Es gebe keine Krise des Euro, sondern vielmehr eine vielschichtige Krise der nationalen wie europäischen Politik sowie eine Vertrauenskrise, argumentierte Gabriel Glöckler, Principal Adviser der Generaldirektion Kommunikation der Europäischen Zentralbank (EZB), im Rahmen des ersten Faculty Talks der Fakultät für Wirtschaft und Globalisierung der Donau-Universität Krems. In der anschließenden Diskussion mit Vortragenden, Studierenden und AbsolventInnen der Fakultät wurden die dargelegten EZB-Strategien teils auch kritisch hinterfragt.
„Wie weiter mit dem Euro? Zwischen Niedrigzins, Integrationsschub und Brexit“ war Thema des Auftakts der neuen Veranstaltungsreihe Faculty Talks der Fakultät für Wirtschaft und Globalisierung am 22. November 2017. Vortragender Gabriel Glöckler von der Europäischen Zentralbank skizzierte dabei den Status quo und die Rolle der EZB in der Krisenbewältigung und gab einen Ausblick auf zukünftige Herausforderungen.
Generell sah Gabriel Glöckler keine Krise des Euro als Währung, sondern vielmehr Probleme des Krisenmanagements. Die Krise sei „vielschichtig“, und je nach Diagnose der zugrunde liegenden Probleme unterschieden sich auch die jeweiligen Therapien: „Es gibt keine simple oder schnelle Lösung – Europa befindet sich in einem Anpassungsjahrzehnt“, sagte der Experte, der derzeit im Senior Management der Generaldirektion Kommunikation der Europäischen Zentralbank als Berater (Principal Adviser) mit Schwerpunkt auf der strategischen Ausrichtung der EZB-Kommunikation sowie der Außendarstellung der Bank und ihrer Geldpolitik tätig ist. Nicht der Euro selbst sei Grund für die Krise, vielmehr seien andere Krisen offen gelegt worden, darunter nationale sowie europäische politische Krisen: „Es stellte sich auf vielen Ebenen die Frage, ob das politische System in der Lage sei, die Probleme zu lösen, Reformen einzuleiten und die Lasten fair zu verteilen“, argumentierte Gabriel Glöckler.
Vertrauenskrise: „Keine guten Nachrichten für EZB“
Der EZB-Experte ortet in Europa derzeit eine generelle Vertrauenskrise. Umfragen zufolge würden die Menschen eher anderen Menschen vertrauen – den Peers, dem Nachbarn, der Kollegin oder guten Freunden –, Medien und Institutionen verlieren jedoch an Vertrauen. „Und das sind keine guten Nachrichten für eine supranationale Expertenorganisation wie die EZB“, so Gabriel Glöckler, der seit 1999 an der Europäischen Zentralbank in verschiedenen Positionen tätig ist, unter anderem als Büroleiter des EZB-Vizepräsidenten, als Abteilungsleiter der Europa-Abteilung und des Generalsekretariats. Die EZB stehe somit vor großen Herausforderungen, auch im Bereich der Kommunikation.
Gerade in den vergangenen Jahren, als das Vertrauen der Bürger und auch der Finanzmärkte in das Management der Währungsunion erschüttert wurde, erschwerten „teilweise unachtsame Worte“ von PolitikerInnen mitunter die Krisenbewältigung. Zwar könne es nicht darum gehen, den politischen Diskurs in eine „marktkonforme Demokratie“ einzuengen, doch wenn Angela Merkel vor dem Bundestag ein Scheitern des Euro und von Europa in den Raum stelle, so könne das zu Zweifeln der Finanzmärkte an der Währungsunion führen und so die Krise verschlimmern.
Die Niedrigzinspolitik der EZB sowie das Anleihenkaufprogramm erweise sich auch im Rückblick als wirksam und angemessen. Die derzeitige Geldpolitik werde weitergeführt, bis das Ziel einer Inflation „nahe, aber unter 2 Prozent“ für die Eurozone als Ganzes nachhaltig selbsttragend erreicht sei, und das sei derzeit noch nicht der Fall, argumentierte Gabriel Glöckler anhand von Zahlen und Prognosen. Generell sei jedoch festzuhalten, dass es der Volkswirtschaft in der Eurozone mittlerweile wieder gut gehe, und insbesondere die meisten der vormaligen Krisenländer verzeichneten dank umgesetzter Reformen eine sehr gute Konjunktur: „Ja, die Therapie war hart, aber sie hat gewirkt“, fasste der Experte zusammen.
Mehr Europa durch die Krise
Insgesamt hätte sich durch die Krise die Integration im gemeinsamen Währungsraum deutlich vertieft: „Gerade im Bereich Finanzmarktunion, Wirtschaftsunion und Fiskalunion hat sich in der Krise sehr viel getan – im Zuge dieser Krise ist de facto ein Mehr an Europa zu Stande gekommen.“
In der anschließenden regen Diskussion mit Vortragenden, Studierenden und Alumnis der Fakultät für Wirtschaft und Globalisierung der Donau-Universität Krems ging Gabriel Glöckler auf verschiedene, auch kritische Fragen – unter anderem zur Niedrigzinspolitik und ihrer Auswirkung auf die Vermögenspreise, zur Infrastruktur- und Investitionspolitik sowie zum Brexit – ein. Bezüglich Bitcoin und anderen Kryptowährungen zeigte sich der Finanzexperte eher skeptisch: „Wir beobachten und analysieren genau, was da geschieht, aber sehen zur Zeit weder im Angebot noch in der Nachfrage von Kryptowährungen makroönomisch relevante Größenordnungen.“
Faculty Talks
Im Rahmen der neu gegründeten Veranstaltungsreihe werden in Form von Kamingesprächen aktuelle Trends und Umbrüche in Wirtschaft, Gesellschaft und Politik mit Fakultätsmitgliedern diskutiert. „Ziel ist es, die Fakultät weiter zu öffnen, zusätzliche Expertise hereinzuholen und aktuelle politische und wirtschaftliche Trends aus verschiedenen Blickwinkel zu beleuchten“, erklärte Univ.-Prof. Dr. Ulrike Guérot, Leiterin des Departments für Europapolitik und Demokratieforschung der Donau-Universität Krems und eine der InitiatorInnen der Veranstaltungsreihe in ihrer Begrüßung. Auch Vizerektor Univ.-Prof. DDr. Thomas Ratka verwies in seiner Eröffnung auf die Bedeutung des Austauschs von Wissenschaft und Praxis zu aktuellen gesellschaftlichen Herausforderungen.
Galerie: Faculty Talk 11/2017
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Mag. Dr. Heidemarie Weinhäupl
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