Buen Vivir ("gutes Leben") als gesellschaftliches und wirtschaftliches Paradigma

mit Dr. Josef Estermann, Luzern (Schweiz)

Termin: Donnerstag, 10. November 2022, 9.30 - 17.30 Uhr

Ort: Kardinal König-Haus, 1130 Wien-Lainz (U4 Hietzing, Straßenbahn 60 bis Jagdschlossgasse)

Thema

Teil der andinen philosophischen Weisheit ist die Ethik des „guten Lebens und Zusammenlebens“ (span. buen vivir y convivir, Quechua: sumak kawsay), die auf einem Gleichgewicht aller Dinge, der Menschen untereinander und im Verhältnis zur Natur beruht. Es handelt sich um ein gemeinschaftliches Weltbild – „gemeinschaftlich“ nicht bloß bezogen auf die soziale Ebene, sondern umfassend: Es geht in der andinen Philosophie und Welterfahrung um die Gemeinschaft des Sichtbaren (Ayllu) - der Menschen, der Pflanzen, Tiere, Flüsse, Berge, … – und des Unsichtbaren. Alles ist auf alles wechselseitig bezogen und miteinander verbunden.

Dieses Weltbild bildet eine grundlegende Alternative zum modernen westlichen Paradigma, das den einzelnen Menschen von den anderen Menschen isoliert, den Menschen als vom übrigen Gewebe des Lebens getrennt betrachtet und die Natur auf eine „Ressource“ und Instrument der menschlichen Aktivitäten reduziert.

In den letzten Jahren wurden Grundelemente der andinen Philosophie in die neuen Verfassungen von Ecuador und Bolivien aufgenommen. Die ecuadorianische Verfassung von Montecristi (2008) beispielweise hat das Konzept des „Buen Vivir“ und die Rechte der Natur verankert.

Josef Estermann, einer der führenden Experten für die andine Philosophie, wird das indigene Konzept des „Buen Vivir“ im Zusammenhang der Weltsicht der Andenvölker vorstellen. Was ist seine Bedeutung als alternatives gesellschaftliches und wirtschaftliches Paradigma im Kontext der aktuellen Zivilisationskrise?

In einem zweiten Schritt wird überlegt: Wie kann das Konzept des Buen Vivir für unsere gegenwärtige Situation in Europa heruntergebrochen und konkret umgesetzt werden? Was sind die praktischen Konsequenzen für Arbeit, Wirtschaft, soziales Zusammenleben und die Beziehungen zur Natur? Im Gespräch mit Vertreterinnen und Vertretern von Wirtschaft, Politik, Städten, Gemeinden wird abschließend diskutiert, wie anschlussfähig das Konzept für sozial-ökologische Transformationsprozesse auf kommunaler Ebene in Österreich ist.


Programm

Referent

Dr. Josef Estermann: Philosoph und Theologe, war fast 20 Jahre in den Anden von Bolivien und Peru tätig. 1991-1998 Dozent für Philosophie am erzbischöflichen Seminar von Cusco (Peru); 1998-2004 Direktor des Missionswissenschaftlichen Instituts Missio in Aachen; 2004-2012 Dozent und Forscher am Instituto Superior Ecuménico Andino de Teología (ISEAT) in La Paz (Bolivien); 2012-2015 Direktor von “RomeroHaus” in Luzern (Schweiz); 2019-2021 Programmverantwortlicher von Comundo für Kenia, Sambia und Philippinen und zuständig für Grundlagen & Forschung.

Veröffentlichungen u.a.: Andine Philosophie: Interkulturelle Studie zur autochthonen andinen Weisheit (1999);La Filosofía Quechua“, in: Enrique Dussel et al. (eds.), El Pensamiento filosófico latinoamericano del Caribe y “Latino” (2009); Apu Taytayku: Religion und Theologie im andinen Kontext Südamerikas (2012); Warum der Süden unten ist: Interkulturelle Beiträge zu Dekolonialität und Vivir Bien (2019); Befreiungstheologie / Andine Theologie: Eine Anthologie (2021).

Podiumsdiskussion

Mag. Maria Maltschnig: Direktorin des Karl-Renner-Instituts. Studium Sozioökonomie in Wien, danach Tätigkeit in der Arbeiterkammer, im Finanzministerium, bei den Österreichischen Bundesbahnen und im Bundeskanzleramt. Inhaltliche Schwerpunkte: Wirtschaftspolitik, Internationale Politik, Demokratie und Parteien.

DI Martin Margulies: 57, Wirtschaftsmathematiker, seit 2001 als Landtagsabgeordneter und Gemeinderat für Grüne Wien tätig, Schwerpunkte: Budget- und Wirtschaftspolititk, Kontrolle

Dr. phil. Christian Moser-Sollmann: wissenschaftlicher Leiter der Politischen Akademie; verantwortlicher Redakteur des „Österreichischen Jahrbuches für Politik“. Forschungsgebiete: Politische Philosophie, Ideengeschichte, politische Kommunikation, Kulturtheorie. Aktuelle Publikation: Der unsichtbare Text, der erschöpfte Leser. Eine Methodenkritik der Inhaltsanalyse und eine Einführung in die Kunst des Schreibens und Lesens. Böhlau Verlag Wien,  2022.

Lukas Oberndorfer: Referent für Europarecht, Europaforschung und sozial-ökologischen Umbau in der Abteilung EU & Internationales der AK Wien. Derzeit arbeitet er vor allem zur Frage, wie sich die Vielfachkrise durch eine solidarische und demokratische Transformation (der europäischen Wirtschaftspolitik) lösen lässt.

Literatur

Acosta, Alberto: Buen vivir. Vom Recht auf ein gutes Leben. München: oekom, 2015.

Carreras, Fernán Gustavo Carreras: „Sumak kawsay. Ein Modell aus der Peripherie für die Welt”, in:  Klaus Krämer/ Klaus Vellguth (Hg.), Schöpfung. Miteinander leben im gemeinsamen Haus (Theologie der Einen Welt 11). Freiburg/ Basel/ Wien: Herder, 2017, 246-265

Estermann, Josef: “‘Gut Leben‘ als politische Utopie: Die andine Konzeption des ‚Guten Lebens‘ (suma qamaña/allin kawsay) und dessen Umsetzung im demokratischen Sozialismus Boliviens“, in: Fornet-Betancourt, Raúl (Hg.), Gutes Leben als humanisiertes Leben: Vorstellungen vom Guten Leben in den Kulturen und ihre Bedeutung für Politik und Gesellschaft heute. Aachen: Mainz-Verlag. 261-286. 2010.

Ders.: „Zivilisationskrise und das Gute Leben: Eine philosophische Kritik des kapitalistischen Modells aufgrund des andinen Allin Kawsay / Suma Qamaña“: Concordia. Revista Internacional de Filosofía Nr. 63 (2013), 19-48.

Ders.: “Rückwärts in die Zukunft: Das andine ‘Gute Leben’ und unsere Wohlstandsfalle”: Kultur und Politik: Zeitschrift für ökologische, soziale und wirtschaftliche Zusammenhänge. Bioforum Schweiz Nr. 2/15 (2015), 14-16.

Ders.: „Andine Philosophie als provozierende Alterität: Eine interkulturelle Kritik des abendländischen Andro- und Ethnozentrismus“, in: Estermann, Josef, Warum der Süden unten ist: Interkulturelle Beiträge zu Dekolonialität und Vivir Bien (Denktraditionen im Dialog: Studien zur Befreiung und Interkulturalität, 44). Aachen: Mainz-Verlag, 2019, 21-36.

Unterlagen

Kooperation

und das Zentrum Theologie Interkulturell und Studium der Religionen der Universität Salzburg


Folder

Organisatorische Informationen

Teilnahmegebühr

€ 90,00 inkl. Pausenverpflegung, ohne Mittagessen.

Ermäßigte Teilnahmegebühr für Studierende, Schüler, Lehrlinge € 65,00 auf Anfrage unter ernst.fuerlinger@donau-uni.ac.at.

Mittagessen (dreigängiges Mittagsbuffet) ist im Haus möglich. Bitte kaufen Sie an der Rezeption einen Essensbon um € 13,90.

Bitte beachten Sie die aktuell gültigen Corona-Bestimmungen.

 

Form des Seminars

Präsenzseminar

Videos

Information und Kontakt

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