Astrid Deixler-Hübner, Expertin für Familien- und Zivilverfahrensrecht und die Rechtsanwältin, Wirtschaftsmediatorin und Vortragende Marie-Agnes Arlt im Gespräch über die Familie vor dem Hintergrund ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit und als Objekt rechtlicher Regelungen.

Interview: Sabine Mezler-Andelberg


Upgrade: In Österreich gibt es fast 3000 Privatstiftungen, zwei Drittel davon mit direkten oder indirekten Beteiligungen an Unternehmen. Welche Auswirkungen hat das auf die Volkswirtschaft?

Marie-Agnes Arlt: Anfang der 90er Jahre war die Idee hinter der Schaffung der Privatstiftung ja, Vermögen tendenziell in Österreich zu halten, unter anderem durch Steuer- und Transparenzprivilegien, auch wenn vor allem erstere später wieder verloren gingen. Das hat auch ausländisches Kapital angezogen. Man schätzt, dass zwischen 50 und 100 Milliarden Euro an Werten in Privatstiftungen „geparkt“ ist – unter gewissen Voraussetzungen geschützt vor Gläubigern, aber auch Erben, die darauf keinen unmittelbaren Zugriff mehr haben.

Astrid Deixler-Hübner: Die Unternehmen haben natürlich den Vorteil, dass das Vermögen nicht zersplittert. Eine jüngere Studie hat aber auch gerade wieder gezeigt, dass die von Privatstiftungen gehaltenen Familienunternehmungen sehr innovativ sind und nicht so leicht übernommen werden wie andere.


Wie sieht der Alltag in der juristischen Betreuung dieser „Private Clients“ in der Praxis aus?

Arlt: Die Fragestellungen unterscheiden sich grundsätzlich danach, ob die Stifter noch leben. In der ersten Phase geht es vor allem darum, festzulegen, wie man die Urkunden so gestaltet, dass die Begünstigten sowie das Stiftungsvermögen geschützt sind und es noch Handlungsspielraum für den Stiftungsvorstand gibt. In dieser Phase ist die Geschäftsgebarung oftmals weniger „haftungsgetrieben“, weil die Stifterfamilie Änderungen vornehmen kann. Die Streitigkeiten oder Fragestellungen sind daher andere als nach dem Ablegen der Stifter.

Dann ändert sich vielfach die Situation, es geht oft um Diskussionen zwischen dem Stiftungsvorstand und den Begünstigten. Der Stiftungsvorstand ist oft aus Rechtsanwälten und Wirtschaftsprüfern zusammengesetzt, die eher konservativ agieren, die Haftungsprävention vor Augen haben und weniger den unternehmerischen Gedanken. Das ist vor allem dann ein ganz wesentlicher Aspekt, wenn die Privatstiftung an der Spitze eines Konzerns steht.

Bei den Begünstigten untereinander geht es vielfach darum, wie sich ein Interessensausgleich finden lässt, wenn etwa ein Familienstamm nicht mehr im Unternehmen tätig ist oder es Streitigkeiten zwischen den verschiedenen Familienstämmen gibt.


Welches zusätzliche Fachwissen – zum Beispiel im Bereich der Nachfolgeplanung und Vermögensstrukturierung - ist notwendig, um dieses anspruchsvolle Klientel zufrieden stellen zu können?

Deixler-Hübner: In diesem Bereich kann man natürlich nicht nach Schema F vorgehen, da braucht jede Situation eine eigene Lösung, für die Finanz- und juristisches Wissen verschränkt werden müssen. Hier muss man von anderen Strukturen ausgehen, müssen Konzepte entwickelt werden, die auch Themen wie das Bankenrecht, die Veranlagungs- und Vermögensstrukturierung beinhalten; außerdem natürlich entsprechende Aspekte des Gesellschafts-, Familien-, Erb- und Privatstiftungsrechts.

Arlt: In den Lehrgängen setzen wir deshalb auch Schwerpunkte wie Nachfolgeplanung, Haftungsrecht und Aufsichtsratstätigkeiten, bringen betriebswirtschaftliche und strategische Aspekte sowie das Thema Konfliktmanagement.


Familie ist immer ein hochemotionales Thema. Welche Kompetenzen braucht es da über das juristische Fachwissen hinaus, um in einem solchen Umfeld erfolgreich arbeiten zu können?

Deixler-Hübner: Private clients sind in der Regel ganz spezielle Familien, häufig mit viel Tradition und Vermögen. Da ist Fingerspitzengefühl und Verschwiegenheit oft fast noch wichtiger, als ein beinharter Jurist zu sein.

Arlt: Manches hat dabei fast gar nichts mit juristischen Themen zu tun, sondern mit Empathie und Menschenverstand. Vor allem dann, wenn eine emotionale Bindung vorhanden ist – nicht nur bei Familien, sondern auch bei Freunden, die Geschäftspartner sind – und man zu streiten beginnt. Dafür ist eine Mediationsausbildung sehr hilfreich, weil man lernt, durch Fragetechniken hinter die vordergründigen Konflikte zu schauen, die oft gar nicht das eigentliche Thema sind.

Wenn ich die dahinterliegenden Emotionen erkennen, adressieren und aufnehmen kann, trägt das oft sehr zur Lösungsfindung durch die Familie selbst bei. Dafür braucht es die Kombination aus juristischer Neutralität, Empathie und der Kommunikation mit dem Mandanten. Wobei man oft auch selbst getriggert wird, weshalb Selbstreflektion sehr wichtig ist.

Außerdem ist es essenziell herauszufinden, hinter welchen Werten die Familie steht, was man durch die Errichtung einer Familien- oder Werteverfassung erreichen kann.


Wie sehen diese Verfassungen aus und was wird darin festgehalten?

Arlt: Sie sind sehr individuell. Bei manchen Familien werden diese im Syndikatsvertrag festgehalten und regeln verschiedenste Aspekte, andere haben sie einfach nur zur Festschreibung der Prinzipien. Etwa zu Fragen wie: Wie gehen wir mit Mitarbeitern um, wie richten wir uns in Zukunft aus, welche Rolle spielt die Nachhaltigkeit, wie versorgen wir die Familie. Ein anderes großes Thema kann sein, wie man die Familienmitglieder dazu bringt, sich weiter mit dem Unternehmen zu identifizieren und nicht nur auf Dividenden zu schauen oder ihre Beteiligungen verkaufen wollen. Letzteres führt oft zu wichtigen Finanzierungsfragen.


Welchen Einfluss haben wirtschaftliche Verhältnisse beziehungsweise Bedarfslagen auf die Weiterentwicklung des Familienbegriffs?

Deixler-Hübner: Diese Begriffe sind bei Familienunternehmen oft verschränkt und bilden konzentrische Kreise, denn der Familienbergriff muss auch für das Unternehmen stimmig und tragbar sein. Weshalb in den Familienverfassungen immer öfter festgelegt wird, ob beispielsweise nur Blutsverwandtschaft zählt oder auch angeheiratete Familienmitglieder; wie Lösungen für Kinder gefunden werden, die sich nicht so sehr für die Unternehmensführung eignen. Es gibt natürlich auch noch alte Familienverfassungen - gerade bei traditionellen oder adeligen Familien - die eher patriarchalisch angelegt sind. Wobei es inzwischen laut dem OGH sittenwidrig ist, wenn nur männliche Nachfolger erlaubt sind.


Auch gesellschaftlich hat sich beim Begriff der Familie in den vergangenen Jahren viel weiterentwickelt: Welche neuen Herausforderungen bringt das für Jurist_innen mit sich, und wie können sie verantwortungsvoll darauf reagieren?

Deixler-Hübner: Grundsätzlich sind in diesem Bereich seit 2008/09 immer größere Fortschritte gemacht worden. Deshalb werden in dem neuen Certificate Program der Universität für Weiterbildung Krems neben dem klassischen Familienrecht mit den Bereichen Ehe- Partnerschafts- und Kindschaftsrecht auch Themen wie das Gewaltschutzrecht, psychologische Grundlagen und Mediation behandelt.

Arlt: Die Fragestellungen sind unterschiedlich. Bei unverheirateten Eltern, aber auch Kuckuckskindern oder Halbgeschwistern, die man nicht kennt, stellt sich beispielsweise oft die Frage, ob diese auch nachfolgen dürfen. Genau wie bei Adoptivkindern – hier regelt man oft auch, bis zu welchem Alter diese adoptiert worden sein müssen. Überspitzt formuliert: Damit nicht im hohen Alter ein „Fremder“ als Nachfolger durch Adoption bestimmt werden kann.

Sabine Mezler-Andelberg arbeitet für die Tageszeitung Die Presse.


ASTRID DEIXLER-HÜBNER
Univ.-Prof.in Dr.in Astrid Deixler-Hübner leitete bis 2023 das Institut für Europäisches und Österreichisches Zivilverfahrensrecht der Johannes Kepler Universität Linz. Die Vorstandsvorsitzende der Österreichischen Gesellschaft für Familien- und Vermögensrecht (ogfv) ist derzeit Gastprofessorin an der Universität für Weiterbildung Krems.

MARIE-AGNES ARLT
Dr.in Marie-Agnes Arlt, LL.M. (NYU) studierte Rechtswissenschaften an der Universität Wien, an der Université Paris II, Panthéon-Assas sowie an der New York University (LL.M., 2004). Sie ist Rechtsanwältin und Wirtschaftsmediatorin sowie (Mit-)Gründerin von a2o.legal und arlt.solutions. Ihr Schwerpunkt liegt in den Feldern Gesellschaftsrecht, M&A, Vorstands- und Aufsichtsratsberatung, Strategieberatung sowie Alternative Dispute Resolution.

Wissenswertes

NEUE WEITERBILDUNGSPROGRAMME

Vertiefendes Familienrecht sowie das Thema der Private Client Beratung sind Gegenstände zweier neuer einsemestriger Certificate Programs, die die Universität für Weiterbildung Krems im Wintersemester 24/25 startet. Univ.-Prof.in Dr.in Astrid Deixler-Hübner teilt sich die Studienleitung mit Univ.-Prof. Dr. Dr. Thomas Ratka, LL.M. Dr.in Marie-Agnes Arlt ist eine der hochkarätigen Vortragenden.

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