So unwiederbringlich und einzigartig es ist – das Schicksal des Natur- und Kulturerbes der Menschheit hängt davon ab, wie gut nationale Rechtsnormen es schützen. In Krisenzeiten beginnt sich diese Abhängigkeit für den Erhalt des Welterbes bitter zu rächen.
Von Johanna Maier
Das Verdikt der Österreichischen Welterbestätten-Konferenz am 8. Februar 2022 ist nüchtern und eindeutig: „(Wir) … betonen, dass sich die Überführung des völkerrechtlichen Übereinkommens in Österreichisches Bundesrecht ohne Erfüllungsvorbehalt infolge der Ratifizierung als weitgehend unzureichend für die Bewahrung des Welterbes in Österreich herausgestellt hat.“
Der offene Brief der Institutionen, die mit dem Management der insgesamt 12 Welterbestätten in Österreich betraut sind, war an den Bund, die Länder und die Gemeinden in Österreich gerichtet. Im Jubiläumsjahr der Welterbe-Konvention legte der Brief den Finger in ihre größte Wunde: Wie gut oder schlecht das Welterbe der Menschheit geschützt ist, hängt davon ab, wie gut oder schlecht die Vertragsstaaten es in ihrem Recht verankern. In einer Situation, in der das Welterbe durch Klimawandel, Krieg und den Druck von Finanzmärkten mehr und nicht weniger Schutz bräuchte, ist das zunehmend ein Problem: „Aus diesem Grund erschien es notwendig, mit einem offenen Brief zu Beginn des Welterbejahres die Bedeutung dieses Welterbes wieder in das Bewusstsein zu rufen und für das Thema zu sensibilisieren“, sagt Patrizia Jankovic, die Generalsekretärin der Österreichischen UNESCO-Kommission (ÖUK).
Für das Welterbe in Österreich ist 2022 das Jahr eines Doppel-Jubiläums – 1972 wurde die Welterbe-Konvention ins Leben gerufen, 1992 ratifizierte Österreich die Konvention. Ob Jubiläumsjahr oder nicht: Mehr als ein Appell kann der offene Brief nach derzeitiger Rechtslage nicht sein. „Kaum einer der 194 Vertragsstaaten hat eigene Gesetze zur Umsetzung der Welterbe-Konvention geschaffen. Auch Österreich nicht“, erklärt Ruth Pröckl, Welterbe-Koordinatorin im Bundeskanzleramt und Vorsitzende der Österreichischen Welterbestätten-Konferenz. Als die Republik Österreich 1992 die Welterbe-Konvention ratifizierte, tat sie dies ohne einen sogenannten „Erfüllungsvorbehalt“, das heißt, ohne zu definieren, auf welche Weise das Welterbe geschützt werden sollte, und ohne zu definieren, welchen Stellenwert die Bewahrung der Welterbestätten im nationalen Recht haben soll: „Man hat implizit angenommen, dass es nie zu Situationen kommen wird, die Österreich in die Nähe einer Streichung von der Liste des Weltkulturerbes bringen könnten“, so Pröckl.
Damit sind grundsätzlich, nicht nur in Österreich, zwei Stolperfallen verbunden: Erstens sieht der völkerrechtliche Vertrag der Konvention eine verpflichtende Verankerung im nationalen Recht nicht vor. Mit der Unterzeichnung erklären die Vertragsstaaten, das (mögliche) Welterbe zu erfassen, zu schützen und zu erhalten. Sie erklären sich darüber hinaus bereit, nicht nur das UNESCO-Welterbekomitee über den Zustand einer Welterbestätte und mögliche Bedrohungen zu informieren, sondern auch die allgemeine Öffentlichkeit.
Die zweite Stolperfalle: Das Welterbekomitee ist nicht in die Maßnahmen zum Schutz involviert – es überwacht lediglich den Erhaltungszustand. Aus den Berichtspflichten und der Kontrollfunktion des Komitees ergibt sich die weitgehende Sanktionslosigkeit bei Verstößen gegen das Vertragswerk: Die einzige Möglichkeit der Sanktion besteht in der Streichung einer Stätte von der Liste des Welterbes der Menschheit. Rechtsstreitigkeiten um den Schutz oder Erhalt des Welterbes spielen sich daher in der Regel vor den Verwaltungsgerichten ab. Der Fall der „Waldschlößchenbrücke“ über die Elbe bei Dresden, der es bis vor das deutsche Bundesverfassungsgericht schaffte, ist eine Ausnahme, die zeigt, wie lose die Bindungswirkung ist, die von der Konvention ausgeht. Das Bundesverfassungsgericht lehnte 2007 eine Befassung mit der Brücke im Elbtal mit dem Hinweis ab, „dass die Konvention keinen absoluten Schutz gegen jede Veränderung“ vorsieht. Letztlich wurde die Brücke gebaut und das Elbtal von der Liste des Welterbes der Menschheit gestrichen.
Bemühen reicht
Eben weil die Sanktionen (und auch die Gerichtsbarkeit dazu) fehlen, schrumpft die Verpflichtung auf eine „Bemühensverpflichtung“ zusammen, wie Ruth Pröckl meint, und so ist es auch in Artikel 5 der deutschsprachigen Fassung der Konvention festgehalten: „(Die Vertragsstaaten werden) …sich bemühen, nach Möglichkeit und im Rahmen der eigenen Gegebenheiten wirksame und tatkräftige Maßnahmen zu ergreifen, um den Schutz und Erhalt zu gewährleisten.“
Diese Tatsache wird oft auch als „Zahnlosigkeit“ der Konvention beschrieben. Diese Zahnlosigkeit birgt auch eine Chance. Patrizia Jankovic weist darauf hin, dass damit auch Veränderungen im Sinne einer Weiterentwicklung von Welterbestätten möglich sind: „‚Welterbestätte‘ heißt ja nicht, dass es keine Entwicklung geben darf“, meint sie. Allerdings: Die Unverbindlichkeit der Konvention stößt heute an ihre Grenzen. „Welterbestätten sind komplexe Gefüge und betreffen von den Bauordnungen über das Umweltrecht immer mehr Bereiche.“
Ebenso wie Österreich hat die Schweiz die Konvention ohne Erfüllungsvorbehalt ratifiziert. Mit einer Unterzeichnung 1975 gehört sie zu den 20 ersten Vertragsstaaten. „Wir haben kein explizites Welterberecht in unserer Gesetzgebung“, sagt Oliver Martin, Leiter der Sektion Baukultur des Bundesamtes für Kultur (BAK). Welterbestätten – die Schweiz hat 13 – werden seit den 2000er-Jahren automatisch bei ihrer Einschreibung in den sogenannten kantonalen Richtplan aufgenommen, ein Planungsinstrument für übergeordnete Planungen. Dort werden für jede konkrete Welterbestätte konkrete Schutzmaßnahmen definiert. Dies soll nun auch rückwirkend für früher eingeschriebene Welterbestätten passieren.
Neue Herausforderungen
Eine der größten Herausforderungen für den Schutz des baulichen Erbes, so Martin, entstehe heute mit dem Klimawandel, und zwar auf zweifache Weise: Das veränderte Klima bedroht zum einen die bauliche Substanz, Maßnahmen gegen den Klimawandel wiederum ihre Authentizität. Etwa dann, wenn Solaranlagen auf den falschen Dächern installiert werden. Es ist eine Gratwanderung: „Wir müssen Lösungen finden, die für alle tragfähig sind“, meint Martin. Eine Notwendigkeit, das Welterbe explizit rechtlich zu verankern, sieht er einstweilen nicht, da die Schweiz über etablierte Instrumente verfüge, Landschaften und Ortsbilder vor Überformung zu schützen.
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„Wir müssen uns die Unwiederbringlichkeit des Welterbes in Erinnerung rufen. Ein Welterbe ‚gehört‘ nicht einzelnen Staaten. Es ist über Zeit und Raum hinweg Eigentum aller Menschen.“
Bernd von Droste zu Hülshoff
„Es wäre klug, zumindest die wichtigsten Regelungen um einen Passus zum Schutz des Welterbes zu ergänzen“, meint hingegen Pröckl. In Österreich entstehen Konflikte um das Welterbe oft in Bezug auf das Baurecht. Das prominenteste Beispiel: die Wiener Innenstadt. Sie geriet unter anderem deshalb auf die „Danger List“ gefährdeter Güter, weil bestimmte Schutzfunktionen, die im Baurecht durchaus vorhanden waren, über die Jahre derart ausgehöhlt worden waren, dass das UNESCO Welterbekomitee die Bauordnung als Gefährdung für den Welterbestatus ansah und deren Nachschärfung zum Schutz desselben explizit forderte.
Ein kleingeistiges Denken entspricht nicht dem Gedanken des Welterbes. Bernd von Droste zu Hülshoff gehört zu den Gründungsdirektoren des UNESCO-Welterbezentrums. Die mittlerweile über 1.154 Welterbestätten weltweit seien ein großer, nicht zu unterschätzender Erfolg, meint er. Allerdings: Sofern die Aufnahme einer Stätte in die Liste des Welterbes der Menschheit lediglich als Auszeichnung oder Prädikat wahrgenommen werde, bleibe viel zu tun: „Wir müssen uns die Unwiederbringlichkeit dieses Erbes immer wieder in Erinnerung rufen. Ein Welterbe ‚gehört‘ nicht einzelnen Staaten. Es ist über Zeit und Raum hinweg Eigentum aller Menschen und muss für zukünftige Generationen bewahrt werden.“
Internationale Bindungen
Insgesamt fünf der zwölf Welterbestätten in Österreich sind transnational: der Natur- und Kulturraum Fertö-Neusiedler See, die prähistorischen Pfahlbauten rund um die Alpen, die Buchenwälder Europas und – seit 2021 – die Great Spa Towns of Europe und der Donaulimes. Allesamt transnationale Projekte, deren Bewahrung eine enge internationale Zusammenarbeit erfordert. Steht in den nationalen Gesetzgebungen nichts vom „Welterbe“, so eine Befürchtung, haben Staaten einen legislativen Rückzugsraum. Ob ein Konflikt mit nationalem Recht besteht oder nicht und ob dieses anzupassen ist, entscheiden sie auch bei transnationalen Gütern selbst. Gerät dabei ein Land in Konflikt mit der Welterbe-Konvention, zieht es die Partnerstaaten unweigerlich mit.
Vĕrá Kučová vom Nationalen Kulturerbe Institut der Tschechischen Republik sieht eine Chance in einer zentralen Zusammenfassung der Aufgaben: „In Tschechien haben wir ein umfassendes System, das auch von der Öffentlichkeit verstanden und mitgetragen werden kann.“ Tschechien hat 16 Welterbestätten und Kučová erinnert an die Rückkehr „nach Europa“, die die Welterbe-Konvention für Tschechien nach 1989 bedeutet habe. Tschechien hat die Konvention 1991 ratifiziert. Der größte Druck für die Welterbestätten Tschechiens – insbesondere für das historische Zentrum Prags – gehe derzeit von privaten Bauprojekten aus, meint Kučová, die die rechtliche Situation in Tschechien aber insgesamt als gut einschätzt. „Es geht immer darum, das Interesse der Allgemeinheit, der Menschheit, vor das Interesse Einzelner zu stellen.“
RUTH PRÖCKL
Mag.a Ruth Pröckl arbeitet für das Bundesministerium Kunst, Kultur, öffentlichen Dienst und Sport, Abteilung Denkmalschutz, Baukultur und Kunstrückgabeangelegenheiten. Sie fungiert derzeit als Vorsitzende der Österreichischen Welterbestättenkonferenz.
PATRIZIA JANKOVIC
Mag.a Patrizia Jankovic ist Generalsekretärin der Österreichischen UNESCO-Kommission. Davor war sie Mitarbeiterin im Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung.
OLIVER MARTIN
Dr. Oliver Martin ist Leiter der Sektion Heimatschutz und Denkmalpflege des Schweizerischen Bundesamtes für Kultur und zuständig für die Welterbestätten der Schweiz.
VĚRÁ KUČOVÁ
Ing. arch. Vĕrá Kučová leitet die Abteilung für Denkmäler mit internationalem Status am Tschechischen National Heritage Institute.
BERND VON DROSTE ZU HÜLSHOFF
Dr. Bernd Freiherr von Droste zu Hülshoff ist der Gründungsdirektor des UNESCO-Welterbezentrums, ehemals Beigeordneter Generaldirektor (ADG) der UNESCO und ein deutscher Forstwissenschaftler.
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