Im Zuge der COVID-19-Pandemie wurde, insbesondere bei der Impfdebatte, auch die Macht von Verschwörungstheorien deutlich. Welche Faktoren verstärken den Glauben an diese Trugbilder? Diesen Themenkomplex analysierten Emilie Han und Eva Schernhammer von der Abteilung für Epidemiologie an der Medizinischen Universität Wien sowie Gerald Steiner und Lukas Zenk von der Universität für Weiterbildung Krems gemeinsam mit Kolleg_innen des Transatlantic Research Lab on Complex Societal Challenges anhand einer Studie in Deutschland, Österreich und der Schweiz.
Wachsende Verunsicherung, Fehlinformationen und mangelndes Vertrauen bildeten während der COVID-19-Pandemie eine Mischung, welche das Entstehen und die Verbreitung von Verschwörungstheorien begünstigte. Mit dem Aufkommen der ersten Vakzine gegen COVID-19 wuchs bei manchen Menschen auch Skepsis an ihnen und deren Produktion und Distribution in der Gesellschaft. Die Impfstoffthematik wurde von Verschwörungstheorien aufgegriffen, die falsche Geschichten von Mikrochips in den Impfdosen bis hin zu Zweifeln an der Existenz des Virus an sich erzählten, um zwei populäre Beispiele zu nennen. Die Bedeutung dieser Erzählungen als soziales Phänomen liegt neben der Verbreitung von Fehlinformationen auch in ihrer Gefahr für die Demokratie, da sie zu einer Erosion des Vertrauens in die Regierung und staatliche Einrichtungen führen können.
Faktoren für den Verschwörungsglauben
Die Analyse der Stichprobe von über 3.000 erwachsenen Einwohner_innen der D-A-CH-Region berücksichtigte individuelle Persönlichkeitsmerkmale, umfeldspezifische Faktoren und Komplexitätsdenken. Unter Komplexitätsdenken wird die Fähigkeit verstanden, auch nicht-evidente Strukturen und Zusammenhänge in komplexen realen Systemen zu erkennen, sowie die damit in Verbindung stehenden Anpassungsfähigkeiten und selbst-entstehenden Eigenschaften. Die Studie verfolgte drei Forschungsfragen: Welche Faktoren stehen im Zusammenhang mit dem Verschwörungsglauben während der COVID-19-Pandemie? Welcher Zusammenhang besteht zwischen Bildung und sozioökonomischen Faktoren und dem Glauben an pandemiebezogene Verschwörungstheorien? Und schließlich: Können Komplexitätsdenken und bestimmte Persönlichkeitsmerkmale als „Schutzfaktoren“ gegen Verschwörungsvorstellungen identifiziert werden? Mittels Regressionsmodellen konnten so Zusammenhänge in den Datensätzen der Befragten nachgewiesen werden.
Zusammenhänge mit Komplexitätsdenken
So zeigte sich, dass vor allem höhere Werte von Komplexitätsdenken, aber auch höherem Bildungsgrad oder höherem Haushaltseinkommen mit einem niedrigeren Wert an Verschwörungsglauben zusammenhängen. Bei fast allen Erhebungselementen waren die Werte bei Komplexitätsdenken umgekehrt zu jenen des Verschwörungsglaubens. Zu den wenigen Ausnahmen gehörten das Alleinleben, die Tatsache, dass man nicht verheiratet bzw. in einer Partnerschaft ist, und die Tatsache, dass man keine chronische Krankheit hat: Diese Eigenschaften waren bei den Teilnehmer_innen im höchsten Bereich bei Komplexitätsdenken und Verschwörungsglauben häufiger.
Wer eher an Verschwörungen glaubt
Der Impfstatus der Teilnehmer_innen bzw. jener deren engen Kontakte war am stärksten mit einer erhöhten Wahrscheinlichkeit des Glaubens an Verschwörungen assoziiert. Teilnehmer_innen, die angaben, dass weder sie selbst noch ihre engen Kontaktpersonen geimpft waren, hatten eine zehnmal höhere Wahrscheinlichkeit, einen hohen Wert bei Verschwörungsglauben zu erzielen, als geimpfte Teilnehmer_innen. Ein weiterer Zusammenhang zeigte sich bei regelmäßigen Besucher_innen religiöser Zusammenkünfte. Ihre Werte bei Verschwörungsglauben waren sechsmal so wahrscheinlich im hohen Bereich. Auch bei Nichtwähler_innen bzw. Studienteilnehmer_innen, die zuletzt eine Oppositionspartei gewählt haben, wurde eine größere Wahrscheinlichkeit für höhere Verschwörungsglaubenswerte nachgewiesen, im Vergleich zu Personen die eine der gegewärtig regierenden Parteien gewählt hatten. Hohe Extrovertiertheit ging auch mit erhöhten Werten bei Verschwörungsglauben einher.
Andere Faktoren, die vor Verschwörungsglauben schützen
Hohe Werte bei Vertrauen und Optimismus gingen ebenso einher mit niedrigen Werten bei Verschwörungsglauben. Das Vorhandensein einer größeren Anzahl von engen Kontaktpersonen scheint bei den Befragten ebenso mit einem geringeren Verschwörungsglaubenswert zu korrelieren.
Rolle der Bildung
In den Umfragedaten wurde in verschiedenen Untergruppenanalysen ein umgekehrter Zusammenhang zwischen Bildungsniveau und Verschwörungsglauben festgestellt. So zeigte sich, dass bei Teilnehmer_innen mit Studienabschluss es um 33 Prozent unwahrscheinlicher war, dass sie einen hohen Wert bei Verschwörungsglauben aufwiesen, als bei Menschen mit Mittelschulausbildung. Dies war nur bei Männern, nicht bei Frauen feststellbar; und auch nur in Österreich und der Schweiz, nicht aber in Deutschland.
Bildung ist ein wichtiger Faktor, der die kognitive Kapazität für Komplexität erhöhen kann, indem Menschen lernen, analytisch zu denken und die Nuancen verschiedener komplexer Situationen erkennen, anstatt sie zu vereinfachen. Menschen in einer engen, abgeschlossenen Blase, in der ihre eigenen Meinungen gegenseitig verstärkt werden, neigen eher zu Verschwörungstheorien, da sie den wissenschaftlichen Diskurs nicht verstehen und das Vertrauen in die Empfehlungen des Mainstreams verlieren. Ein Fokus auf die Weiterbildung von komplexen Denken kann daher eine wertvolle langfristige Strategie zur Verringerung der Neigung zu Verschwörungsglauben darstellen. In dieser Hinsicht sind Studien mit einer detaillierteren Bewertung der Bildung und validierten Skalen für komplexes Denken erforderlich.
Zur Studie
Die Daten wurden zwischen Juli und August 2021 im Rahmen einer Online-Umfrage unter 3.067 Erwachsenen erhoben, die nach Alter, Geschlecht und Wohnort in eine Quotenstichprobe erfasst wurden. Die Teilnehmer_innen waren zwischen 18 und 90 Jahren alt, deutschsprachig und in Deutschland, Österreich oder der Schweiz wohnhaft. Der Fragebogen, erstellt von Mitgliedern des Forschungsteams, umfasste 74 Fragen zu Lebensstil, Gesundheit und COVID-19 bezogenen Maßnahmen und Verhaltensweisen.
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