Komplexe Herausforderungen unserer vielschichtigen Welt erfordern die Abstimmung unterschiedlicher Lösungsansätze. Transdisziplinarität weist die Richtung.
Von Roman Tronner
Die nachhaltige Nutzung natürlicher Ressourcen, Digitalisierung, Wirtschaftskrisen, Migrationsbewegungen oder die Nutzung von Big Data: Die komplexen gesellschaftlichen Herausforderungen der Gegenwart machen es notwendig, in der Suche nach Antworten vernetzt zu denken und die Wissenspotenziale sowohl der Wissenschaft als auch jene der Anwendung zielgerichtet und prozessgeleitet miteinander zu verbinden. Dieser wechselseitige Lernprozess in Form einer systematischen, gemeinsamen Arbeitsweise von Wissenschaft und Gesellschaft, das ist Transdisziplinarität.
Gerald Steiner, Professor für Organisationskommunikation und Innovation an der Donau-Universität Krems, setzt sich seit langem für einen transdisziplinären Weg der Wissenschaft ein. Steiner, gleichzeitig Dekan der Fakultät für Wirtschaft und Globalisierung, hat dort mittlerweile sechs Transdisziplinaritäts-Laboratorien (Td-Labs) eingerichtet, die unterschiedliche Herausforderungen adressieren. Darunter das Transdisziplinäre Laboratorium für Sustainable Mineral Resources. Es arbeitet zum Spannungsfeld der nachhaltigen Nutzung und künftigen Verfügbarkeit von mineralischen Ressourcen, wie zum Beispiel Phosphate, Hauptbestandteil von Kunstdünger. Die Herausforderung: Phosphatgestein ist endlich und könnte, so Befürchtungen, schon in 20 Jahren knapp werden. Kunstdünger ist aber der Hauptfaktor für die hohen Erträge gegenwärtiger Landwirtschaft. Die weltweite Nahrungsmittelproduktion reicht heute aus, um zwölf Milliarden Menschen zu ernähren, aber nur, weil es Düngemittel gibt. Geht Phosphat aus, braucht es dringend nachhaltigen Ersatz. Dazu ist nicht allein Wissenschaft wie im Feld der Chemie gefordert. Eine für die Menschheit so gewaltige Herausforderung zu lösen, geht nur in Co-Leadership von Forschenden und Akteuren, die in der Praxis mit dem Problem umgehen müssen: die Bergbauindustrie, die Agrarwirtschaft, die Lebensmittelproduktion.
Das Ziel von Transdisziplinarität ist demnach, gesellschaftlich robuste Antworten gemeinsam mit allen vom Problem Betroffenen zu erarbeiten. Diese Vorgehensweise soll dafür sorgen, dass entwickelte Lösungen tragfähig und damit „robust“ in der Anwendung sind. Transdisziplinäre Prozesse zielen daher auf einen Dialog darüber, wo die wichtigsten Probleme liegen, und entwickeln Strategien zur Entschärfung aufkommender Konflikte. Im Falle des kommenden Phosphatengpasses könnten das internationale Spannungen, stark steigende Weltmarktpreise für Lebensmittel, der unfaire Wettstreit um Ersatzdüngemittel oder andere Auseinandersetzungen sein.
Weitere Td-Laboratorien sind zum Beispiel das Td-Lab Sustainable Digital Environments, das die Auswirkungen der Digitalisierung analysiert, oder das Research Lab Democracy and Society in Transition. Es widmet sich gesellschafts- und sozialpolitischen Fragestellungen unter besonderer Berücksichtigung der Demokratieforschung und der Partizipation. Die an der Donau-Universität Krems erarbeitete Expertise im Feld der Transdisziplinarität fließt unter anderem in den Complexity Science Hub Vienna ein, an dem sie neben anderen öffentlichen Universitäten und Forschungseinrichtungen mitarbeitet. Im Fokus der Komplexitätswissenschaft stehen dort „Systemische Risiken“, wie Finanzkrisen oder Naturkatastrophen.
Hub der Transdisziplinarität
Der Ansatz der Transdisziplinarität findet sich an der Donau-Universität Krems auf vielen Ebenen: auf der einen Seite in der anwendungsnahen Forschung, die zwischen Grundlage und Anwendung sowie zwischen den Fachdisziplinen Brücken baut. Auf der anderen Seite im hohen wechselseitigen Wissens- und Kompetenztransfer, der in der Lehre entsteht. Seine Dynamik erhält dieser durch die aus Wirtschaft und Verwaltung kommenden ExpertInnen in der Lehre sowie durch die Studierenden, die hohe berufliche Erfahrung bei Studienbeginn mitbringen. Von den praktischen Erfahrungen der Lehrenden und Studierenden gehen in der Lehre zahlreiche Anregungen aus, die von der Forschung an der Donau-Universität Krems aufgegriffen werden. Die dadurch entstehenden Erkenntnisse fließen in die Lehre und in die Anwendung zurück. Dabei wird auch der methodische Ansatz der Transdisziplinarität weiterentwickelt. Mit dem gesamtinstitutionellen Ansatz der Transdisziplinarität verfügt die Donau-Universität Krems nicht nur über ein Alleinstellungsmerkmal im Vergleich zu anderen Universitäten, sondern sie nimmt auch in den wissenschaftlichen Betrachtungen zu Transdisziplinarität eine aktive Rolle ein.
upgrade: Die Donau-Universität Krems setzt auf hohen Wissens und Kompetenztransfer. Entspricht dieser Weg der neuen Form der Wissensgenerierung, die Sie im Zuge Ihrer Wissenschaftsforschung beschrieben haben?
Helga Nowotny: Statt vorwiegend auf disziplinären Wissenszuwachs zu setzen, sahen wir ein anderes Modell der Wissensproduktion im Entstehen: Forschung, die sich auf ein Problem konzentriert, das so aufzubereiten ist, dass verschiedene Zugänge ihre Beiträge leisten können. Das ist zunächst harte Übersetzungsarbeit, dann muss ein Team geschaffen werden, in dem sich alle gleichrangig fühlen und das zu bearbeitende Problem als ihr gemeinsames definieren. Wissenschaftliche Weiterbildung, wie sie an der Donau-Universität Krems betrieben wird, überträgt diesen Grundgedanken in den Wissens- und Kompetenztransfer. Sowohl die Studierenden wie die Lehrenden bringen ihr Wissen und ihre unterschiedliche Erfahrung ein. Der Praxisbezug in seiner ganzen Vielfalt ist daher besonders hoch. Wichtig bleibt jedoch dabei, die wissenschaftlich-praktische Fragestellung nie aus den Augen zu verlieren. Sie gilt es zu bearbeiten und so zu verändern, dass am Ende robuste Lösungen und Wissen entstehen, die es sonst nicht geben würde.
Sie beschäftigen sich mit der Dynamik zwischen Wissenschaft und Gesellschaft. Inwiefern kann universitäre Bildung und Weiterbildung gesellschaftlich wirksam sein und gesellschaftliche Herausforderungen bewältigen?
Nowotny: Die Befassung mit unterschiedlichen gesellschaftlichen Herausforderungen ist ganz im Sinn dieses anderen Modells der Wissensproduktion. Das heißt, unterschiedliche Sichtweisen und Zugänge einfließen zu lassen, aber auch zu versuchen, sie miteinander zu verbinden und wenn möglich zu integrieren. Innerhalb der Gesellschaft, aber ebenso in der Politik, herrscht oft noch die Vorstellung, es gebe einfache Lösungen für komplexe Probleme, man müsse sie nur finden bzw. übernehmen. Gesellschaftliche Wirksamkeit einer universitären Bildung und Weiterbildung sehe ich dort, wo Bewusstsein für komplexe Zusammenhänge entsteht; wo vermittelt wird, dass es oft um trade-offs geht und dass jedes Handeln mit unbeabsichtigten Folgen verbunden ist.
Weiterbildung fragt in der Regel nach bewährtem Wissen, Wissenschaft ist am unerforschten Neuen interessiert, was mit Ungewissheit verbunden ist. Wie soll wissenschaftliche Weiterbildung mit der Ungewissheit umgehen?
Nowotny: Eine ausschließlich auf bereits gesichertem Wissen beruhende Anwendung hat zwar ihren Platz, bringt uns aber in einer Zeit nicht weiter, in der Digitalisierung und andere, auch geopolitische Veränderungen uns ständig vor neue Herausforderungen stellen. Im Gegenteil: Gerade, weil sie sich in ihrem Erfolg sicher fühlen, werden Veränderungen zu spät wahrgenommen und die Fähigkeit, entsprechend zu reagieren, verkümmert. Im Englischen sage ich manchmal: train for certainty, educate for uncertainty. Man muss also wissen, wo in der Praxis wird gesichertes Wissen gebraucht und wo – und dieser Anteil wächst rasant – muss ich lernen, mit Ungewissheit umzugehen. Gerade in der Praxis stößt man oft auf das Unerwartete und Ungewissheit gibt es im unternehmerischen Handeln immer. Man kann das ignorieren oder zu umgehen versuchen. Man kann sich der Ungewissheit jedoch auch stellen – und daraus etwas Neues machen.
Was ist aus Ihrer Sicht der Mehrwert, Weiterbildung wissenschaftsbasiert durchzuführen?
Nowotny: Insgesamt steuern wir auf mehr und höhere Formen von Komplexität zu. Die Wissenschaft bietet uns für den Umgang damit bessere Methoden und Einsichten an. Wenn es gelingt, die Bearbeitung von Problemen science-based anzugehen, dann ist damit ein hoher Mehrwert verbunden. Komplexe Systeme haben Eigenschaften, die wir anderswo nicht kennen. Diese zu erkennen und zu lernen, wie man damit umgehen kann, ist ein enormer Gewinn nicht nur für die Studierenden, sondern für uns alle.
HELGA NOWOTNY
Prof. Dr. Helga Nowotny, Ph.D. ist ehemalige Präsidentin des ERC, des Europäischen Forschungsrats (2010–2013) und eines seiner Gründungsmitglieder (2007). Sie ist emeritierte Professorin für Wissenschafts- und Technologiestudien an der ETH Zürich. Weiters ist die international anerkannte Wissenschaftsforscherin Mitglied im österreichischen Rat für Forschung und Technologieentwicklung sowie Gastprofessorin der Nanyang Technological University, Singapore.
GERALD STEINER
Univ.-Prof. Mag. Dr. Gerald Steiner ist Universitätsprofessor für Organisationskommunikation und Innovation. Der Dekan der Fakultät für Wirtschaft und Globalisierung und Leiter des Departments für Wissens- und Kommunikationsmanagement. Steiner forscht u. a. zu nachhaltigkeitsorientierten Innovations-Systemen.