Bildgebende Verfahren sind vielversprechende Einsatzgebiete von Künstlicher Intelligenz in der Medizin. Gerade in der Orthopädie und speziell bei der Diagnose und Behandlung von Gelenksarthrosen tun sich neue Möglichkeiten auf.
Von Andreas Aichinger
Künstliche Intelligenz (KI) ist in aller Munde, ChatGPT dominiert dabei die Schlagzeilen. Jenseits des medialen Hypes und der vielen dazu formulierten Dystopien lässt sich zweifelsfrei sagen: Künstliche Intelligenz als wichtiges Teilgebiet der Informatik ist gekommen, um zu bleiben – auch in der Medizin. Und das Potenzial ist insbesondere im Teilgebiet Machine Learning enorm: Dabei erkennen IT-Systeme automatisch Muster und Zusammenhänge in bereits erfassten digitalen Daten, konkret kann es sich dabei beispielsweise um kardiologische Signaldaten aus einem EKG oder um Bilddaten einer CT oder MRT handeln.
Derzeit ist bei bildgebenden Verfahren die manuelle Interpretation durch geschulte Expert_innen die Norm, wobei allerdings die Ergebnisse nachweislich von individuellen Kompetenzen sowie von äußeren Einflussfaktoren abhängig sind. Ein Befund-Bild, aber drei durchaus abweichende Diagnosen nach drei Arztbesuchen – diese weitverbreitete Anekdote hat durchaus einen wahren Kern. Dazu kommt, dass die Auswertungen in Krankenhäusern und Ärzt_innen-Praxen viel Zeit und somit auch finanzielle Ressourcen binden. Und hier kommen die Maschinen ins Spiel: Im Idealfall dient eine medizinische KI-Software primär der verbesserten klinischen Entscheidungsfindung auf Basis einer möglichst exakten Auswertung der vorhandenen Daten. Da die letzte Entscheidung sehr wohl bei einem Menschen liegt, wird in diesem Zusammenhang von einem KI-basierten Entscheidungs-Unterstützungs-System gesprochen.
Erst am Anfang
Nachdem in der Vergangenheit der KI-Einsatz etwa in der Diagnostik von Hautkrebs oder auch von Netzhauterkrankungen für Schlagzeilen gesorgt hat, liegen orthopädische Anwendungen eigentlich auf der Hand. Kenneth Chen, Wissenschaftler am Zentrum für Regenerative Medizin der Universität für Weiterbildung Krems, hat sich als Erstautor einer Literaturstudie mit dem Status Quo der Künstlichen Intelligenz in der orthopädischen Röntgendiagnostik beschäftigt. Sein Fazit: „Zurzeit steckt der KI-Einsatz auf diesem Gebiet noch in den ‚Babyschuhen‘.“ Obwohl bisherige Ergebnisse „sehr vielversprechend“ wären, gäbe es in der Orthopädie noch keine Anwendungsgebiete, in denen KI routinemäßig eingesetzt würde.
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„Zurzeit steckt der KI-Einsatz in der orthopädischen Röntgendiagnostik noch in den ‚Babyschuhen‘.“
Kenneth Chen
Christoph Stotter beschäftigt sich sowohl in der Forschung als auch in der klinischen Praxis mit dem KI-Thema. Als Principal Investigator eines aktuellen, von der Gesellschaft für Forschungsförderung Niederösterreich geförderten Forschungsprojekts („Künstliche Intelligenz in der orthopädischen Röntgendiagnostik“) untersucht er KI-Anwendungen zur automatisierten Analyse von Röntgenbildern. „Unsere Forschungsergebnisse zeigen, dass die KI-Anwendungen bei diesen einfachen Aufgaben nach entsprechendem ‚Training‘ sehr genaue und reproduzierbare Ergebnisse liefern“, gibt Stotter einen ersten Einblick. Doch auch in seiner ärztlichen Tätigkeit als Oberarzt an der Abteilung für Orthopädie und Traumatologie am Landesklinikum Baden-Mödling spiele das Thema KI bereits „eine große Rolle“. Dazu Christoph Stotter: „Einzelne KI-Anwendungen kommen im klinischen Alltag bereits zum Einsatz. So erfolgt die Analyse von ausgewählten Röntgenbildern bereits durch eine KI-Software, die relevante Vermessungen vollautomatisch durchführt, wobei die Ergebnisse im Anschluss vom behandelnden Arzt noch überprüft und bestätigt werden.“ Als Kniespezialist nutzt Stotter die Anwendung auch selbst zur Vermessung der Beinachse und zur Analyse von Kniegelenksarthrosen. Beim Einsatz von Künstlicher Intelligenz sieht Stotter generell „viele Vorteile“: „Ich erwarte mir, dass wir in Zukunft KI-unterstützt die Erfolgschancen von einzelnen Therapien besser abschätzen und so auch die Patientenversorgung weiter verbessern können.“ Selbst bei der Implantation von Knie-Endoprothesen könnten KI-basierte Systeme die Indikationsstellung und Operationsplanung unterstützen. Der Vorteil: „Sie erhöhen die Genauigkeit und die Reproduzierbarkeit der chirurgischen Eingriffe.“
KI aus Österreich
Das Wiener Startup-Unternehmen ImageBiopsy Lab (IB Lab) hat sich seit seiner Gründung im Jahr 2016 zu einem führenden Anbieter von KI-gestützter Bildgebungsintelligenz mit Fokus auf muskuloskelettale Erkrankungen entwickelt. Das Produktportfolio „Zoo“ enthält einzelne Module, die jeweils für bestimmte Knochen- und Gelenkanatomien – etwa Knie, Hüfte oder Wirbelsäule – optimiert sind. Die auf das Knie spezialisierte und bereits FDA-zertifizierte Software „Koala“ beispielsweise wird seit einigen Monaten unter anderem in den Krankenhäusern Mödling, Baden und Krems verwendet. Christoph Salzlechner, Clinical Research Partner-Manager bei IB Lab, beschreibt die Stärken so: „KI-Software ist ein Hightech-Werkzeug, das sich durch sehr hohe Präzision auszeichnet. Patienten und Patientinnen bekommen ihre Diagnosen relativ schnell. Studien zeigen zudem, dass Kliniker eher zu übereinstimmenden Diagnosen kommen, wenn eine KI-Anwendung den Bericht vorfertigt. Last but not least haben wir damit einen Radiologen zur Verfügung, der nie müde wird.“
Auch beim eingangs erwähnten Forschungsprojekt fungiert IB Lab als Industriepartner. Kenneth Chen: „Unser Ziel ist es, die Software weiterzuentwickeln beziehungsweise neue Anwendungsgebiete zu finden und diese für den klinischen Gebrauch einsatztauglich zu machen.“ Eine Arbeit über die automatische Vermessung des Hüftgelenks etwa hätte bereits „gute bis sehr gute Ergebnisse“ gezeigt. Christoph Salzlechner sieht zwar nach wie vor einen „sehr großen technologischen Aufholbedarf“, aber naturgemäß auch viele Chancen: „Wir arbeiten schon jetzt daran, dass die KI Erkrankungen sehr viel früher erkennen kann. Kniearthrosen sind aus meiner Sicht ein sehr großes Thema, auch weil die Software die Ursache eines Schmerzes – die am Röntgenbild vielleicht noch gar nicht erkennbar ist – schon identifizieren kann.“ Auch die Unterstützung der personalisierten Medizin bei der Versorgung mit Implantaten sei ein weiteres Zukunftsthema, so der IB-Lab-Experte. Salzlechner: „Unser Ziel ist, entsprechende Module für die Analyse sämtlicher Skelett-Teile anbieten zu können.“
Herausforderung Zusammenspiel
Neben Problemfeldern wie der Qualität und Verfügbarkeit der verwendeten Daten sowie der datenschutzrechtlichen Rahmenbedingungen bleibt als zentrale Herausforderung noch das Zusammenwirken von Mensch und Maschine. Die Weltgesundheitsorganisation WHO forderte im Mai einen verantwortungsvollen Umgang mit KI-Technologien ein, um Datenmissbrauch und Behandlungsfehler hintanzuhalten. „Man muss davor keine Angst haben, die KI kann ja nicht selbst denken und wird auch definitiv keinen Radiologen ersetzen“, beruhigt indes Christoph Salzlechner. Denn: „Die Diagnose macht immer noch der Mensch.“
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„Die Diagnose macht immer noch der Mensch.“
Christoph Salzlechner
Kenneth Chen wiederum ist zuversichtlich, dass die KI künftig Ärzt_innen zeitlich entlasten könne, sodass diese sich mehr auf die zwischenmenschlich-emotionale Ebene konzentrieren könnten. In der Anwendung seien allerdings Einschränkungen unverzichtbar. Chen: „Wir werden diese Limitationen selbst bestimmen müssen, um die Kontrolle nicht abzugeben.“ Und auch Christoph Stotter lässt keinen Zweifel, dass die KI-Nutzung in der Medizin „jedenfalls einen verantwortungsvollen Umgang erfordert“. Gleichzeitig versprüht gerade Stotter Optimismus: „Ich blicke der Zukunft und den Veränderungen, die durch die Anwendung von Künstlicher Intelligenz zu erwarten sind, grundsätzlich positiv entgegen.“ Längst würden sich „in der Medizin und in der Orthopädie viele Anwendungsgebiete“ abzeichnen, in denen die KI Vorteile bieten könne. Logische Schlussfolgerung: „Ich bin überzeugt, dass die KI und die daraus resultierenden Innovationen die Medizin verändern werden.“
KENNETH CHEN
Dr. Kenneth Chen ist Wissenschaftler und PhD-Student am Zentrum für Regenerative Medizin der Universität für Weiterbildung Krems und arbeitet als Arzt in der Abteilung für Orthopädie und Traumatologie am Landesklinikum Thermenregion Mödling.
CHRISTOPH STOTTER
Dr. Christoph Stotter, PhD ist Oberarzt an der Abteilung für Orthopädie und Traumatologie am Landesklinikum Baden-Mödling. Der Knie- und Knorpelspezialist war zuvor wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum für Regenerative Medizin der Universität für Weiterbildung Krems.
CHRISTOPH SALZLECHNER
Dr. Christoph Salzlechner, MSc ist Clinical Research Partner-Manager und Postdoctoral Scientist in Regenerative Medicine beim Wiener Startup-Unternehmen ImageBiopsy Lab, das gemeinsam mit der Universität für Weiterbildung Krems am KI-Einsatz forscht.
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