Daten sind der Rohstoff der Digitalisierung. Viele dieser Daten werden durch Messfühler ermittelt, die immer feiner in unserer Alltagsumgebung verteilt sind. Die Sensortechnik wird zur Schlüsseltechnologie.

Von Georg Sachs

 

Von Juli 2013 bis Februar 2014 wurde an der Stanford Universität in Kalifornien ein selbstfahrendes Fahrzeug des französischen Herstellers Induct getestet.1 Es konnte sich, nach einer anfänglichen Trainingsphase, in der es vom Betriebspersonal durchs Gelände gesteuert wurde, selbsttätig in einer veränderlichen Umgebung bewegen, kam also gänzlich ohne einen ins Geschehen eingreifenden Fahrer aus.  Um diese Aufgaben zu bewältigen, war das Gefährt mit umfangreichen Messvorrichtungen zur Positionsbestimmung und Erkundung seines Umfelds ausgestattet: Ein Satellitennavigationssystem erlaubte die Festlegung des Aufenthaltsorts auf wenige Zentimeter genau, Lasersensoren dienten zum Erfassen von Objekten in einer Entfernung zwischen einem und 200 Metern vom Fahrzeug, Ultraschallsensoren ermöglichten die Objekterkennung im Nahbereich, Kameras ergänzten die Sensordaten durch Information zur genauen Kontur der Gegenstände. Dazu kamen Lenkwinkel- und Raddrehwinkelsensoren, die gestatteten, den Weg zu bestimmen, auf dem sich das Fahrzeug im momentanen Zustand durch das Gelände bewegen würde. All diese Daten flossen in einer zentralen Steuerungseinheit zusammen, wurden dort verarbeitet und waren die Grundlage für die Anweisungen, die an die elektrifizierten Lenkungs-, Brems- und Antriebssysteme des Gefährts weitergegeben wurden.

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Die umfangreiche technische Ausstattung des Induct-Fahrzeugs macht deutlich, dass es beides braucht: Sensor und System. Ohne präzise Messdaten hätten noch so „intelligente“ Algorithmen keine Grundlage, ein fahrerloses Vehikel autonom zu steuern; ohne ausgeklügelte Datenverarbeitung, die die unterschiedlichen Sensorsignale zu einem Gesamtbild zusammenführt, nützten all die Messergebnisse wenig.

Von Buzzword zu Buzzword
Autonomes Fahren ist nur ein Beispiel für jene Visionen einer digitalisierten Welt, die derzeit so eindrucksvolle Bilder erzeugen. Ebenso könnte man vom Internet of Things, von Industrie 4.0, von Cyberphysischen Systeme sprechen – oder wie sonst all die Buzzwords heißen, die so durch Medienberichte und Zukunftsszenarien geistern. Doch bevor der visionäre Berg erklommen werden kann, warten zunächst die Mühen der Ebene. All die schönen (oder mitunter furchterregenden) Bilder der Digitalisierung können nur realisiert werden, wenn zunächst die technischen Voraussetzungen geschaffen werden. Zuweilen wird aber versucht, den letzten Schritt vor dem ersten zu machen: „Alle reden über Künstliche Intelligenz. Viele Prozess sind aber noch gar nicht digitalisiert – nicht nur, weil die entsprechenden Algorithmen nicht zur Verfügung stehen, sondern auch, weil es keine Sensoren gibt, die die erforderliche Information überhaupt erfassen“, sagt dazu Bernhard Jakoby, Vorstand des Instituts für Mikroelektronik und  Mikrosensorik an der Johannes-Kepler-Universität Linz. Hubert Brückl, Leiter des Departments für Integrierte Sensortechnik der Donau-Universität Krems, sieht das ähnlich: „Digitalisierung kann weder nur mit Software noch nur mit gemessenen Daten bewältigt werden. Das eine kommt ohne das andere nicht aus. Diese Verknüpfung ist das Kernthema, dem sich unsere Arbeit widmet.“ Um diesem Anspruch gerecht zu werden, ist in den vier Zentren des Departments Kompetenz zu Mikro- und Nanosensoren ebenso vorhanden wie zu verteilten Systemen und Netzwerken oder zu Modellierung und Simulation. Zudem versteht man sich darauf, diese Technologien in zahlreichen Anwendungsfeldern zu positionieren – von der Wasser- und Umweltanalytik bis zur Automatisierung von Gebäuden und Produktionsanlagen, von der Verkehrstechnik bis zur biomedizinischen Diagnostik.  

Die Megatrends der Sensortechnik
Das Beispiel aus dem Bereich des autonomen Fahrens zeigt gut, dass Sensortechnik, um sinnvoll zum Funktionieren eines Gesamtsystems beizutragen, in eine Umgebung eingebettet werden muss, in der Messdaten verarbeitet und miteinander vernetzt werden. „Sensor Fusion, also die Zusammenführung von Informationen, die mit verschiedenen Messprinzipien ermittelt wurden, ist einer der Megatrends, wenn es um die Bedeutung der Sensortechnik für die Digitalisierung geht“, wie Michael Wiesmüller, Leiter der Abteilung für Schlüsseltechnologien für industrielle Innovation im Bundesministerium für Verkehr, Innovation und Technologie (BMVIT), aufzeigt. Dazu kommt, dass Sensoren immer feiner in unserer Alltagsumgebung verteilt sind: Sie finden sich an der Kleidung, in Autos, in der Haustechnik, in Sportgeräten. „In der Medizintechnik wird an Sensoren gearbeitet, die sich an Kathetern oder implantierbaren Geräten wie Herzschrittmachern montieren lassen“, zählt Jakoby ein weiteres schlagendes Beispiel auf. Gleichzeitig zeigt dieses Anwendungsgebiet, dass  die Messung häufig mit dem drahtlosen Auslesen des Messergebnisses verbunden werden muss.  Auch dieser Aspekt folgt einem allgemeineren Trend: Sensoren werden mit anderen mikroelektronischen Komponenten in Schaltungen integriert, sind mehr und mehr untereinander vernetzt und an Kommunikationssysteme gekoppelt. 

Edge und Fog Computing
„Sensoren werden dabei immer smarter, das heißt, der Sensor selbst erbringt bestimmte Rechenleistungen und gibt Daten an übergeordnete hierarchische Ebenen weiter“, analysiert Wiesmüller. Während Cloud Computing, also das Nutzen von IT-Infrastruktur über das Internet, bereits ein gängiger Begriff ist, sind „Edge Computing (die Nutzung der Rechenleistung peripherer Geräte) oder „Fog Computing“ (Speicherung und  Verarbeitung der Daten in der Ebene dazwischen, also näher an den Endgeräten, aber doch unter Nutzung gemeinsamer Ressourcen) noch relativ junge Konzepte. Die Softwareentwicklung trägt das Ihre zur Entwicklung bei: Selbstlernende Programme machen Muster in den immer größer werdenden Datenmengen ausfindig, die von verschiedensten Sensoren unterschiedlicher physikalischer Grundlage erhoben werden. Das kann so weit gehen, dass gar nicht alle relevanten Parameter gemessen werden müssen: „Es wird daran gearbeitet, Größen gar nicht direkt mit Sensoren zu bestimmen, sondern sie aus Messdaten anderer Größen zu errechnen. Das geht aber nur, wenn die Korrelation zwischen den betreffenden Maßzahlen sehr genau bekannt ist“, sagt Jakoby. Nimmt man all diese Entwicklungen zusammen, wird das Bild vom „Internet of Things“ verständlicher, in dem Elektronik, Informatik und Kommunikationstechnologie mit der Welt der alltäglichen Gegenstände immer mehr verwoben erscheinen.

Michael Wiesmüller

„Sensor Fusion, also die Zusammenführung von Informationen, die mit verschiedenen Messprinzipien ermittelt wurden, ist einer der Megatrends.“

Michael Wiesmüller

Angesichts dieser Entwicklungsfronten verändern sich auch die Sensoren selbst. Die Positionierung in unterschiedlichen Geräten und Anwendungssituationen führt zu einer stärkeren Miniaturisierung. „Im Vergleich zu Silicium-Chips für Massenmärkte sind Spezialsensoren, wie sie etwa in Kraftfahrzeugen eingesetzt werden, mit ihren Abmessungen im Millimeter-Bereich zwar riesig, Miniaturisierung ist aber auch hier ein wichtiges Forschungsthema“, erklärt Brückl. Ebenso wird kontinuierlich an der Verbesserung der Empfindlichkeit oder der Erhöhung der Rauscharmut gearbeitet. Diese Fortschritte haben aber auch eine Kehrseite: „Je leistungsfähiger und smarter Sensoren werden, desto mehr Energie verbrauchen sie. Umso wichtiger wird, dass sie energieeffizient oder sogar energieautonom arbeiten“ betont Wiesmüller. So mancher Messfühler „im Feldeinsatz“ besorgt sich die von ihm benötigte Energie bereits selbst aus seiner unmittelbaren Umgebung, indem er  beispielweise Vibrationen oder Luftströmungen nutzt – eine Eigenschaft, die unter dem Schlagwort „Energy Harvesting“ bekannt geworden ist.

Bernhard Jakoby

„Alle reden über Künstliche Intelligenz. Viele Prozesse sind aber gar nicht digitalisiert - auch, weil es keine Sensoren gibt, die die erforderliche Information überhaupt erfassen.“

Bernhard Jakoby

Auf dem Weg zur digitalisierten Fabrik?

Die Einzelteile für diese Entwicklung sind schrittweise zusammengekommen. „In der Produktionstechnik war die Mechatronik, in der Mechanik und Elektronik miteinander verbunden sind, der erste Schritt. Dabei ist es vor allem um die Digitalisierung von Maschinen gegangen. Was jetzt neu ist, ist, dass die gesamte Produktionsanlage betrachtet wird“, macht Jakoby auf eine wichtige Entwicklung aufmerksam. Unter dem Titel „Industrie 4.0“ sind in den vergangenen Jahren zahlreiche Konzepte entstanden, um die Komponenten einer solchen Anlage miteinander in Kommunikation treten zu lassen, damit sie sich selbsttätig auf sich verändernde Rahmenbedingungen (etwa eine variable Beschaffenheit von Rohstoffen) anpassen können.  „Eine solche Aufgabenstellung muss man sich immer individuell ansehen, da gibt es keine Standardlösungen“, ist Brückls Erfahrung. Das zeigt sich beispielsweise in Projekten rund um die vorausschauende Instandhaltung. „Man kann durch das kontinuierliche Monitoring einer Maschine ein Abweichen vom gewohnten Arbeitsverhalten erkennen, noch bevor ein mit ihr arbeitender Operator etwas merken würde“, so Brückl. Die Forscher des Departments haben sich das anhand von kleinen Erschütterungen einer Fräsmaschine angesehen. „Wir mussten erst lernen, die Zeichen zu verstehen, die die Maschine gibt, bevor sie ausfällt“, so Brückl. Eine universelle Aussage darüber, welche Daten dafür infrage kommen, sei nicht möglich, das müsse von  Fall zu Fall erarbeitet werden.

Brückl kennt die Verhältnisse in Klein- und Mittelbetrieben aus zahlreichen Projekten, die das Department für Integrierte Sensortechnik im Bereich der industriellen Produktion umgesetzt hat: „Gerade kleine und mittlere Unternehmen müssen erst lernen, die analoge mit der digitalen Welt zu verbinden. Viele hatten mit diese Aufgabenstellung bisher noch gar nichts zu tun.“ Dabei kommt es auch zu einer Veränderung von Rollenbildern: Weil ausgebildete Informatiker am Markt vielfach nicht zur Verfügung stehen, werden Facharbeiter daraufhin geschult, eine Auswertung von Daten vorzunehmen. Hier gelte es, bereits in der Ausbildung Hemmschwellen zu überwinden: „Man muss den Menschen vermitteln, dass die Verwendung von Software-Tools keine Hexerei ist“, so Brückl.

„Wir mussten erst lernen, die Zeichen zu verstehen, die die Maschine gibt, bevor sie ausfällt.“

Hubert Brückl

Österreich bereitet sich vor

Doch wie gut ist unsere Gesellschaft insgesamt für die Herausforderungen der Digitalisierung aufgestellt? „Wir haben in Europa sehr viel aus der Hand gegeben. Für manche Technologien sind kaum mehr Anbieter in Europa zu finden, wie die Diskussion um den Ausbau des 5G-Mobilfunknetzes zeigt“, warnt Brückl. Doch man hat auch gegengesteuert und gezielt in Wachstumsfelder investiert. Nach wie vor macht die Elektro- und Elektronikindustrie mit 19,2 Milliarden Euro 12 Prozent der heimischen Industrieproduktion aus2. In Österreich sind mit Infineon, AT&S oder AMS Industrieunternehmen vertreten, die einen hohen Spezialisierungsgrad in ihren jeweiligen Märkten aufweisen. Die vom Fachverband der Elektro- und Elektronikindustrie gemeinsam mit dem BMVIT und den Ländern Kärnten, Steiermark und Oberösterreich getragene Initiative „Silicon Austria“ zeugt von der Aufbruchstimmung in der Branche. Geplant ist der Aufbau des Forschungszentrums „Silicon Austria Labs“  und die Schaffung von Stiftungsprofessuren und Pilotfabriken, insgesamt werden mehr als 300 Millionen Euro in die Hand genommen. „Die Sensorik wird eine große Rolle in Silicon Austria spielen, einer der vier Bereiche des Forschungszentrums wird sich mit Smart Sensors beschäftigt“, sagt Wiesmüller. Brückl hat die Entstehungsgeschichte der Initiative von Anfang an als Ideengeber begleitet und mitgewirkt, der Sensortechnik entsprechendes Gewicht zu geben. „Wir sind nun dabei, Projekte zu definieren, in die wir unsere Kompetenzen nun auch konkret einbringen können.“

 

Georg Sachs ist Chefredakteur der Zeitschrift „Chemiereport/Austria Life Sciences“

 

1Sven A. Beiker: „Implementierung eines selbstfahrenden und individuell abrufbaren Personentransportsystems“; in: „Autonomes Fahren. Technische, rechtliche und gesellschaftliche Aspekte“, hg. von Markus Maurer et al., Springer Vieweg, 2015

2Bank Austria Branchenbericht Elektroindustrie, Oktober 2017


Michael Wiesmüller
Mag. Michael Wiesmüller leitet die Abteilung für Schlüsseltechnologien für industrielle Innovation: IKT, Produktion und Nanotechnologie im Bundesministerium für Verkehr, Innovation und Technologie

 

Bernhard Jakoby
Univ.-Prof. Dr. Bernhard Jakoby ist Vorstand des Instituts für Mikroelektronik und Mikrosensorik der Johannes Kepler Universität Linz.

 

Hubert Brückl
Univ.-Prof. Dr. Hubert Brückl leitet das Department für Integrierte Sensorsysteme der Donau-Universität Krems. Brückl, der Physik studierte, leitete 2005 bis 2012 das Geschäftsfeld Nano Systems in Health & Environment Department des AIT Austrian Institute of Technology

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