Je schneller ein Schlaganfall behandelt wird, desto geringer das Risiko für Folgeschäden. In Österreich wurden in den vergangenen Jahren 39 Stroke Units eingerichtet. Diese speziellen Krankenhausabteilungen therapieren Schlaganfälle rasch, gezielt und interdisziplinär.
Von Sabine Fisch
Rund 24.000 Menschen erkranken in Österreich jedes Jahr an einem Schlaganfall. 85 Prozent der Betroffenen erleiden einen ischämischen, 15 Prozent einen hämorrhagischen Schlaganfall. Ein Schlaganfall, unabhängig von der Genese, stellt immer einen Notfall dar, der so schnell wie möglich versorgt werden muss. „Zeit ist Hirn“, sagen Experten und meinen damit, je schneller ein Schlaganfall lege artis therapiert wird, desto weniger Gehirnzellen sterben ab und desto eher überlebt der Betroffene seine Erkrankung ohne oder mit nur einem geringen Ausmaß an Behinderung.
Beim häufigsten Schlaganfall, dem ischämischen Insult, hat man etwa 4,5 Stunden Zeit, um das Blutgerinnsel im Gehirn aufzulösen und Langzeitschäden zu verhindern. „Das bedeutet aber nicht, dass man hier abwarten kann“, sagt Walter Struhal, Leiter der Abteilung für Neurologie am Universitätsklinikum Tulln. „Der Zeitraum von 4,5 Stunden bedeutet lediglich, dass danach eine Lyse, also die Auflösung des Thrombus, keinen Sinn mehr hat.“
Thrombolyse heißt der Schlüssel, mit dem die Folgen eines Schlaganfalls vermindert oder gar verhindert werden können. Je schneller diese Auflösung des Blutgerinnsels im Gehirn erfolgt, desto besser stehen die Chancen für den Patienten. „In Österreich bestehen 39 Stroke Units, die eine flächendeckende Versorgung unserer Schlaganfallpatientinnen und -patienten gewährleisten“, so Struhal weiter. Stroke Units sind spezialisierte Einrichtungen, in denen ein multiprofessionelles Team Patientinnen und Patienten versorgt.
Nach der Diagnose, in der Regel über ein bildgebendes Verfahren, erfolgt bei einem ischämischen Schlaganfall als erster therapeutischer Schritt die Thrombolyse. Dabei wird mit Hilfe eines Medikaments der Thrombus, der das Gehirngefäß verstopft, aufgelöst. „Wenn der Schlaganfall besonders schwer ist und/oder eine große Gehirnarterie verstopft ist, steht an zweiter Stelle die sogenannte Thrombektomie, mit der die verbliebenen Thrombusteile entfernt und so Folgeschäden minimiert werden“, erläutert Struhal.
Dabei wird – über die Leistenarterie – ein Katheter bis zum betroffenen Gehirngefäß geführt. „Im Anschluss wird an der erkrankten Stelle ein feines Netz ausgefahren, das die Thrombusreste einfängt, die dann abgesaugt werden können“, erklärt Struhal das Vorgehen bei einer Thrombektomie.
Erhöhter Blutdruck als Auslöser
Bei einem hämorrhagischen Schlaganfall ist meist der erhöhte Blutdruck der Auslöser. „Weitere Ursachen sind die Einnahme gerinnungshemmender Medikamente oder Gefäßmissbildungen“, berichtet Wilfried Lang, Leiter der Abteilung für Neurologie, neurologische Rehabilitation und Akutgeriatrie am Krankenhaus der Barmherzigen Brüder in Wien. In der Akutbehandlung wird sofort der meist deutlich erhöhte Blutdruck gesenkt. Bei Einnahme von Gerinnungshemmern als vermuteter Ursache des Schlaganfalls kann deren Wirkung teilweise aufgehoben werden. „Entweder werden fehlende Gerinnungsfaktoren durch Prothrombin-Komplex-Konzentrate ersetzt, oder es wird die Wirkung des Gerinnungshemmers durch ein Medikament antagonisiert“, so Lang weiter.
Besteht die Ursache der Blutung in einer Gefäßmissbildung, beispielsweise in einer Verdünnung und Auswölbung der Gefäßwand, was als Aneurysma bezeichnet wird, werden auch Operationen durchgeführt. Die Behandlung einer Gehirnblutung (eines hämorrhagischen Schlaganfalls) erfolgt ebenso primär an einer Stroke Unit. „Nicht jedes Krankenhaus mit einer Stroke Unit hat auch eine neurochirurgische Abteilung“, sagt Wilfried Lang. „Aber jede Stroke Unit unterhält enge Kooperationen mit nahegelegenen neurochirurgischen Einrichtungen.“
Beide Experten sind sich einig: „Jeder Schlaganfall ist ein Notfall, der so rasch wie möglich behandelt werden muss. Und jeder Patient mit einem Schlaganfall ist so schnell wie möglich auf eine Stroke Unit zu überführen.“ Denn die Stroke Unit ist nicht nur für die akute medikamentöse Therapie zuständig. Akutbehandlung bedeute auch die Verhinderung von Komplikationen bzw. die sofortige Einleitung der Frührehabilitation durch ein spezialisiertes, multiprofessionelles Team aus Pflege, Physio- und Ergotherapie, Logopädie und Medizin, fasst Wilfried Lang zusammen.
Je früher ein Schlaganfall erkannt wird und je rascher der Patient auf eine Stroke Unit überstellt wird, desto eher können Folgeschäden verhindert werden. „Dennoch nehmen Betroffene die Symptome oft immer noch nicht ernst und warten zu lange, bis sie die Rettung verständigen“, sagt Struhal. Dabei gibt es einen ganz simplen Test, mit dessen Hilfe auch von Laien sehr rasch abgeklärt werden kann, ob ein Schlaganfall vorliegt. Dieser Test wird als FAST-Test bezeichnet.
FAST steht für (laut Rotem Kreuz): Face (Gesicht) – fordern Sie den Patienten zum Lächeln auf. Hängt dabei ein Mundwinkel herunter, ist ein Schlaganfall wahrscheinlich. Arm – der Patient streckt beide Arme aus und dreht die Handflächen nach oben. Wenn ein Arm absinkt, unbeweglich bleibt oder die Handfläche sich wie von selbst wieder nach unten dreht, ist ein Schlaganfall wahrscheinlich. Sprache – bitten Sie den Patienten um die Aussprache eines einfachen Satzes. Bei Lallen, verschwommener oder verwaschener Aussprache ist ein Schlaganfall wahrscheinlich. Time (Zeit) – rufen Sie sofort die Rettung und fordern Sie die Einlieferung des Patienten auf eine Stroke Unit. |
Im Krankenhaus wird ein erweiterter Test angewendet, der in Österreich entwickelt wurde und derzeit evaluiert wird. Dieser wird als APSS-Score bezeichnet. APSS steht für Austrian Prehospital Stroke Scale. Mit diesem Test können insbesondere schwere Schlaganfälle exakter diagnostiziert werden.
Vorreiter Österreich
Neben der vorbildhaften Versorgung mit 39 Stroke Units ist die Versorgung nach einem Schlaganfall in Österreich vorbildlich. Pionier war das Landesklinikum Tulln, damals in Gugging angesiedelt, an dem auf Betreiben des Neurologen und Professors an der Donau-Universität Krems, Michael Brainin, die erste Stroke Unit eröffnet wurde. Heute sind diese über das gesamte Bundesgebiet verteilt. Weiterer herausragender Eckpfeiler: Das von Michael Brainin ins Leben gerufene Schlaganfallregister. „Neben Schweden weist Österreich damit das weltweit größte Schlaganfallregister auf“, berichtet Wilfried Lang. „Bislang wurden bereits 32 Publikationen mit den Daten aus dem Schlaganfallregister veröffentlicht.“ Das Schlaganfallregister ist im Gesundheitsministerium beheimatet, das die Gesundheit Österreich GmbH mit der Führung des Registers beauftragt hat. Die wissenschaftliche Zusammenarbeit fußt auf einem Vertrag zwischen der Österreichischen Schlaganfall-Gesellschaft, der Donau- Universität Krems sowie dem Österreichischen Bundesinstitut für Gesundheit.
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„Jeder Schlaganfall ist ein Notfall. Und jeder Patient mit einem Schlaganfall ist so schnell wie möglich auf eine Stroke Unit zu 'überführen'.“
Walter Struhal, Wilfried Lang
WILFRIED LANG
Univ.-Prof. Dr. Wilfried Lang ist Leiter der Abteilung für Neurologie, neurologische Rehabilitation und Akutgeriatrie am Krankenhaus der Barmherzigen Brüder in Wien. Lang studierte Medizin an der Universität Ulm und ist Mitglied der Österreichischen und Europäischen Schlaganfall-Gesellschaft.
WALTER STRUHAL
Prim. Assoc. Prof. PD Dr. Walter Struhal, FEAN, Leiter der Abteilung für Neurologie am Universitätsklinikum Tulln. Struhal ist in der World Federation of Neurology engagiert und fungiert als Co-Editor des WFN Journals „World Neurology“.
MICHAEL BRAININ
Univ.-Prof. Dr. Michael Brainin, Donau-Universität Krems, gilt als einer der Pioniere in der Etablierung der Stroke Units. Auf
seine Initiative wurden die erste Stroke Unit in Österreich am Landesklinikum Tulln sowie das Schlaganfallregister eingerichtet.
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