Universität für Weiterbildung Krems,
Seminar Room C.2.01
Foto: Whanganui-Fluss, Neuseeland. Krzysztof Golik (Creative Commons)
Rechtswissenschaftliche und anthropologische Perspektiven
In den letzten Jahrzehnten hat sich eine breite internationale Bewegung entwickelt, die sich dafür einsetzt, die Natur als Rechtssubjekt anzuerkennen, um sie rechtlich wirksam zu schützen. Aus ethischer Sicht kommt darin eine fundamentale Wende zum Ausdruck: von einer anthropozentrischen Sichtweise der Natur, die sie auf eine Ressource für menschliche Zwecke reduziert, zu einem ökozentrischen Zugang, der die eigene Würde und den eigenen Wert der Natur - unabhängig von menschlichen Zwecken - respektiert.
Einer der ersten Vertreter dieses Ansatzes war Christopher Stone, der 1972 einen Aufsatz mit dem Titel „Should Trees Have Standing?“ verfasste, und damit eine Debatte darüber auslöste, ob die Natur Rechte einklagen können sollte.
Einen (vorläufigen) Höhepunkt dieser Entwicklung des Rechts bildete die neue Verfassung Ecuadors (2008), in der weltweit zum ersten Mal die Natur als Trägerin von Rechten (Art. 10) verfassungsrechtlich verankert und ihr ein Recht auf Existenz und Regeneration zuerkannt wurde (Art. 71). Auch Bolivien folgte dem Beispiel Ecuadors, ging aber nicht so weit, Rechte der Natur in der Verfassung zu verankern, sondern beschränkte sich auf ein einfaches Gesetz. 2010 verabschiedete der Kongress in Bolivien das „Gesetz über die Rechte der Mutter Erde“.
Mittlerweile wurden die Rechte von Flüssen, Bergen, Wälder, Buchten usw. in mehreren Staaten, teils gesetzlich, teils durch Entscheidungen durch Gerichte, anerkannt. Ein Beispiel sind die Rechte der Flüsse Atrato (Kolumbien), Whanganui (Neuseeland), Ganges und Yamuna (Indien). Im Fall dieser Flüsse wird die traditionelle indigene bzw. religiöse Überzeugung, dass sie „heilig“ sind, in die Sphäre des modernen Rechts übertragen, indem der säkulare Rechtsstaat sie als juristische Subjekte anerkennt und ihre Rechte und Integrität schützt.
2022 wurde zum ersten Mal in Europa ein Ökosystem als Rechtssubjekt durch ein nationales Gesetz geschützt, nämlich die Salzwasserlagune Mar Menor und ihr Einzugsgebiet (Spanien).
Im Seminar werden zunächst Grundfragen aus einer rechtswissenschaftlichen Perspektive reflektiert, um diese Entwicklung besser zu verstehen: Was sind „Rechte“? Wer kann Träger von Rechten sein? Was bedeutet „Rechte der Natur“, wer vertritt sie? In einem zweiten Schritt werden konkrete Beispiele diskutiert, wie die Rechte des Ganges und der spanischen Lagune Mar Menor. Am Beispiel der Situation der Elefanten in Namibia werden die Chancen des Ansatzes bei den Rechten der Natur für einen wirksamen Schutz erörtert.
Referentinnen
Univ.-Prof. Dr. Maria Bertel: seit 2023 Professorin für Öffentliches Recht und Digitalisierung, Institut für Öffentliches Recht und Politikwissenschaft der Universität Graz.
Schwerpunkte: öffentliches Recht in Österreich, vergleichendes Verfassungsrecht (v.a. Lateinamerika).
Studium der Rechtswissenschaft und Philosophie an der Universität Innsbruck; 2022 Habilitation im Rahmen einer vom FWF geförderten Elise-Richter-Stelle mit einer Arbeit zum „Effizienzprinzip der österreichischen Bundesverfassung“.
Publikationen u.a.: „Anerkennung der ‚Mutter Erde‘ als lebendiges Wesen und als Rechtsperson“: Nachhaltigkeitsrecht Bd. 2 (September 2022), Heft 3.
Foto: Copyright SN/Marco Riebler
Mag. med. vet. Elisabeth Schönthal, BA: Studium der Humanmedizin (1992-97), Veterinärmedizin (1997-2007) sowie Sozial- und Kulturanthropologie (2018-21) in Wien.
Seit 2021 Masterstudium in Sozial- und Kulturanthropologie mit Schwerpunkt Mensch-Tier-Studien, Klimakrise, Artensterben; Forschung in Namibia und auf den Seychellen zum Thema Artensterben mit Fokus auf Elefanten und Haie; Masterarbeit „‘Following the Elephants‘. The past as a guide for the future“ (2024).
Seit 2002 mehrere Natur-Dokumentationen in der Reihe „Universum“.
Literatur zum Seminar
Maria Bertel: „Rechte der Natur in Südamerika – zwischen Biozentrismus und Anthropozentrismus“, in: Stascha Rohmer/ Georg Toepfer (Hg.), Anthropozän – Klimawandel – Biodiversität. Transdisziplinäre Perspektiven auf das gewandelte Verhältnis von Mensch und Natur. Freiburg/ München: Karl Alber, 2021.
Julia Macher: „Die Advokatin der Meere“, in: Energiewende-Magazin Nr. 17 (2024), 6-15.
(über die spanische Rechtsphilosophin Teresa Vicente, die im Herbst 2022 Personenrechte des Ökosystems Mar Menor erstritten hat)
Weiterführende Literatur
Tilo Wesche: Die Rechte der Natur. Berlin: Suhrkamp, 2023 (philosophische Perspektive)
Erika M. Wagner/Wilhelm Bergthaler/Michaela Krömer/Lukas Grabmair: Eigenrechtsfähigkeit der Natur. Jan Sramek Verlag 2022 (über Verankerung der Rechtspersönlichkeit der Natur in der österreichischen Rechtsordnung)
Frank Adloff/Tanja Busse (Hg.): Welche Rechte braucht die Natur? Wege aus dem Artensterben. Frankfurt/New York: Campus, 2021.
Jens Kersten: „Natur als Rechtssubjekt. Für eine ökologische Revolution des Rechts“: Aus Politik und Zeitgeschehen (2020). Internetquelle: https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/305893/natur-als-rechtssubjekt/ (rechtswissenschaftliche Perspektive)
Anna Hillebrecht/Maria Valeria Berros (eds.): Can Nature Have Rights? Rachel Carson Center Perspectives: Transformations in Environment and Society (2017), no. 6. Internetquelle: https://www.environmentandsociety.org/perspectives/2017/6/can-nature-have-rights-legal-and-political-insights
Internetressourcen
„Gesetz über die Rechte der Mutter Erde“ (Bolivianischer Kongress, Dezember 2010)
https://www.worldfuturefund.org/Projects/Indicators/motherearthbolivia.html
Global Alliance for the Rights of Nature (gegründet 2009 in Ecuador)
https://www.garn.org
International Rights of Nature Tribunal (gegründet 2014)
https://www.rightsofnaturetribunal.org
Anmeldung
Online-Teilnahme möglich.
Teilnahmegebühr: Euro 55,00
ermäßigte Gebühr: Euro 40,00 für Studierende, Schüler_innen, Lehrlinge und Menschen mit prekärem Einkommen auf Anfrage.
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