In Zeiten ständigen Wandels in der Wirtschaft ist Weiterbildung zunehmend schwerer planbar und kann nicht mehr auf klassischen Lehrgängen allein basieren. Trotzdem sollte sie nicht planlos erfolgen.

Von Sonja Bettel

Österreich liegt bei der Weiterbildung in Betrieben im europäischen Spitzenfeld: Laut einer Studie der Statistik Austria haben 88 Prozent der Unternehmen im Jahr 2015 ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Weiterbildung angeboten. Der EU-28-Durchschnitt betrug 73 Prozent. Von 2005 auf 2015 wurde eine Steigerung um 14 Prozentpunkte verzeichnet. Vor allem große Unternehmen mit 250 und mehr Beschäftigten legen großen Wert auf Weiterbildung, haben verantwortliche Personen oder Organisationseinheiten dafür und ein eigenes Budget. Nur 52 Prozent der befragten Unternehmen hatten hingegen angegeben, den Bedarf an Fähigkeiten und Kompetenzen der Belegschaft zu analysieren, davon hatte nur ein Drittel diese Analysen in der Unternehmensplanung verankert. Einen schriftlichen Bildungsplan erstellte nur rund ein Fünftel der befragten Unternehmen.

Diese Zahlen passen zu den Beobachtungen von Andreas Hartl, dem Leiter des WIFI Niederösterreich: „Das Bildungscontrolling ist wenig ausgeprägt. Ansätze gibt es, aber es ist ein großer Aufwand.“ Wichtiger wäre nach seiner Ansicht, das interne Know-how organisiert weiterzugeben und im direkten Gespräch zu klären, was die Mitarbeitenden brauchen, warum sie sich weiterbilden sollen und was es bringt.

Sandra Prandtner leitet das „Firmen Intern Training“ des WIFI Wien und erstellt und organisiert für (hauptsächlich) Klein- und Mittelbetriebe Weiterbildungsprogramme nach Maß, die zumeist für ein ganzes Jahr geplant werden. Ihre Erfahrung ist, dass die Unternehmen den Bedarf an Weiterbildung zum Beispiel aus den Mitarbeitergesprächen erheben. „Die Evaluierung der Seminare, Workshops und Impulsvorträge ist sehr wichtig“, sagt die Bildungsberaterin. Gefragt wird zum Beispiel nach der Kompetenz der Trainer oder der Gestaltung der Inhalte und der Brauchbarkeit für die berufliche Praxis.

Ob eine Weiterbildungsmaßnahme den erhofften Effekt für ein Unternehmen erzielt, ob sie also mehr Effizienz, mehr Gewinn, weniger Fehler oder höhere Kundenzufriedenheit bewirkt, lässt sich daraus aber nicht unbedingt ableiten. Noch schwieriger wird dies bei nonformalem Lernen, also Weiterbildung außerhalb von Kursen und Seminaren, oder informellem Lernen, also von Kollegen im Job. Gerade diese Formen des Lernens gewinnen jedoch immer mehr an Bedeutung.

Besser Häppchen als ein großes Menü

„Lernen auf Vorrat in standardisierten Präsenzkursen ist sehr zeitintensiv. Ob damit der angestrebte Kompetenzerwerb erfolgt, ist unsicher“, erklärt Irmgard Fallmann, die das Servicecenter für Digitales Lehren und Lernen an der Donau-Universität Krems leitet. Die betriebliche Weiterbildung sollte vor allem auf Formate setzen, die anwendungsorientiert und auf die Interessen der Mitarbeitenden abgestimmt sind. So können zum Beispiel Inhalte in kleinen Lernpaketen als Videotraining zum Selbstlernen angeboten werden. Durch die Unterstützung eines Coaches wird das Gelernte dann in der täglichen Arbeitspraxis gezielt angewandt. Lernangebote in Unternehmen werden also zunehmend kleinteiliger und individualisierter. Diese selbstgesteuerten digitalen Lernformen seien zwar schwieriger quantifizier- und planbar, der Lerneffekt sei aber häufig größer. „Wir wollen ja eine Verhaltensänderung erreichen, und das geht mit Ansätzen, die den Lernenden in den Mittelpunkt stellen, besser“, so Irmgard Fallmann.

Mikro-Fortbildung sei ein deutlicher Trend, konstatiert auch Volker Meyer-Guckel, stellvertretender Generalsekretär des Stifterverbandes für die deutsche Wissenschaft: „In den USA bieten zahlreiche Plattformen wie zum Beispiel LinkedIn solche ‚learning nuggets‘ an.“ Universitäten müssten aufpassen, dass sie angesichts solcher Trends nicht an Bedeutung verlieren, warnt er.

Der Stifterverband fördert deshalb die Entwicklung berufsbegleitender Qualifizierungsangebote an Universitäten. Sabine Remdisch vom Institut für Performance Management der Leuphana Universität Lüneburg hat dafür das Forschungsprojekt „Qualität und Transparenz in der Quartären Bildung“ durchgeführt. Das Projekt habe gezeigt, dass die Hochschulen solche Angebote entwickeln können, doch die Unternehmen wüssten oft nicht, wo sie in den nächsten Jahren hinmöchten, so Volker Meyer-Guckel. Planvolles Vorgehen bei der Qualifizierung erfolge meist nur für Führungskräfte. Auch werde nicht systematisch erfasst, wie die Ziele des Unternehmens und der Mitarbeitenden zusammenpassen. Sein Tipp: „Unternehmen sollten sich zuerst fragen, was ein Mitarbeiter, eine Mitarbeiterin nach einem Lernmodul anders machen sollte.“

„Mikro-Fortbildung ist ein deutlicher Trend. In den USA bieten zahlreiche Plattformen wie LinkedIn 'learning nuggets' an.“

Volker Meyer-Guckel

Diversität und Flexibilität fördern

Regina Aichinger, Leiterin des FH Oberösterreich Studienbetriebs, empfiehlt, mehr auf Diversität zu setzen: „Informelles Lernen ist in Unternehmen immer noch stark an Hierarchien gebunden. Wir müssen uns eine weitere Perspektive erschließen, indem wir Gruppen heterogen zusammensetzen.“ Lernen sollte auch im Dialog und durch Beobachten erfolgen, und nicht nur auf einen bestimmten Zweck hin. Damit seien Unternehmen besser auf eine komplexer werdende, nicht vorhersehbare Welt vorbereitet. Jemandem Verantwortung zu übergeben, ihn zu neuen Aufgaben anzuregen, Fehler als Lerninvestition zu betrachten und ihr oder ihm im wahrsten Sinne des Wortes etwas zuzumuten, sei ebenfalls sehr wichtig.

Sie selbst hat an der Fachhochschule Oberösterreich nach der Matura in der Administration begonnen. Angeregt durch die tägliche Arbeit, studierte sie Wirtschaftswissenschaften und stieg in die Hochschulforschung ein. Sie sei ein gutes Beispiel für einen unkonventionellen Werdegang, sagt Regina Aichinger freudig.

Weiterbildung nach dem Katalog spiele in Zeiten von Globalisierung, Informatisierung und schnellen Produktzyklen eine immer geringere Rolle, bestätigt Ulf-Daniel Ehlers, Professor für Bildungsmanagement und Lebenslanges Lernen an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg. In Branchen, die sehr unter dem Druck dieser Veränderungen stehen, seien nicht Wissen, sondern Kompetenzen und die Fähigkeit von Mitarbeitenden und Teams zur Selbstorganisation gefragt. Die 17 „Future Skills“, die Ulf-Daniel Ehlers im gleichnamigen Buch beschreibt, sind z. B. Lernkompetenz, Selbstbestimmtheit, Reflexion, Entscheidung, Design-Thinking, Kooperation oder Kommunikation. Aus den für das Buch geführten Interviews mit Unternehmen ist Ulf-Daniel Ehlers eine Aussage besonders in Erinnerung geblieben: „Wir müssen nicht verstehen, was unsere Mitarbeiter in Zukunft wissen müssen. Wichtig ist, dass sie zu guten Selbstlernern werden.“ Lernen gehöre zur Arbeit dazu, sagt Ehlers.

Die Firma Tele Haase, die in Wien-Liesing hochwertige Industrieelektronik entwickelt und produziert, hat sich deshalb die Lernchancen direkt ins Haus geholt. Als die Forschungsförderungsgesellschaft im Jahr 2017 eine Förderung für Innovationswerkstätten ausschrieb, griff das Traditionsunternehmen mit 60 Jahren Erfahrung zu und richtete mit dem „FactoryHub“ Arbeitsplätze für Startups ein, die nicht nur einen Schreibtisch, sondern auch die Maschinen für ihre Prototypen und Kleinserien mieten können. „Es gibt dadurch einen ständigen Austausch und ich glaube, dass wir infolgedessen offener und flexibler geworden sind“, sagt Andreas Bruckmüller von Tele Haase. Im Hardware-Bereich sei man es gewohnt gewesen, eher langfristig zu denken und die Produktion über Monate im Voraus zu planen. Nun sei bei Tele Haase agiles Arbeiten eingeführt worden, eine Methode aus der Softwareentwicklung. Die Start-ups tüfteln zwar monatelang, wollen dann aber binnen drei Tagen einen Bauteil herstellen können. „Dass wir diese Flexibilität ein bisschen von ihnen übernommen haben, ist für uns jetzt ein Wettbewerbsvorteil“, resümiert Andreas Bruckmüller. 

Unternehmen, die systematisch erfassen möchten, welche Kompetenzen ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben, welche sie brauchen und wer aus dem Unternehmen diese vermitteln kann, können sich beim Department für Weiterbildungsforschung und Bildungstechnologien der Donau-Universität Krems Hilfe holen. Die Bildungsexperten dort entwickeln Instrumente für das Bildungsmonitoring.


ANDREAS BRUCKMÜLLER
Andreas Bruckmüller ist Kreisverantwortlicher für „Produkte entwickeln“ beim Elektronikunternehmen Tele Haase Steuergeräte in Wien. Er ist seit 20 Jahren auf der Jagd nach der idealen Organisationsform für Menschen, die gemeinsam schöpferisch tätig sind.

IRMGARD FALLMANN
Mag. Mag.(FH) Irmgard Fallmann leitet das Servicecenter für Digitales Lehren und Lernen der Donau-Universität Krems. Die Wirtschaftspädagogin ist in der Weiterbildung von Lehrenden tätig.

VOLKER MEYER-GUCKEL
Dr. Volker Meyer-Guckel ist seit 2005 stellvertretender Generalsekretär des Stifterverbandes und leitet dort die Abteilung Programm & Förderung. Er war u. a. im Planungsstab des deutschen Bundespräsidenten Roman Herzog tätig. 

ULF-DANIEL EHLERS
Prof. Dr. habil. Ulf-Daniel Ehlers ist Professor für Bildungsmanagement
und Lebenslanges Lernen an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg in Karlsruhe, Autor zahlreicher Fachartikel und Bücher sowie Coach für achtsame Kommunikation.

REGINA AICHINGER
Prok. Dr. Regina Aichinger, MSc ist seit 22 Jahren im Hochschulbereich tätig, davon 16 Jahre als Mitglied der Hochschulleitung der FH Oberösterreich und Leiterin der Abteilung Hochschulforschung und -entwicklung.

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