06.07.2023

Das Projekt „Measuring Irregular Migration and Related Policies“, kurz MIrreM, untersucht Schätzungen und statistische Indikatoren zur irregulären Migrantenpopulation in Europa sowie die damit zusammenhängenden politischen Maßnahmen, einschließlich der Regularisierung irregulärer Einwanderer. Es umfasst 20 Länder in Europa, Nordamerika und Nordafrika, von denen 15 eingehender untersucht werden, und stützt sich auf das Fachwissen eines breiten Spektrums facheinschlägiger Akteur_innen und Forschender. Wichtig ist dem am Department für Migration und Globalisierung der Universität für Weiterbildung Krems angesiedelten Projekt, Stakeholder aus Behörden und Verwaltung von Beginn an in die Forschung einzubeziehen.

Was wissen wir wirklich über irreguläre Einwanderung in Europa, was über irregulär gekommene Migrant_innen, die sich in Europa aufhalten? Gemessen an Zahlen und quantitativen Erkenntnissen nicht sehr viel. Irreguläre Migration, früher als illegal bezeichnet, umfasst im Wesentlichen jene Situationen, in denen Menschen sich in einem Land ohne Aufenthaltsrecht befinden und Behörden gar keine Kenntnis vom Aufenthalt haben oder diese nicht dulden. Das Problem der Definition liegt im Detail: Denn diese unterscheiden sich von EU-Land zu EU-Land. Zur Irregularität kann vieles führen: Neben der irregulären Zuwanderung, der in der medialen Berichterstattung die Hauptaufmerksamkeit gilt und häufig verbunden ist mit Bildern und Berichten von Schiffbrüchen, dramatischen Rettungsaktionen und Kontroversen über die Aufnahme von Geretteten, sind es häufig regulatorische Defizite, Verlust des Aufenthaltsstatus aufgrund von Veränderung von Lebenslagen wie zum Beispiel Arbeitslosigkeit, das Fehlen von realistischen Übergängen wie in Österreich beim Studierendenvisum hin zu legalem Aufenthalt oder Familienzusammenführungen außerhalb des enggefassten fremdenrechtlichen Rahmens, etwa wenn über 18-jährige Kinder oder Großeltern nachgeholt werden. Eine große Gruppe stellen zudem ausreisepflichtige Migrant_innen dar, die trotz einer Rückkehrentscheidung im Land bleiben. Ein dominierendes Muster der Gründe für einen irregulären Aufenthalt kann aufgrund fehlender belastbarer Daten nicht ausgemacht werden.

Unklare Vorstellungen

In der Bevölkerung ist die Vorstellung irregulärer Migration relativ einseitig, wird die öffentliche und mediale Debatte von irregulären Flüchtlingsbewegungen dominiert. Tatsächlich sind aber Migrant_innen, die irregulär einreisen nicht notwendigerweise auch Teil der irregulär aufhältigen migrantischen Bevölkerung. In Ermangelung an legalen Zuwanderungsmöglichkeiten ist etwa der überwiegende Teil der anerkannten Flüchtlinge oder subsidiär Schutzberechtigten irregulär eingereist. Wer als irregulär aufhältig gilt ist wiederum stark abhängig von dem jeweiligen rechtlichen Rahmen, der definiert, was unter unrechtmäßiger Einreise oder Aufenthalt zu verstehen ist. Auf EU-Ebene gelten etwa nur Drittstaatsangehörige ohne Aufenthaltsrecht als Teil der irregulär aufhältigen Bevölkerung. Tatsächlich können aber auch EU-Bürger_innen ihr Aufenthaltsrecht im Rahmen der Freizügigkeit verlieren, etwa wenn sie noch nicht lange genug in einem anderen EU-Staat aufhältig waren und mittellos sind, oder aufgrund von Straffälligkeit. Auch Schwarzarbeit kann – je nach gesetzlicher Lage – mit dem Entzug des Aufenthaltsrechts geahndet werden. Zudem gibt es eine größere Gruppe von Drittstaatsangehörigen, deren Aufenthaltsrecht vorläufiger Natur ist, darunter Personen, die grundsätzlich ausreisepflichtig sind, die aber aus unterschiedlichen Gründen nicht ausreisen oder abgeschoben werden können und deren Ausreisepflicht daher de facto ausgesetzt ist. Auch Asylwerber_innen zählt MIrreM zu Migrant_innen mit einem lediglich vorläufigen Aufenthalt. Während diese Gruppe nicht zur irregulär aufhältigen Bevölkerung gezählt werden kann, ist sie auch nicht Teil der legal aufhältigen Bevölkerung. Assistenz Prof. Mag. Dr. Albert Kraler, der Koordinator des MIrreM-Projekts spricht in diesem Zusammenhang von Migrant_innen mit prekärem Aufenthaltsstatus.

Ungenaue Zahlen

Ein früheres EU-finanzierte Forschungsprojekt, das Clandestino Projekt, schätzte die Zahl der irregulären Migrant_innen auf zwischen 1,9 bis zu 3,8 Millionen in den damaligen EU-27. Auf eine ähnliche Größenordnung kommt eine aufgrund methodischer Aspekte umstrittene Studie des PEW-Research Centers aus dem Jahr 2019 für die Jahre 2014-2017. Zum Vergleich: In den USA lag die geschätzte Zahl der undokumentierten Migrant_innen 2007 bei rund 12 Millionen - bei einer geringeren Gesamtbevölkerung. Seit 2007 ist die geschätzte Zahl der irregulären Migrant_innen in den USA freilich zurückgegangen.

MIrrem will es noch genauer wissen. Um ein besseres Fundament für sachliche Argumentation und politisches Handeln zu gewinnen, strebt das Forschungsprojekt an, bis 2025 neue und innovative Schätzmethoden zu entwickeln, um präzisere Informationen über die Größe und die Merkmale der irregulär aufhältigen Bevölkerung zu erhalten. Auch auf die Schärfung der Definition irregulärer Migration zielt das Projekt.

Albert Kraler ist Migrationsforscher am Department für Migration und Globalisierung der Universität für Weiterbildung Krems. Er koordinierte davor bereits zwei EU-geförderte Großprojekte und nützt nun seine Erfahrung für die Leitung des 17 Universitäten, NGOs und Forschungseinrichtungen quer durch Europa umfassende Forschungskonsortiums. Neben der reichen Erfahrung des Departments mit europäischen Forschungsnetzwerken half bei der erfolgreichen Einreichung von MIrrem auch die Unterstützung durch die Universität für Weiterbildung Krems und die gute Beratung durch die Österreichische Forschungsförderungsgesellschaft FFG.

Mehr Transparenz

Mehr Transparenz zu irregulärer Migration zu gewinnen, ist das zentrale Anliegen des Forschungsprojekts, das vier Hauptziele für sich definiert: Stärkere und präzisere Daten zur Population, die von Irregularität betroffen ist; erweiterte Politiken, also die Entwicklung eines systematischen und vertieften Verständnisses, wie Politik und Praxis quer durch die EU-Mitgliedsstaaten UK, Kanada und die USA migrantische Irregularität formen; der Austausch von Wissen durch die Etablierung von Netzwerken unter Einbezug der Praxis; und viertens machbare Lösungen vor allem beim Bleiberecht.

Methodisch erarbeitet MIrrem seine Erkenntnisse mittels Critique Guided Designing. Kraler: „Vereinfacht gesagt bedeutet dieser Ansatz: Man versucht, in einem Feld den gemeinsamen Nenner über eine wünschenswerte Zukunft herauszufinden. Dann schaut man sich die Praxis und bringt unterschiedliche Zugänge in Dialog.“

Starke Einbindung von Interessenvertreter_innen

MIrreM untersucht dabei die verschiedenen rechtlichen und politischen Rahmenbedingungen, die die Irregularität von Migrant_innen definieren, sowie die Wege, die in die und aus der Irregularität führen. Eine Kernaufgabe des Projekts ist es dabei, relevante Stakeholder, einschließlich Nichtregierungsorganisationen, Dienstleister und behördliche Entscheidungsträger_innen auf lokaler, nationaler und EU-Ebene einzubinden. Und dies bereits vom Projektstart weg. Dafür sieht das Projekt eine Reihe von Workshops vor.

Der Start des Großprojekts erfolgte 2022 mit einer Konferenz mit rund 200 Teilnehmer_innen und Paneldiskussionen zusammen mit der Europäischen Grundrechteagentur und verschiedenen Behördenvertreter_innen aus Portugal und Deutschland. Es gebe großes Interesse von nationalen Behörden an bestimmten Aspekten, vor allem beim Thema irregulärer Grenzübertritte sowie „Overstaying“, d.h. dem Verbleib in einem Land nach Auslaufen eines Touristenvisums, so Albert Kraler. Für andere Stakeholder, etwa Städten ist die tatsächlich aufhältige Zahl an Menschen ohne Papiere oder mit eingeschränktem Aufenthaltsrecht wesentlich relevanter, da sie Städte an einer Basisversorgung aller in einer Stadt lebenden Menschen interessiert sind. Zusammen mit Expert_innengruppen, die für Daten zur irregulären Migration bzw. zur Regularisierung eingerichtet werden und die die wichtigsten Interessengruppen einbeziehen, wird das Projekt, das bis 2025 laufen wird, die Ergebnisse in einem Handbuch über Daten zur irregulären Migration und einem Handbuch über Wege aus der Illegalität zusammenfassen.

 

INFO BOX

Measuring Irregular Migration and Related Policies (MIrreM)

Fördergeber
EU – Horizon Europe

Laufzeit
2022–2025

Department
Migration and Globalisation

Projektleitung
Assistenz Prof. Mag. Dr. Albert Kraler

Beteiligte Forscher_innen
Dr.in Jill Ahrens, Assistenz Prof.in Dr.in Heidrun Bohnet, Dr.in Lydia Rössl, Theresa Schütze , BA MA

Koordination
University for Continued Education Krems

Projektpartner
Complutense University of Madrid (Spanien)
European University Institute (Italien)
Migration Policy Institute Europe (Belgien)
Free University of Brussels (Belgien)
Hellenic Foundation for European and Foreign Policy (Griechenland)
International Center for Migration Policy Development (Österreich)
Maastricht University (Niederlande)
Osnabrück University (Deutschland)
NGO - Platform for International Cooperation on Undocumented Migrants (Belgien)
University of Milan (Italien)
University of Potsdam (Deutschland)
University of Turku (Finnland)
University of Warsaw (Polen)

 

Assoziierte Partner
Toronto Metropolitan University (Kanada)
University of Leicester (UK)
University of Oxford (UK)

University Institute of Lisbon (Portugal)

www.irregularmigration.eu

Finanziert von der Europäischen Union. Die darin geäußerten Ansichten und Meinungen sind jedoch ausschließlich die der Autor_innen und spiegeln nicht unbedingt die der Europäischen Union oder der Exekutivagentur für die Forschung wider. Weder die Europäische Union noch die Fördereinrichtungen können für sie verantwortlich gemacht werden.

Darüber hinaus erhält MIrreM Mittel von UK Research and Innovation (UKRI) im Rahmen der Finanzierungsgarantie der britischen Regierung für Horizon Europe. Die kanadische Forschungskomponente dieses Projekts wird zum Teil mit Mitteln aus dem Canada Excellence Research Chairs Programme der kanadischen Regierung durchgeführt.

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