Die Lieder von Josef Strauss (1827–1870): Quellen, Überlieferung, Rezeption

Von Josef Strauss wissen wir, dass er der Avantgardemusik seiner Zeit sehr angetan war: Berlioz, Liszt, Wagner – sie alle hat er nicht nur hochgeschätzt, sich harmonisch/thematisch an ihnen orientiert, sondern ihre Werke mit der Strauss-Kapelle auch aufgeführt. Neben Polka, Marsch und Walzer schuf Josef einige wenige Werke für Stimme und Klavier, die sich inhaltlich wie melodiös stark von der Wiener Tanz- und Unterhaltungsmusik des 19. Jahrhunderts unterscheiden und zu dem tendieren, was die Avantgardisten der Zeit kreierten. Leidglich sechs Lieder – fünf davon in Manuskriptform und bisher nicht publiziert – sind von Josef Strauss erhalten: ein Zyklus von vier Werken, bestehend aus Elegie, Meineid, Der Todtengräber und Nachtgebeth, das fünfte Manuskript Der Bettler, sowie das 1866 im Oesterreichischen Volkskalender erschienene Wenn ein Kindlein faltet fromm die Hände. Mit der historisch-kritischen Erstedition der Lieder wird ein lang bestehendes Desiderat im Oeuvre von Josef Strauss aufgearbeitet. Diese Edition folgt dabei der erfolgreichen Publikation Perlen der Liebe, op. 39 (Hollitzer 2020) und soll gleichermaßen dazu dienen, den Kanon der gespielten Strauss-Musik zu erweitern und unbekannte bzw. verborgene Werke neu erlebbar zu machen. Voraussetzung für die Edition ist nicht nur eine analytische Auseinandersetzung mit den vorhandenen autographen Quellen, sondern auch Erfahrung im Edieren sowie in musikalischer Textkritik, methodischer Substanz und kulturellem Hintergrundwissen. Der wissenschaftliche Komplex beinhaltet ferner Fragestellungen nach der Überlieferungs- und Rezeptionsgeschichte der Lieder eines Komponisten, der für seine Instrumentalmusik weltberühmt, seine wenige überlieferte Vokalmusik jedoch gänzlich vergessen ist.