Das Stalag XVII B Krems-Gneixendorf war während des Zweiten Weltkrieges das größte Kriegsgefangenenlager auf heute österreichischem Gebiet. Trotz seiner Bedeutung erinnert heute nur noch wenig an das Lager. Im Rahmen eines Forschungsprojekts der Universität für Weiterbildung Krems wurden die Geschichte, die schwierige erinnerungskulturelle Auseinandersetzung sowie die Gegenwart des Ortes nun wissenschaftlich und künstlerisch bearbeitet.
Über zwei Jahre lang hat die Fotokünstlerin Karin Böhm, M.A. das ehemalige Lagergelände aufgesucht und fotografiert. Parallel dazu recherchierte Ass.-Prof.in Mag.a Dr.in Edith Blaschitz, Leitung des Stabsbereichs Digital Memory Studies im Department für Kunst- und Kulturwissenschaften der Universität für Weiterbildung Krems, im Rahmen des Forschungsprojektes „NS-,Volksgemeinschaft‘ und Lager im Zentralraum Niederösterreich“, das gemeinsam mit dem Institut für jüdische Geschichte Österreichs durchgeführt wird, nach Spuren ehemaliger Zwangslager im Bezirk Krems. Das Kriegsgefangenenlager Stalag XVII B Krems-Gneixendorf nahm dabei eine zentrale Rolle ein.
Das immer noch präsente Lager
Historikerin Blaschitz hat vor allem zu bislang wenig beachteten Gruppen geforscht. Die größten nationalen Gruppen der Franzosen und Belgier waren noch kaum im Fokus der Forschung, ebenso wenig wie das Schicksal serbischer, italienischer und spanischer Gefangener. Da in Österreich kaum Archivgut erhalten ist, stammen viele historische Quellen von Nachkommen der Kriegsgefangenen, deren Erinnerungen im Familiengedächtnis weitergetragen werden. Böhm, Alumna der Universität für Weiterbildung Krems, hat die historischen Quellen mit ihrer fotografischen Spurensuche am heute teils überbauten, teils verwilderten Lagergelände verwoben.
Die Kontakte der „Ausgegrenzten“ im Lager zur lokalen Bevölkerung führten auch zu unerwarteten „kulturellen Transfers“: So entdeckte Dr.in Viola Rühse, M.A., Leitung des Zentrums für Bildwissenschaften, dass ein dem Forschungsprojekt zur Verfügung gestelltes Portrait vom internierten Maler Anatola Soungouroff stammte. Der homosexuelle Künstler malte einen Soldaten im Lager in einer heute als eindeutig „queer“ zu wertenden Ästhetik – eine subversive Dekonstruktion „deutscher Männlichkeit“, die jahrzehntelang in der Familie des Soldaten aufbewahrt wurde.
Die Fülle an Bildern, Texten und Erzählungen im Buch „Nichts zu sehen? Stalag XVII B Krems-Gneixendorf – eine topografische Vermessung“ zeigt, dass auch Jahrzehnte nach den historischen Ereignissen, Erinnerungen an einen scheinbar „leeren“ Ort erhalten bleiben und sichtbar gemacht werden können. Präsentiert wird das Buch am 23. Mai 2024 um 19:00 Uhr an der Universität für Weiterbildung Krems mit einem Gespräch mit den Autorinnen, das von Gregor Kremser, PhD (Kulturamt Krems, erinnern.at) moderiert wird. Einleitende Worte sprechen PD Dr.in Martha Keil, Leitung Institut für Jüdische Geschichte Österreichs, und Dr.in Eva Maria Stöckler, Leitung Department für Kunst und Kulturwissenschaften.
Buchpräsentation: Nichts zu sehen?
Datum: 23. Mai 2024
Beginn: 19:00 Uhr
Ort: Universität für Weiterbildung Krems, Seminarraum L.2.33
Freier Eintritt, Anmeldung unter andrea.kaufmann@donau-uni.ac.at
Karin Böhm, Edith Blaschitz
Nichts zu sehen?
Stalag XVII B Krems-Gneixendorf –
eine topografische Vermessung
Mit einem Essay von Viola Rühse
Verlag Bibliothek der Provinz (2024)
144 Seiten, zahlr. farb. Abb., Hardcover
Karin Böhm, Edith Blaschitz
Nothing Left to See?
Stalag XVII B Krems-Gneixendorf –
A Topographic Survey
With an essay by Viola Rühse
Translated by Tim Corbett
Verlag Bibliothek der Provinz (2024)
144 Seiten, zahlr. farb. Abb., Hardcover
Rückfragen
Tags