Dr. Sebastian Baden und Antonella B. Meloni von der Kunsthalle Baden. Die beiden Kuratoren machten auf die Vorteile einer bereits bestehenden Online- und Medien-Struktur aufmerksam, auf die bei einer Verlegung des physischen Museumsbetriebs ins Digitale rasch aufgebaut werden könne. So wurde in Mannheim die Studio-Ausstellung #ONTHEQUIET kurzfristig komplett ins Digitale verlegt und wird als Wanderausstellung auch an anderen Standorten präsentiert werden.
Mit „CollectCastNÖ“ entstand ein digitales Vermittlungsangebot in Form eines Videopodcasts über den Youtube-Kanal „Kultur Niederösterreich FREI HAUS“. Hier werden mit Kurzvideos Einblicke in die Sammlungen gewährt, was die Sichtbarkeit erhöht, wie die Initiatorin Dr. Alexandra Schantl von den Landessammlungen Niederösterreich die Motivation dieser Initiative beschreibt. Derartige Angebote reagieren nicht nur auf die Krise, sondern bieten längerfristige Möglichkeiten der Auseinandersetzung mit den Objekten.
Wie man es schaffen kann, durch partizipative Vermittlungsprojekte lokale Museen zu unterstützen, zeigt Hanna Sauer, M.A., von den Jungen Kulturfreunden Freiburg, einem Freundeskreis des Augustinermuseums, auf. Über Social-Media-Kanäle wird mit der Initiative #Lieblingsstück dazu angeregt, ein solches aus der Sammlung zu nominieren, womit auch museumsfernere Gruppen angesprochen werden sollen. Teamintern fungieren diese laufenden Digitalangebote als motivierender „Eisbrecher“ um stetig kreativ zu sein und dabei auch mit den Abteilungen PR und Vermittlung des Augustinermuseums zusammenarbeiten.
Online-Sammlung vs. „echtem“ Besuch
Wie unterschiedliche Arten von Objekten digital präsentiert werden können, zeigte Isabella Frick, M.A., wissenschaftliche Mitarbeiterin der Donau-Universität Krems. Die Landessammlungen Niederösterreich bieten seit wenigen Wochen eine Online-Datenbank, die derzeit insgesamt 30.000 digitalisierte Objekte aus den Beständen aller Sammlungsbereiche besuchbar macht. „Dass dieses Projekt so schnell realisiert werden konnte, liegt auch an den coronabedingten Schließungen, denn so konnte das Projekt bereits im April vorgezogen werden und das gesamte Team war hochmotiviert, innerhalb kurzer Zeit korrekte Daten und Bilder ins Netz zu bekommen“, so Frick.
Kulturvermittlerin Julia Moebus-Puck, M.A., Wien und Bonn, untersuchte Apps und Webauftritte unterschiedlicher Ausstellungsbetriebe und stellte Möglichkeiten, Vor- und Nachteile von virtuellen Plattformen dar. Dabei macht das Ergebnis ihrer Analyse deutlich, dass bei vielen Angeboten eine besuchergerechte Vermittlung der Inhalte zu kurz kommt. Sie kommt zum Schluss, dass gegenwärtige Formen zwar Ergänzungen zu realen Führungen sein könnten, Digitales den Museumsbesuch aber nicht ersetzen könne.
Uta Birkemeyer und Florian Pauls vom AlliiertenMuseum Berlin sehen den Shutdown durchaus als stimulierenden Faktor. Bereits vor Corona gaben sie mit Videos Einblick in die Sammlungen, doch jetzt erreichen sie wesentlich mehr Menschen mit ihrem Content. Sie betonen, wie wichtig es gerade jetzt sei, strategisch vorzugehen und inhaltlich relevante sowie emotional ansprechende Themen zu erschließen und zu vermitteln. Dabei arbeiten die beiden Kuratoren eng mit den KulturvermitterInnen des Museums zusammen, die in den Videos beispielsweise ihren persönlichen Blick auf einzelne Sammlungsstücke offenbaren.
Mag. Dr. Christoph Hatschek, Vizedirektor des Heeresgeschichtlichen Museums Wien, zeigte anhand von jüngsten Studien und Auswertungen von Websites die enorme Anziehungskraft von digitalen Angeboten auf anhand signifikant gestiegener Online-Besuchszahlen. Gleichzeitig bemerke man Befürchtungen in der Museumsszene, dass Digitales den physischen Museumsbesuch „kannibalisieren“ könnte. Hatschek geht davon aus, dass die Aura des realen Objekts auch digital umsetzbar sein kann, sieht in der digitalen Welt aber keinen Feind.
Dauerhafte Wirkungen
Der Frage, wie nachhaltig die digitalen „Adhoc“-Aktivitäten der Museen im Lockdown sein können, ging Dr. Matthias Henkel von der Agentur Embassy of Culture, Berlin und Präsident von ICOM-MPR (International Committee for Marketing and Public Relations des International Council of Museums), nach. Für einen nachhaltigen Erfolg – auch über die Zeit der aktuellen Einschränkungen hinaus – empfiehlt Henkel neben einer umfassenden digitalen Strategie die aktive Einbindung der BesucherInnen sowie konstante Kommunikation mit diesen zur Schaffung neuer Kontexte und Zugänge. Trotz aller Komplexität rät er dazu, Zugänge niedrigschwellig zu halten.
Abschließend betonte Anja Grebe, Initiatorin und Moderatorin des Symposiums, dass gerade in fordernden Situationen die Zusammenarbeit zwischen den einzelnen Institutionen zu stärken sei. Sie bezeichnet dies als „sharing attitute“ und meint: „Das wäre das schönste Erbe von Corona.“
„Museen in Quarantäne – Neue Chancen für Sammlungen II“
Termin: 18. Juni 2020
Beginn: 14:00 bis 17:00 Uhr
Anmeldung: bis 18. Juni 2020, 13:00 Uhr über das Xing-Onlineformular auf www.donau-uni.ac.at/museen-in-quarantaene – nach erfolgreicher Anmeldung wird der Zoom-Link zugeschickt
Die Teilnahme am Online-Symposium ist kostenlos.
Die Symposien werden in Kooperation mit dem Masterlehrgang „Collection Studies and Management“ des Departments für Kunst- und Kulturwissenschaften durchgeführt.
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