Ein Kommentar von Heinz Faßmann
Die Demographie ist eindeutig: Österreich ohne Zuwanderung hätte in Zukunft – so die aktuelle Prognose von Statistik Austria – zwar nur geringfügig weniger Einwohner, aber deutlich weniger im erwerbsfähigen Alter (15 bis 60 Jahre). Die Zahl der Geburten würde weiter stark fallen, die Zahl der Sterbefälle jedoch zunehmen, die gegenläufigen Tendenzen verstärken sich langfristig. Der Geburtenrückgang setzt sich fort und die Baby-Boom Jahrgänge durchwandern die Altersstruktur. Sie hinterlassen dabei deutliche Lücken auf dem Arbeitsmarkt und sie fordern das Gesundheits-, Pflege- und Pensionssystem massiv heraus. Österreich sucht derzeit bereits Fachkräfte für die Industrie und das Gewerbe, für den Gesundheitsbereich, für das Bildungssystem und für viele andere Branchen auch. Ohne Zuwanderung wird es nicht gehen und dennoch wird Zuwanderung politisch verdrängt und nicht gestaltet.
Auf die Gestaltung kommt es aber an und auf die Differenzierung. Häufig wird übersehen, dass die Zuwanderung auch eine Folge der gelungenen Integration Österreichs in den europäischen Binnenmarkt ist. Die Majorität der Zuwanderung – immerhin 85.000 von 136.000 (2020) – kam aus Österreichs Nachbarstaaten. Die Zugewanderten bleiben, solange sie erwerbstätig sind, studieren oder ihnen der Alterswohnsitz zusagt. Sie wandern auch wieder zurück. Diese Rückwanderung von EU-Bürgerinnen und -Bürgern betrifft auch Österreich mit umgekehrtem Vorzeichen. Immerhin 15.000 Zugewanderte des Jahres 2020 waren österreichische Staatsangehörige, die nach ihrem Studium im Ausland oder nach den ersten Berufsetappen oder aus welchen Gründen auch immer nach Österreich zurückkehrten.
Wer Zuwanderung ablehnt, meint andere Gruppen, nämlich Asylwerbende und den Familiennachzug aus Drittstaaten. Beides zusammen machte 2020 rund 25.000 Personen aus. Die Politik bewegt sich dabei in einem Spannungsverhältnis. Asyl und Familiennachzug sind menschenrechtlich abgesichert, deren Integration ist aber alles andere als einfach. Da hilft kein wohlmeinender Optimismus. Von 100 in Österreich lebenden Personen aus Afghanistan, Syrien oder dem Irak im erwerbsfähigen Alter waren 2020 nur 35 erwerbstätig, bei der Gesamtbevölkerung waren es 72. Umgekehrt waren 42 Prozent der Personen aus Afghanistan, Syrien oder dem Irak arbeitslos, in der Gesamtbevölkerung nur 10 Prozent (vgl. Migration & Integration 2021, S. 55)
Die hier nur angedeuteten Befunde sind eindeutig. Österreich braucht Zuwanderung, aber eine, die auch in Österreich benötigt wird. Dass menschenrechtliche Verpflichtungen wahrzunehmen sind, bleibt unbenommen, nur die funktionelle Verwechslung sollte unterbleiben. Asylzuwanderung ist nicht Arbeitsmigration. Wir brauchen klare Regeln und noch mehr Anstrengungen, um eine qualifikationsorientierte und im Inland benötigte Zuwanderung zu steuern und eine Flüchtlingspolitik, die sich tatsächlich auf die Schutzbedürftigen konzentriert.
HEINZ FASSMANN
Dr. Heinz Faßmann (*1955 in Düsseldorf), Universitätsprofessor (i. R.) für Angewandte Geographie, Raumforschung und Raumordnung an der Universität Wien und Bundesminister (a. D.) für Bildung, Wissenschaft und Forschung. Forschungsschwerpunkte: Demographie, Raumordnung, Migration und Integration
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