10.12.2021

Die jüngste Ausgabe der Webinarreihe „Digitale Transformation der Universitäten“ am 18. November 2021 ging der Frage nach, in welche Richtung sich die Hochschulen entwickeln werden. Dabei wurde die Rolle der Universität sowie die Themen Spezialisierung, Messbarkeit und neue Bildungspfade im Sinne des lebensbegleitenden Lernens von Günther R. Burkert, Otfried Jarren und Peter Parycek diskutiert.

In seinem Impulsvortrag gab Governanceexperte Univ.-Prof. Dr. Otfried Jarren, Ordinarius für Publizistikwissenschaft am Institut für Kommunikations­wissenschaft und Medienforschung der Universität Zürich und Schaderpreisträger, einen Überblick über die Wirkungsdynamiken, die von der Digitalisierung im Hochschulbereich ausgelöst bzw. verstärkt wurden. So führe der Differenzierungsprozess in den verschiedensten Bereichen zu einer Ausgestaltung immer komplexerer Strukturen, etwa in der Gerichtsbarkeit. Im Bildungsbereich gingen die Veränderungsprozesse von Differenzierung und Digitalisierung Hand in Hand. Während in der Gegenwart keine Volluniversitäten mit umfassendem Fächerkanon unterschiedlicher Richtungen mehr gegründet werden, sehe die Lage bei Spezialuniversitäten, wie etwa technischen Universitäten oder MedUnis, anders aus. Auf Systemebene kam es zur Ausdifferenzierung in Fachhochschulen, Universitäten, Pädagogischen Hochschulen und Schools. Diese Auswahl führte zu einem Wachstum, ein Treiber hierbei sei auch der Bologna-Prozess, der durch eine Modularisierung das Fundament für neue Bildungswege legte.

Durch die Vielzahl an Akteuren entstünden neue Konkurrenzsituationen, etwa zwischen Voll- und Spezialuniversitäten oder bei der Subventionsvergabe zwischen Universitäten und FHs. Mithilfe der Digitalisierung wurde die Messbarkeit von Leistungen und deren globale Vergleichbarkeit schlagartig erhöht, was auf Organisationen wie auch Individuen (Impact-Faktoren, Followerzahlen, etc.) zutreffe. Zudem erstrecke sich der Wettbewerb über geografische Grenzen hinweg, wie die in den USA populären MOOCs, Massive Open Online Courses, zeigen.

Neue Kompetenzen für Change-Prozesse

Das Aufbrechen von orts- und organisationsgebundenen Ordnungen bei Lehre und Forschung erschwert zunehmend Regulierungen von Seiten der Politik, es finde gegenwärtig eine Ent-Staatlichung, statt. Schlagwörter wie Open Access und Open University werden diese Entwicklung mitprägen. Auch die Universitäten selbst differenzieren sich laufend weiter, böten Senioren- und Kinder-Unis, spezialisieren sich laufend weiter, während gleichzeitig Profilbildung gefordert sei. Der Differenzierung wohne eine Ausdehnungstendenz inne, die ihrerseits wieder verschiedene Interessen, unter anderem der Region und Politik, berücksichtigen müsse. Die hohe Spezialisierung fördere die Bildung von Kooperationen und Netzwerken.

Die Kopplung der Hochschulen an die Gesellschaft werde geringer, betreffe oftmals nur Teilbereiche, was etwa bei Law Schools und Business Schools der Fall sei. Konstruktionen zu marktlichen Bedingungen mit staatlicher Beteiligung würden zunehmen, so Jarren. So entstünden hybride Institutionen und Organisationen in der dualen akademischen Aus-, Fort- und Weiterbildung. Die digitale Transformation sei Auslöser von Change-Prozessen, deren Bewältigung sowohl das Wissen um betriebliche Praxen wie eine universitär geprägte Reflexionsfähigkeit erforderten. Diese Transformationsprozesse setzen andere Kompetenzen voraus, weshalb es an den Universitäten zu einer Ablösung vom Humboldt‘schen Forschungsmodell hin zum angelsächsischen, auf Persönlichkeitsentwicklung gerichteten, und zum angloamerikanischen, unternehmerisch orientierten, Hochschulmodell komme. Die Rolle der Wissenschaft werde, so Jarren, sich vom neutralen Beobachter zu einem weltgestaltenden Akteur mit Ausrichtung auf gesellschaftliche Ziele wandeln. Dies schließe die Gestaltung der eigenen institutionellen Bedingungen mit ein.

Bedeutung der Standardisierung

In seinen Ausführungen ging Univ.-Prof. Mag. Dr. Peter Parycek, MAS MSc, Vizerektor für Lehre/Wissenschaftliche Weiterbildung und digitale Transformation (CDO) der Universität für Weiterbildung Krems, auf den Aspekt der Standardisierung ein. Diese sei eine Folge der globalen Vergleichbarkeit digitaler Dienste. Das Beispiel der Sozialen Medien illustriere, wie es dadurch zur Angleichung anfänglich vieler Plattformen und zu einer langfristigen Ausdünnung auf wenige Anbieter komme. Ob eine derartige Entwicklung den Bildungsbereich erfassen würde, ließe sich noch nicht abschätzen. Das Thema Standardisierung könnte ebenso bei der Qualitätssicherung im Hochschulbereich schlagend werden, wo derzeit Agenturen und Audits eine dominierende Rolle spielten. Es stelle sich auch die Frage, wie diese Entwicklung sich auf Innovationen in diesem Bereich auswirke.

Auch Parycek griff das Thema der staatlichen Lenkung auf und verwies auf die große Heterogenität in der Hochschullandschaft. Schon die Messbarkeit der verschiedenartigen Leistungen als Grundlage für das Lenken des Staates sei eine noch nicht gelöste Herausforderung.  

Fundament für neue Bildungswege

Als konkretes Beispiel für einen Transformationsschub präsentierte Parycek Konsequenzen der coronabedingten Umstellungen. Diese Prozesse führten in der Regel nicht zu gänzlich Neuem, es zeigte sich vielmehr eine katalytische Wirkung bei der Umsetzung bestehender Vorhaben, die Wirtschaft wie Bildung gleichermaßen erfasste. Gerade im deutschsprachigen Raum erwies sich dieser Störfaktor als Erweckungsmoment, der die bereits zuvor in den meisten Universitäten etablierten E-Center und deren Agenden in den Fokus rückte. Diese Lehrinnovation sei oftmals von Individuen forciert worden, es kam zu Experimenten in einer Zeit disruptiver Umwälzung. Diese neu etablierten Möglichkeiten harren nun einer Integration in die Strategie der Hochschulen, was auch die Profile betreffen wird. Möglicherweise werden sich Netzwerke wie die League of European Research Universities als identitätsstiftend erweisen.

Mit vermehrt eingesetzten Möglichkeiten wie Blended Learning, der Verschränkung von synchroner und asynchroner Lehre, werden sich neue Bildungswege eröffnen, so Parycek. Die klassische Dreiteilung „Ausbildung – Studium – Erwerbstätigkeit“ werde sich auflösen, berufliche Qualifikationen, stackable Degree Programme oder das Studium Generale werden das alte System in Richtung lebensbegleitendes Lernen erweitern. Dieser Wandel müsse sich auch in den Strukturen der Universitäten widerspiegeln, betonte Jarren. Trotz der massiven kommenden Veränderungen gehe er davon aus, dass das Prinzip der Örtlichkeit der Universitäten erhalten bleibe.

Zwischenbilanz und Fortsetzung

Die anschließende Diskussion vertiefte die zukünftige Bedeutung von Netzwerken, die Rolle von COVID-19 im Zuge der digitalen Transformation sowie die Neugestaltung von Bildungswegen im Lichte des Bologna-Prozesses und der Novelle des Universitätsgesetzes.

Die Reihe „Digitale Transformation der Universitäten“ wird im Jahr 2022 fortgesetzt werden. Der Moderator der Veranstaltung, Univ.-Prof. Dr. Günther R. Burkert, Sektionschef i.R. für den Bereich Forschungspolitik der Universitäten, Fachhochschulen und Privatuniversitäten im Wissenschaftsministerium, gab auch einen Ausblick auf die kommenden Themen: „Die ungleiche Universität – Diversität, Exzellenz und Antidiskriminierung“, „Die soziale Universität“ und inneruniversitäre Konkurrenz. Trotz der relativ speziellen Themen gelang es den renommierten Vortragenden und dem Organisationsteam des Departments für E-Governance in Wirtschaft und Verwaltung, rund 200 Teilnehmer_innen mit der Webseminarreihe bisher zu erreichen.

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