14.12.2022

Im Rahmen des „Higher Education Talk Krems“ (Arbeitstitel) diskutierten am 23. November 2022 Anne Lequy (Hochschule Magdeburg-Stendal), Friedrich Faulhammer (Universität für Weiterbildung Krems) und Frank Ziegele (Centrum für Hochschulentwicklung) anlässlich 20 Jahre Universitätsgesetz 2002 (UG). Genese, Bilanz und seine Wirkung im internationalen Kontext standen im Zentrum der Überlegungen. Es wurden auch Herausforderungen und Entwicklungen der Zukunft für den Bereich der universitären (Weiter-)Bildung in den Blick genommen.

Bei seiner Kurzvorstellung der Universität für Weiterbildung Krems verwies Univ.-Prof. Mag. Dr. Peter Parycek, MAS MSc, Vizerektor für Lehre/Wissenschaftliche Weiterbildung und digitale Transformation (CDO), auch auf die jüngste Novelle des UG. Eine große Neuerung stellt hier der Bachelor in Weiterbildungsstudien dar. Obwohl das Universitätsgesetz 2002 wichtige, nachhaltige Systemänderungen bewirkte und Österreich hier im deutschsprachigen Raum eine Vorreiterrolle einnahm, wurde die Bedeutung von 20 Jahren UG kaum näher betrachtet, stellte Univ.-Prof. Dr. Günther Burkert vom Zentrum für E-Governance, Organisator der Veranstaltungsreihe, fest.

Autonomie und Leistungsorientierung

Univ.-Prof. Dr. Frank Ziegele, Professor für Hochschul- und Wissenschafts­management, Leiter des CHE (Centrum für Hochschulentwicklung) verortete zwei Hotspots, die vor 20 Jahren tonangebend in der Hochschulpolitik waren: Österreich und Niedersachsen. Hier wie dort ging es um die Themen Autonomie und Steuerung über eine Zielorientierung. Während in Österreich die Universitäten Rechtspersönlichkeit erhielten, wurde in Niedersachsen die Stiftungsform gewählt, was sich allerdings nicht durchsetzte. Die Reform wurde in Deutschland insgesamt nicht so konsequent umgesetzt, was sich etwa am Beamt_innenstatus der Universitätsmitarbeiter_innen zeigte. Der Föderalismus in Deutschland führte von 2002 bis 2010, so Frank Ziegele, zu einem regelrechten Wettbewerb der Bundesländer um das fortschrittlichste Universitätsgesetz. Ein gravierender Unterschied zu Österreich war, dass in Deutschland Universitäten und Fachhochschulen ein gemeinsames Steuerungssystem erhielten, während in Österreich streng getrennte Systeme bestehen.

Experimentierklauseln gegen Silodenken

Bei der Schaffung der neuen Freiheiten für Universitäten zeigte sich in Deutschland, dass die Bundesländer im Osten deutlich zurückhaltender waren. Zudem wurden oftmals die neuen Instrumente auf eine alte Weise benutzt. Als Beispiel nannte Frank Ziegele die Studienplatzzielvereinbarung von Niedersachsen, wo das Ministerium bis ins Detail in die Universitäten hineinregierte. Auch in der Gegenwart sei das Verhältnis zwischen Staat und Universitäten Gegenstand eines ständigen Aushandelns. So gehen die Reformen in Deutschland weiter, Autonomie im Bereich Bau und Liegenschaften sowie Organisationsautonomie seien die nächsten Ziele. Die Zeiten hermetisch abgeriegelter „Fakultätssilos“ seien vorbei, die Zeit sei reif für eine Matrixorganisation. Die Einführung von Experimentierklauseln in den Universitätsgesetzen bietet große Chancen, auch der Vielfalt an Hochschulen kann durch maßgeschneiderte Strukturen besser entsprochen werden. Ziegele sieht Österreich im Bereich der Third Mission – jenem gesellschaftlichen Engagement, das nicht zu Forschung und Lehre zählt – als Vorreiter. Gerade die Autonomie erlaubt es den Universitäten, sich auf vielfältige Art in der Gesellschaft einzubringen.

Facetten der Autonomie

Univ.-Prof.in Dr.in Anne Lequy, Rektorin der Hochschule Magdeburg-Stendal und Boardmitglied der European University Association (EUA), beleuchtete die Beziehung zwischen Politik und Hochschulen aus europäischer Warte. Die EUA verstehe sich als Lobby ihrer 840 Mitglieder aus dem Hochschulbereich in 48 Staaten bildet die Verbindung zu europäischen Institutionen, unterstützt bei der Strategieentwicklung und fördert die Vernetzung der Mitglieder. Die drei Säulen des UG – Autonomie, Leistungsorientierung und der Fokus auf die Bologna-Strukturen – finden auch in der EUA ihre Entsprechung. Dem Thema Autonomie widmet sich die EUA mit ihren Autonomy Scorecards, die sich seit ihrer Einführung 2011 zum meistzitierten Messinstrument der europäischen Hochschulpolitik entwickelten und Empfehlung für die Regierungen liefern. Vier Dimensionen der Autonomie werden für 29 Mitgliedstaaten, darunter Österreich, ermittelt: hinsichtlich der Organisation, der Finanzen, des Personals und der akademischen Eigenständigkeit. Diese vier Bereiche werden jeweils durch sieben bis zwölf Indikatoren beschreiben. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass eine ausgeprägte Autonomie den höchsten universitären Outcome für die Gesellschaft bedeutet, so Anne Lequy und betont, dass die Scorecards nicht als Ranking missverstanden werden sollten.

EUA-Vision für 2030

Das Thema Leistungsorientierung findet sich im EUA-Visionspapier „Universities without walls“, das aus intensiven Beratungen mit mehr als 100 Expert_innen aus den EUA-Mitgliedstaaten und einem breiten Spektrum externer Partner_innen hervorgegangen ist. Diese Positionen sollen Universitäten in ihrer Entwicklung unterstützen, den Austausch untereinander erleichtern und die Darlegung gemeinsamer Interessen gegenüber politischen Entscheidungsträger_innen im Zusammenhang mit der Zukunft der Universitäten ermöglichen. Mit der Bologna-Reform beschäftigt sich die EUA bei der Frage, wie der akademische Laufbahnen bewertet werden sollen. Neben Publikationen und anderen klassischen Kennzahlen sollen verstärkt das Engagement in der Lehre, der Impact der Forschenden und ihre Transferleistung von Wissen in die Gesellschaft berücksichtigt werden, so Anne Lequy.

Neues Governance-Modell

Den Hintergründen und einer Bilanz des österreichischen Universitätsgesetzes widmete sich Mag. Friedrich Faulhammer. Der heutige Rektor der Universität für Weiterbildung Krems war für die Umsetzung der Reform in Österreich im Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung als Sektionschef federführend verantwortlich. Er erinnerte an die aufgeheizte politische Stimmung damals, als nach jahrzehntelanger sogenannter „Großer Koalition“ aus SPÖ und ÖVP erstmals die FPÖ Teil der Regierung wurde. Aus diesem Umstand erklärt sich auch, warum das UG beim Verfassungsgerichtshof in einigen Punkten angefochten wurde, es aber bis auf Kleinigkeiten bestätigt wurde.

Das neue UG brachte mit den Leistungsvereinbarungen der Universitäten ein für Österreich neues Governance-Modell, auch das für drei Jahre ausverhandelte Gesamtbudget war ein Novum. Was anfangs euphorisch angenommen wurde, entwickelte sich zunehmend auch als Instrument der ministeriellen Mitgestaltung an den Universitäten. Derzeit bestehe eine Tendenz zu stärkerem solchen Eingreifen. Während das Dreijahresbudget in ruhigen Zeiten Planungssicherheit verschafft, führt es in der aktuellen Situation, geprägt von hoher Inflation und steigenden Energiekosten, zu spürbaren Finanzierungslücken und einem Ringen um Zusatzgelder. Kennzeichnend für die österreichische Regelung ist, dass die Universitäten, Fachhochschulen und Pädagogischen Hochschulen in getrennten Systemen verblieben. Die Zukunft könnte eine gesamtösterreichische Planung aller Hochschulsektoren bringen.

Erfüllte und unerfüllte Erwartungen

Zu den Errungenschaften des Universitätsgesetzes 2002 im Bereich der Autonomie zählt die volle Rechtsfähigkeit der Universitäten, die unter anderem bei Personalfragen und deren Quasi-Bauherreneigenschaft deutlich wird. Die Profilbildung der einzelnen Universitäten durch die Entwicklungspläne gehört ebenso zu den Verbesserungen, auch wenn die Determinierungstendenzen des Gesetzgebers den gewonnenen Handlungsspielraum einzuengen drohen. Ähnliches gilt für die Freiräume durch das Globalbudget, denen oft detaillierte Zusatzvereinbarungen gegenüberstehen. Für eine volle finanzielle Autonomie fehlt den Universitäten in Österreich das Recht, Studiengebühren selbständig einzuheben. Der Verfassungsgerichtshof entschied 2013, dass die Übertragung dieser Kompetenz an die Universitäten verfassungswidrig sei. Die Förderung von Inter- und Transdisziplinarität ist mit dem neuen UG nicht gelungen. Österreichs Forschung erfolgt nach wie vor streng entlang der Disziplinengrenzen. Da solche Projekte leichter mit Indikatoren bewertet werden können, handelt es sich bei den meisten Einreichungen um klar einer Fachrichtung zurechenbare Projekte.

Aktuelle Chancen und Herausforderungen

Die Lebendigkeit des Hochschulrechts wird von drei Novellen im Jahr 2021 illustriert, wodurch unter anderem der Bereich der Universitären Weiterbildung in das Bologna-System mit Bachelor – Master – PhD überführt wird. Gerade die Universität Krems kann hier als führende Universität für Weiterbildung in Europa ihre große Expertise einbringen, beispielsweise bei der Entwicklung der ersten Bachelor-Universitätsstudien der Weiterbildung. Auch bei der Universitätsorganisation werden neue Wege beschritten: Anders als in Deutschland, wo mit Experimentierklauseln gearbeitet wird, kommt es in Linz zur Gründung des „Institute of Digital Sciences Austria“ mittels Spezialgesetz. Ein weiteres Beispiel, wo die Universitäten ihren Handlungsspielraum nutzen konnten und mussten, ist die COVID-19-Pandemie. Hier kam es, so Friedrich Faulhammer, regelrecht zu disruptiven Entwicklungen im digitalen Raum, um ein Beispiel der Themen in der abschließenden Diskussion zu nennen.

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