Geht es um Bedingungen gelungener Integration, wird vor allem auf den großstädtischen Bereich verwiesen. Doch wie sieht es mit der Eingliederung von Geflüchteten in ländlichen Regionen und kleineren Städten aus?

Von Valentine Auer

Es war der sogenannte „Sommer der Migration“ im Jahr 2015, der dazu führte, dass sich viele kleine Gemeinden in Österreich mit dem Thema Integration auseinandersetzen mussten. Europaweit verteilten Regierungen Menschen, die um Asyl ansuchten, auf das ganze Land und so auch außerhalb der großen Städte. Es entstanden zahlreiche Initiativen, die versuchten, diese Menschen zu unterstützen, Zivilgesellschaft und Solidarität blühten auf, genauso wie die politische Mobilisierung gegen Migrant_innen.

Und auch die Zahl der Forschungsprojekte, die sich mit dem Thema Integration auseinandersetzen, wächst seitdem. Viele Wissenschafter_innen untersuchen Integrationsprozesse innerhalb größerer Städte. Weniger im Fokus liegen kleinere Gemeinden oder ländliche Regionen. Das länderübergreifende Projekt Whole-COMM soll das ändern. In neun europäischen Staaten sowie in Kanada werfen Forschungsteams im Rahmen dieses Projektes einen Blick auf die Integration im Kleinen – konkret: auf kleine bis mittelgroße Städte sowie auf ländliche Regionen. Im Fokus stehen dabei Menschen, die seit 2015 nach Europa flüchteten.

„Im Projekt Whole-COMM wollen wir die Integration von Migrantinnen und Migranten nicht nur anhand ihrer Leistungen auf dem Arbeitsmarkt oder anderer traditioneller Indikatoren bewerten, sondern erfahren, wie sie ihren Integrationsweg und ihre Lebensqualität in der Aufnahmegesellschaft wahrnehmen“, fasst die wissenschaftliche Leiterin Tiziana Caponio das Projekt zusammen. Tiefgehende soziale Beziehungen sowie eine gute Lebensqualität sind für Caponio zentrale Elemente erfolgreicher Integration. Doch dafür müssen in einem ersten Schritt Grundbedürfnisse sichergestellt werden.

Dazu zählt zum Beispiel Wohnraum. In manchen Regionen Mangelware und laut Isabella Skrivanek ein zentrales Hindernis für Integrationsprozesse. Skrivanek setzt sich im Rahmen von Whole-COMM mit Integrationserfahrungen in Tirol und Niederösterreich auseinander: „Vor allem in Tirol wird uns wiederholt berichtet, dass das Angebot leistbarer Mietwohnungen sehr begrenzt ist.“ Geförderte Wohnungen sind wie in den meisten Bundesländern oft mit einer Mindestaufenthaltsdauer oder mit einer EU-Staatsbürgerschaft verbunden und so für Geflüchtete nicht sofort zugänglich. Der private Sektor hingegen ist kaum leistbar.

Fehlt Wohnraum, gestaltet sich das Ankommen entsprechend schwierig. Mehr noch: Die Menschen ziehen wieder weg. Ein Trend, den Albert Kraler – ebenso Teil des österreichischen Forschungsteams – in Tirol genauso wie in Niederösterreich beobachtet: Nur noch wenige der Geflüchteten, die 2015 in den kleineren Ortschaften untergebracht wurden, leben heute noch dort. „Aus der Forschung kennen wir mehrere Faktoren, wieso Geflüchtete weiterziehen. Dass man zugewiesen wird und nicht freiwillig an diesem Ort lebt, ist so ein Faktor. Aber auch die Anziehungskraft von Netzwerken und das Vorhandensein migrantischer Communitys in den größeren Städten“, so Kraler.

Soziale Beziehungen prägen Integration

Schlechte Bedingungen also für gelungene Integration am Land? Ganz so einfach ist es laut den Expert_innen nicht. Birgit Glorius beschäftigte sich bereits im Rahmen unterschiedlicher Projekte mit diesem Thema. Sie erinnert sich an einen Interviewpartner, der von „Integration als Haustürgeschäft“ sprach: „Sucht man einen Ausbildungsplatz für die Kinder, benötigt es am Land nicht unbedingt vermittelnde Institutionen. Stattdessen klingelt man bei den Nachbarn oder fragt den Vereinskumpel, der einen Handwerksbetrieb hat. Nachbarn oder Ehrenamtliche kompensieren oft auch die fehlende öffentliche Verkehrsanbindung. Sie fahren die Kinder zum Fußballtraining oder die Mutter zum Arzt“, illustriert Glorius, die am Projekt Whole-COMM mitarbeitet. Statt auf staatliche Institutionen oder NGOs, wird in ländlichen Gebieten stärker auf gegenseitige Unterstützung gesetzt: Nachbarschaftshilfe, Gefälligkeiten, die im lokalen Sportoder Theaterverein verhandelt werden, ein kurzer Tratsch am Gartenzaun – „Haustürgeschäft“ eben.

 

„Da ich Integration als Teilhabe an der Gesellschaft verstehe, existieren am Land also prinzipiell gute Voraussetzungen für einen erfolgreichen Integrationsprozess.“

Albert Kraler

Diese Art der gegenseitigen Hilfe prägt die Verfasstheit zwischenmenschlicher Beziehungen und Integrationsprozesse, erklärt Kraler: „Die Verbindungen, die Menschen zueinander haben, sind zentrales Element für Gesellschaftlichkeit und Integration. Urbane Räume sind meist von einer Vielzahl von schwachen Verbindungen geprägt. In ruralen Regionen gibt es zwar weniger Beziehungen, dafür aber tiefergehende. Da ich Integration als Teilhabe an der Gesellschaft verstehe, existieren am Land also prinzipiell gute Voraussetzungen für einen erfolgreichen Integrationsprozess.“

Prinzipiell. Denn die Nähe zu Nachbar_innen und zur Dorfgemeinschaft kann Integration auch negativ beeinflussen. Einerseits könnten sich Abhängigkeitsverhältnisse entwickeln, selbstständiges Handeln wird so erschwert. Andererseits kommt eine Art soziale Kontrolle dazu: Wurde der Müll rechtzeitig auf die Straße gebracht? Ist der Balkon ordentlich aufgeräumt? Wie sieht es im Garten aus? Fragen, die nahezu banal scheinen. Aus Interviews mit Migrant_innen weiß Glorius jedoch, dass ebensolche Bewertungen die Betroffenen stark belasten können: „Unsere Gesprächspartner erzählen uns, dass sie das Gefühl haben, unter ständiger Beobachtung zu stehen. Das ist eine rassistische Kategorie. Das Verhalten von Menschen, die als ‚anders‘ identifiziert werden, wird permanent bewertet.“

Individuelle Integrationspolitiken

Eine ähnliche Ambivalenz zeigt sich bei der Frage, wie Integrationspolitiken in ländlichen Regionen gestaltet werden. Denn wie jene Menschen, mit denen man – oftmals gezwungenermaßen – den Alltag verbringt, können auch Bürgermeister_innen und andere politische Verantwortliche unterstützend wirken, aber auch hinderlich. Parteizugehörigkeit tritt dabei oftmals in den Hintergrund. „Da in Großstädten das Netz der Personen und Einrichtungen, die sich mit Migrationsfragen befassen, viel breiter als am Land ist, spielt das Individuum politischer Verantwortlicher am Land eine größere Rolle“, erklärt Caponio.

Natürlich gibt es diesbezüglich auch parteipolitische Grenzen, in Deutschland, wie in Österreich. Kraler betont, dass das Projektteam in der Forschung zur kommunalen Integrationspolitik noch am Anfang steht. Ein erster Gegensatz zwischen Tirol und Niederösterreich zeige sich dennoch: „In Tirol gibt es relativ langjährig etablierte Strukturen auf Landesebene. Die Zivilgesellschaft und NGOs werden von der Politik eingebunden. Anders sieht es in Niederösterreich aus. Dort wird Integration vom zuständigen Landesrat vor allem aus einer problemorientierten Perspektive besprochen.“ Ein zentraler Unterschied zwischen den beiden Bundesländern infolge der Kompetenzzuordnung der Integrations-Agenden. Ob und wie dadurch Integration auf Gemeindeebene beeinflusst wird, ist noch unklar und wird Gegenstand weiterer Forschung sein.

Klar ist, dass sich das Gegensatzpaar Land – Stadt in puncto Integration nicht bilden lässt. Zu viele Faktoren beeinflussen die Eingliederung von Geflüchteten. Darin sind sich die Expert_innen einig. Zugänge zu einem menschenwürdigen Leben und Möglichkeiten für gesellschaftliche Teilhabe benötigt es in der Stadt genauso wie am Land. „Lebenssituationen sind unterschiedlich“, fasst Skrivanek abschließend zusammen, „je nach individueller Situation können sowohl das städtische als auch das ländliche Umfeld Lebenschancen und Etablierungsmöglichkeiten bieten. Die Frage ist, ob die Teilhabechancen ermöglicht und entsprechende Zugänge geschaffen werden.“


ISABELLA SKRIVANEK 
Mag.a Mag.a Isabella Skrivanek ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Department für Migration und Globalisierung an der Universität für Weiterbildung Krems. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen u.a. im Bereich Arbeitsmigration, Sozial- und Integrationspolitik. Dazu schreibt sie auch ihre Dissertation (Arbeitstitel „Refugees and their impact on integration and welfare systems. Lessons from Austria”).

ALBERT KRALER
Mag. Dr. Albert Kraler ist Assistenzprofessor am Department für Migration und Globalisierung an der Universität für Weiterbildung Krems. In seiner Forschung beschäftigt er sich u. a. mit Migrationspolitik, Staatlichkeit und Fluchtmigration. Siehe auch Forscher_innenportrait.

BIRGIT GLORIUS
Prof.in Dr.in Birgit Glorius ist Professorin für Humangeographie mit dem Schwerpunkt Europäische Migrationsforschung an der TU Chemnitz. Sie beschäftigt sich mit Fragen der Regionalentwicklung sowie mit Themen der Migrationsforschung.

TIZIANA CAPONIO 
Tiziana Caponio hält einen PhD in Politikwissenschaft und ist außerordentliche Professorin an der Universität Turin sowie Marie-Curie-Forschungsstipendiatin am Migration Policy Institute. Sie arbeitet zu den Themen Migrationspolitik und Politikgestaltung.

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