In welchen Anwendungsfeldern spielen Sensoren heute eine wichtige Rolle? Und welche Kompetenzen muss man mitbringen, um den richtigen Messfühler für die jeweilige Situation zu finden? Hubert Brückl bringt Licht ins Dunkel.
Interview: Georg Sachs
upgrade: Herr Brückl, die Sensorik gilt als Schlüsseltechnologie für aktuelle Herausforderungen in der Digitalisierung. Welche erforderlichen Kompetenzen sind hier besonders hervorzuheben?
Hubert Brückl: Es gibt zwei Sichtweisen: Man kann die Sache von der Anwendung her betrachten oder von der Entwicklung der Sensortechnik selbst. Zum einen gibt es eine Reihe gesellschaftlicher Herausforderungen, z.B. die Verbesserung der Luftqualität oder die Optimierung des Verkehrssystems, die den Ruf nach autonomen Fahrzeugen entstehen lassen. Für solche Aufgabenstellungen muss man Lösungen suchen, bei denen an vorderster Stelle auch Sensoren für bestimmte Messgrößen gebraucht werden. Andererseits ist die Sensortechnik als Fachgebiet selbst bestimmten Entwicklungsbögen unterworfen. Ein Sensorsystem zu entwickeln, kann eine anspruchsvolle und langwierige Aufgabe sein. Das reicht von der korrekten Ausarbeitung des Messprinzips – damit sie das messen, was sie messen wollen – bis hin zur Produktion der elektronischen Bauteile in Reinraumtechnologie.
Wie gut ist Europa – und speziell Österreich – auf diesem Gebiet aufgestellt?
Brückl: Europa hat in der Mikroelektronik an Boden verloren, man hat sehr viel aus der Hand gegeben. Die Diskussion um den Ausbau des 5G-Mobilfunknetzes zeigt erneut, dass man sich in manchen Bereichen stark in die Abhängigkeit von Unternehmen aus Ostasien begeben hat. Gerade bei kritischer Infrastruktur ist dies auch eine Frage der Sicherheit und Eigenständigkeit.
Die österreichische Elektronikindustrie hat aber auch gegengesteuert: Infineon investiert in Villach in eine neue Produktionsstätte für 300-Millimeter-Wafer*. Einige wichtige österreichische Unternehmen haben sich Nischen gesucht, in denen sie eine führende Rolle einnehmen, etwa AT&S im Bereich der Leiterplattentechnologie, AMS bei integrierten Schaltkreisen für die Sensortechnik oder eben der Villacher Standort von Infineon im Bereich von Hochenergiechips und Sensorik. Eine solche Vorgehensweise halte ich für den Schlüssel zum Erfolg.
Wird die Initiative „Silicon Austria“ hier neue Impulse bringen?
Brückl: Ich halte „Silicon Austria“ für eine gute und wichtige Sache. Wir haben diese Initiative von Anfang an unterstützt und unsere Kompetenz eingebracht. Gemeinsam mit anderen Institutionen hat sich das Department für die Sensortechnik stark gemacht. Dieses Fachgebiet wird in Villach, in unmittelbarer Nähe zu Infineon, angesiedelt sein. Wir sind nun dabei, Projekte zu definieren, in die wir unsere Kompetenzen auch konkret einbringen können.
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„Die Einbettung von Sensoren in ein Umfeld aus Datenverarbeitung und Kommunikationstechnik ist ein ganz wichtiges Forschungsfeld.“
Hubert Brückl
Lassen Sie mich auf die eine der von Ihnen genannten Sichtweisen näher eingehen und die Entwicklungen betrachten, die der Sensortechnik selbst zukommen. Was sind hier die wichtigsten Trends?
Brückl: Man muss zwei grundsätzliche Arten von Sensoren unterscheiden: Zum einen gibt es die Silizium-basierten Sensoren für einen Massenmarkt. Hier geht es, wenn nahezu Milliarden von Sensoren in großen Fabriken hergestellt werden, vor allem um hohen Durchsatz und niedrige Stückkosten. Die mit solchen Fertigungsmethoden erreichbare Miniaturisierung ist ein weiterer Schlüssel zum Erfolg. Neben der Skalierung der Sensorgröße ist auch eine Steigerung der Funktionalität z.B. durch heterogene Integration möglich.
Man darf aber auch den Bereich der Spezialsensoren nicht unterschätzen. Auch hier ist Miniaturisierung ein Thema, auch wenn ein typischer Sensor, wie er in der Umwelttechnik eingesetzt wird, im Vergleich zum Silizium-Chip riesig ist. Auf diesem Gebiet geht es aber nicht nur darum, Sensoren kleiner zu machen, sondern auch empfindlicher, intelligenter und energieärmer. Ebenso wichtig ist die Verarbeitung der Messdaten: die Umwandlung von analogen Messsignalen in digitale Information, die Auswahl und Analyse der Daten. Die Einbettung von Sensoren in ein Umfeld aus Datenverarbeitung und Kommunikationstechnik ist ein ganz wichtiges Forschungsfeld.
Welche Kompetenzen bringt das von Ihnen geleitete Department auf diesem Gebiet ein?
Brückl: Das Department bietet eine breite fachliche Expertise und deckt damit die gesamte technologische Wertschöpfungskette von Sensorsystemen ab. Zum einen werden spezifische Sensoren unter Einsatz von Mikro- und Nanotechnologien entwickelt und optimiert. Dazu zählen Sensoren für magnetische und elektrische Felder, thermische Sensoren und Biosensoren. Zum anderen forscht das Zentrum für Verteilte Systeme und Sensornetzwerke an Themen wie Datenverarbeitung, -übertragung und -management inklusive Sicherheitsfragen. Die Klammer bilden Simulation und Modellierung von Sensormaterialien und -systemen, denen am Department ein eigenes Zentrum gewidmet ist. Hier geht es beispielsweise um Fragen der Materialoptimierung für Sensoren oder die Suche nach alternativen magnetischen Materialien, die ohne seltene Erden auskommen. Auch hier ist es von Bedeutung, die Rohstoffabhängigkeit von China, aber auch die Umweltauswirkungen, zu reduzieren. Wir verwenden dabei nicht so sehr fertige Softwareprodukte, die auf dem Markt erhältlich sind, sondern entwickeln eigene analytische Modelle.
Simple analytische, aber dennoch realitätsnahe Modelle sind in der Sensorik oft erforderlich, wenn die Datenanalyse beinahe in Echtzeit erfolgen sollte. Ob in der Verkehrstelematik, bei Überwachungskameras oder selbstfahrenden Autos – eine numerische Simulation zur Auswertung zu verwenden, würde zu lange dauern. Hier kommt es darauf an, Modelle zu konstruieren, mit denen schnell Zusammenhänge zwischen verschiedenen Parametern erfasst werden können. In vielen Bereichen geht man auch in Richtung eines „digitalen Zwillings“ und baut am Computer ein System, das dem realen System möglichst ähnlich ist. An einem solchen digitalen Zwilling können Szenarien getestet werden, die man in der Realität nicht unbedingt ausprobieren möchte.
Wenn wir nun die andere der von Ihnen genannten Sichtweisen einnehmen: Auf welchen Anwendungsgebieten ist das Department für Integrierte Sensorsysteme derzeit tätig?
Brückl: Ein Feld ist zum Beispiel die Verkehrssicherheit. Hier arbeiten wir aktuell an einem Projekt, das smarte Sensoren in Ampelsystemen zum Einsatz bringt. Mit solchen Systemen könnten auch komplexe Situationen erfasst werden, um die Lenkung der Verkehrs- und Fußgängerströme flüssiger zu gestalten und Wartezeiten, Fehlverhalten sowie Unfälle zu vermeiden. Ein anderes wichtiges Anwendungsgebiet ist die Gebäudetechnik. Gemeinsam mit dem Department für Bauen und Umwelt erforschen wir hier beispielweise Möglichkeiten, die Energieströme bestehender haustechnischer Anlagen mithilfe von Sensoren zu erfassen, zu modellieren und Optimierungspotenzial aufzuzeigen.
Wir sind auch immer wieder an Projekten im Bereich „Industrie 4.0“ beteiligt, bei denen es darum geht, künstliche Intelligenz für die Überwachung von Maschinen in einer Fabrik zu nutzen, um mögliche Ausfälle und Stillstand vorzeitig zu erkennen. Wir haben uns mit textilbasierter Sensorik (sogenannten Wearables) beschäftigt, die unsichtbar in unsere Kleidung integriert ist und Gesundheitszustand oder Umweltbedingungen erfassen könnte. Im Bereich Biosensorik geht es wiederum um die Verbesserung der Diagnostik für bestimmte Krankheiten.
Ein ganz eigener Bereich ist die Anwendung von Sensoren im Wasser- und Umweltbereich, beispielsweise, um mikrobielle Kontaminationen in der Wasserversorgung festzustellen. Derartigen Fragestellungen ist ein eigenes Zentrum des Departments gewidmet.
Wenn man mit so vielen verschiedenen Anwendungsfällen und den dahinterstehenden Protagonisten ganz verschiedener Branchen zu tun hat: Muss man sich dann nicht immer wieder in die Denkwelten anderer Fachgebiete hineindenken?
Brückl: Es ist illusorisch zu glauben, dass man eine unbekannte Sensoraufgabe lösen kann, ohne im Detail verstanden zu haben, wie sie funktioniert. Dafür braucht man Partner. Gemeinsam werden Aufgaben und Fragestellungen erarbeitet, die wir dann mit unserer Sensorexpertise lösen können. Im Laufe der Zeit lernt man, mit Menschen aus sehr unterschiedlichen Branchen zu kommunizieren und eine gemeinsame Sprache zu finden, da wächst man hinein.
*Grundplatte für integrierte Schaltkreise in zumeist kreisrunder Form
Priv.-Doz. Dr. Hubert Brückl leitet das Department für Integrierte Sensorsysteme der Donau-Universität Krems. Hubert Brückl studierte Physik und erhielt 1992 seinen Doktortitel von der Universität Regensburg. Nach einem Forschungsaufenthalt bei der Siemens AG in 2000 und der Habilitation in 2004 erlangte er eine Assistenzprofessur in Bielefeld. Er hat mehr als 160 Publikationen in internationalen peer-reviewed Zeitschriften veröffentlicht.
Georg Sachs
Georg Sachs ist Chefredakteur der Zeitschrift "Chemiereport/Austria Life Sciences".
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