Wie können Online-Spiele der Soziologie helfen, das Wesen der Menschen besser zu verstehen? In der ersten Veranstaltung gemeinsam mit dem Complexity Science Hub Vienna zeigte am 22. Jänner dessen Präsident, Univ.-Prof. Mag. DDr. Stefan Thurner, an der Donau-Universität Krems konkrete Anwendungsgebiete der Complexity Science und beantwortete unter anderem diese Frage.
Nach der Begrüßung und Vorstellung des Vortragenden durch Dekan Univ.-Prof. Mag. Dr. Gerald Steiner stellte Stefan Thurner den Complexity Science Hub Vienna (CSH) vor, dem die Donau-Universität Krems seit Kurzem angehört. Der CSH ist in ein internationales Netzwerk eingebunden, das unter anderem Forschende des Santa Fe Institute, der Arizona State University, des Complexity Institute der Nanyang Technological University Singapur und des Institute of Advances Studies Amsterdam zu interdisziplinären Projekten zusammenbringt.
Die Komplexitätswissenschaft verbindet hochmoderne Mathematik, Modellierung und Informatik mit Fragen der Medizin, Wirtschaft, Sozialwissenschaften oder Ökologie. Aufgaben, die noch vor kurzer Zeit unlösbar waren, lassen sich nun bearbeiten. So werden neue Wege zu einem tieferen Verständnis systemischer Risiken gefunden. Stefan Thurner erörterte anhand dreier Beispiele, wie Complexity Science mit der transformativen Kraft von Daten einen Beitrag zur Lösung großer Herausforderungen wie Migrationsbewegungen, Klimawandel oder Urbanisierung leisten kann.
Online-Spiele als Datenquelle für menschliche Interaktion
Um zwischenmenschliche Interaktionen besser zu verstehen und soziologische Grundannahmen zu testen, wurden Daten eines Massen-Mehrspieler-Online-Gemeinschaftsspiels ausgewertet. Bei diesem Spiel standen die SpielerInnen, insgesamt gab es knapp eine halbe Million, mit einander in Kontakt und trieben beispielsweise Handel. Ein Vorzug bei der Untersuchung dieses Spiels lag darin, dass alle relevanten Daten, was welche Figur wann mit wem macht, vorhanden waren. So konnte unter anderem eine „soziale Anziehungskraft“ von SpielerInnen quantifiziert und mathematisch beschrieben werden. Auch Theorien über die Geschlechterunterschiede bei Kommunikation und Gruppenbildung ließen sich überprüfen.
Modelle gegen Finanzkrisen
Beim Thema Hochfinanz wurden Modelle von Mexikos und Österreichs Finanzmärkten mit allen relevanten Stakeholder wie Banken, Fonds, Versicherungen und Regierungen sowie ihren Charakteristika wie Liquidität, Kapital, etc. erstellt. Diese Modelle analysierte man, um systemische Risiken zu erkennen und zu bewerten. Ein Systemrisiko kann das Fortbestehen eines ganzen Systems beeinträchtigen. Daraus wurde abgeleitet, dass dieses Risiko nicht von der Größe der Institution, sondern von seiner Position im Netzwerk, abhängt. Auch der zu erwartende systemische Verlust einer Volkswirtschaft ist zu jedem Zeitpunkt unter verschiedenen rechtlichen oder wirtschaftlichen Bedingungen kalkulierbar. Selbst auf Mikroebene lässt sich das systemische Risiko jeder einzelnen Transaktion berechnen. Diese Erkenntnisse könnten in ein risikominimierendes Steuersystem einfließen.
Medizinische Vorhersagen mittels Netzwerk-Untersuchungen
Im Bereich Medizin wurde unter anderem Diabetes hinsichtlich seiner Komorbidität, seiner häufigen Begleiterkrankungen, untersucht. So wurde ein Netzwerk der verschiedenen Krankheiten erstellt, bei dem jeder Knoten eine Krankheit darstellt und eine Verbindung zweier Krankheiten bedeutet, dass ein Mensch an beiden leidet. Starke Verbindungen zwischen Diabetes und bestimmten anderen Erkrankungen wurden deutlich. Dieses Komorbiditätsnetzwerk erlaubt Vorhersagen, wenn Geschlecht und Alter eines Menschen bekannt sind, welche medizinischen Probleme mit welcher Wahrscheinlichkeit zu erwarten sind. Durch Netzwerkanalysen lassen sich auch Aussagen treffen, ob Krankheiten von genetischer Disposition oder Umweltgiften ausgelöst werden.
Aufgaben des Complexity Science Hub Vienna
Mitte Oktober 2018 wurde die Donau-Universität Krems in den Complexity Science Hub Vienna aufgenommen. Dabei handelt es sich um ein Konsortium des Austrian Institute of Technology AIT, dem International Institute of Applied Systems Analysis IIASA, der Medizinischen Universität Wien, der Technischen Universitäten von Graz und Wien sowie der Wirtschaftsuniversität Wien. Der Complexity Science Hub Vienna will das Zentrum für Komplexitäts-wissenschaft in Europa werden. Ziel ist es, VisionärInnen ein kreatives Umfeld ohne bürokratische Zwänge zu bieten, um aus der Mainstream-Wissenschaft auszubrechen.
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