Als Schönbrunn 1996 zum UNESCO-Weltkulturerbe erklärt wurde, war die Sache noch relativ einfach. Mit der Zeit sind die schützenswerten Stätten in Österreich aber größer und komplexer geworden. Doch wie geht man in Städten und Regionen mit Wachstum, Veränderung und Stadtentwicklung um? Eine Analyse.
Von Wojciech Czaja
Es war mal hellgrau, mal zartrosa, mal hellgelb, doch erst 1775 unter Joseph II. bekam das bereits hundert Jahre zuvor errichtete Schloss sein prototypisches, bis heute weltbekanntes Schönbrunner Gelb verpasst. Die Entscheidung hatte in erster Linie wirtschaftliche Gründe: Der ockergelbe Ton war damals gerade en vogue, die Importware aus den französischen Ockersteinbrüchen jedoch sehr teuer, und so hatte das österreichische Kaiserhaus die glorreiche Idee, die böhmischen Ockergruben aus eigenem Besitz zu reaktivieren und alle Bauwerke des Staates Österreich und des Hauses Habsburg mit genau diesen Farbstoffen zu streichen: Villen, Stadthäuser, Schlösser, Kirchen, Bahnhöfe, Regierungsgebäude und Industriebauten.
Das ganze Land war Schönbrunn. Das Musterbeispiel für das physiokratische und merkantilistische Marketing-Talent des Josephinismus zeigt bis heute ein Dilemma des Denkmalschutzes und des Umgangs mit dem UNESCO-Weltkulturerbe: Was ist das Original? Was das öffentliche Bild? Und was der zu beschützende Zustand? Mit der denkmalgerechten Sanierung des Schlosses in den 1990er-Jahren und der Erhebung zum UNESCO-Weltkulturerbe 1996 wurde diese Frage eindeutig beantwortet. „Wir haben die Putz- und Farbschichten untersucht und mit Historiker_innen und Denkmalpfleger_innen lange über die Farbe diskutiert“, erinnert sich der für die damalige Sanierung zuständige Architekt Manfred Wehdorn. „Letztendlich haben wir uns dazu entschieden, nicht den Originalzustand, sondern den historisch überlieferten Zustand zu konservieren.“
Zeitgleich mit der Salzburger Altstadt war die Schlossanlage Schönbrunn die erste österreichische Stätte, die auf die UNESCO-Welterbeliste gesetzt wurde. „Aus historischer, baukultureller und denkmalpflegerischer Sicht hätten sich andere Objekte und Ensembles in Österreich mindestens genauso für eine Unterschutzstellung geeignet“, erklärt Peter Strasser, Experte für das Welterbe und Kulturgüterschutz an der Universität für Weiterbildung Krems. „Die wichtigste Aufgabe aber war, nachdem der Beitritt Österreichs zum Welterbe-Abkommen von 1972 aus verschiedenen Gründen 20 Jahre auf sich warten ließ, möglichst schnell ein möglichst bekanntes und möglichst wenig kontroversielles Objekt auf die Liste zu setzen, um rasch ein Zeichen der Zugehörigkeit zu setzen.“
Es wird komplexer
Das erklärt auch, warum die etwas komplexeren und geografisch umfangreicheren Kulturgüter wie etwa Graz, Wachau, Semmeringbahn oder die Kulturlandschaft Hallstatt-Dachstein-Salzkammergut erst später zum UNESCO-Weltkulturerbe erklärt wurden. „Und heute“, sagt Strasser, „ist die Situation noch viel komplexer, denn meist handelt es sich nicht nur um ein Objekt oder ein überschaubares Gebäude-Ensemble wie noch beim Schloss Schönbrunn, sondern um größere städtische Zusammenhänge und regionale, transnationale Kulturlandschaften.“ Die Europäischen Heilbäder beispielsweise umfassen elf Stätten in sieben Staaten, der Donaulimes erstreckt sich sogar über 77 verschiedene Stätten in drei Ländern.
In so einem größeren geografischen Raum gehe es nicht mehr um den Schutz jedes einzelnen Bauwerks, sondern um den Erhalt des außergewöhnlichen universellen Wertes, einer Art DNA jeder Welterbestätte. „In der Abwägung zwischen Bewahrung und Veränderung immer die richtige Balance zu finden“, so Strasser, „ist alles andere als einfach, denn auch wenn es sich dabei um ein geschütztes Kulturgut handelt, ist eine Kulturlandschaft dennoch permanenten Veränderungen unterworfen.“ Als relevante Einflussfaktoren nennt er Neubautätigkeiten, Bodenversiegelung, Zersiedelung, städtisches Wachstum und nicht zuletzt den Druck seitens Immobilienwirtschaft, Industrie und Gewerbe – aber auch weitere Einflüsse wie etwa Klimawandel, Energieressourcen und räumliche Flexibilität gegenüber neuen, modernen, zeitgenössischen Nutzungen.
Schutz des Fortbestands
„Es geht nicht um eine museale Wahrung, sondern um den Schutz einer fortbestehenden Kulturlandschaft“, erklärt Ingeborg Hödl, Welterbe-Managerin und Geschäftsführerin des Vereins Welterbegemeinden Wachau, dem insgesamt 15 Gemeinden angehören. „Die größte Herausforderung in diesem Wandel ist die Tatsache, dass Grund und Boden aufgrund der topografischen Gegebenheiten in der Wachau immer schon ein rares Gut war. Mit dem Druck der Wohnungswirtschaft, aber auch des Gewerbes, Einzelhandels und der Lebensmittelnahversorgung ist diese Herausforderung heute größer denn je, denn wir wollen weder Einwohner_innen noch ansässige Betriebe verlieren.“
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„Heute ist es komplexer: Welterbe ist nicht mehr nur ein Objekt wie noch beim Schloss Schönbrunn, sondern es handelt sich um größere städtische Zusammenhänge und Kulturlandschaften.“
Peter Strasser
Um die Zankäpfel zwischen Kultur und Bauwirtschaft ein wenig zu strukturieren, wurden die beiden Architekten Cristian Abrihan und Michael Kloos beauftragt, ein Leitbild zum Bauen im Welterbe Wachau zu erarbeiten. Die zweibändige, rund 300-seitige Publikation wird demnächst im Verlag Bibliothek der Provinz erscheinen und umfasst Empfehlungen und Gestaltungsrichtlinien für einen adäquaten Umgang mit den historischen Werten in der Region. „Wir sind eine lebendige, dynamische Region, wir können und wollen nicht alles musealisieren“, sagt Hödl, „aber es ist unsere Aufgabe, die wichtigsten Schlüsselattribute dieser Kulturlandschaft zu schützen – und dazu gehören auch topografische Linien und Sichtbeziehungen, Verkehrswege wie etwa die Wachaubahn sowie typische Elemente im Ortsbild und in der lokalen Architektur.“
Zudem gibt es seit einigen Jahren die sogenannten Wachauzonen. Das eigens eingeführte Instrument ermöglicht den Gemeinden, durch Verordnung eines Bebauungsplanes Schutzzonen mit bestimmten Bauvorgaben zu definieren. Das Spektrum startet in der sakrosankten Zone 1 (Denkmalschutz), geht über die strenge Zone 2 (erhaltenswürdig) und endet meist an den etwas toleranteren Ortsrändern in den Zonen 3 und 4 (ortsbildprägend und ortsbildwirksam). Gerade die Ansiedlung von Supermärkten und Gewerbegebieten sowie die Bautätigkeit im freifinanzierten und gemeinnützigen Sektor will man auf diese Weise etwas besser steuern – und den Investor_innen und Entwickler_innen zugleich Hilfe und Orientierung bieten.
Das Problem: „Bislang wurden die Wachauzonen erst in vier Gemeinden beschlossen, zwei weitere ziehen nun nach, und mit den übrigen Gemeinden sind wir im Gespräch. Es ist viel Überzeugungsarbeit notwendig.“ Was fehlt, so die Expertin, sei ein entsprechendes Nachziehen von Bauvorschriften, Bebauungsbestimmungen und Ortsentwicklungsplänen, die mit den Werten und Zielen des UNESCO-Weltkulturerbes übereinstimmen. „Noch ist unsere tägliche Arbeit am Kulturgut nicht kongruent mit der legistischen Situation. Und das erzeugt unnötigen Reibungsverlust.“
Reibung in der Pufferzone
Eine solche Reibung gibt es auch in Salzburg, und zwar in der sogenannten Pufferzone. „Seit 1967 haben wir in Salzburg das Altstadterhaltungsgesetz, das seit bereits 55 Jahren sehr streng gehandhabt wird und für die Aufnahme in die UNESCO-Liste ein wertvolles Werkzeug war“, erklärt Alexander Würfl, Leiter des Baurechtsamts Salzburg und zugleich Beauftragter für das Weltkulturerbe. „Doch mit der Zeit sind seitens UNESCO und ICOMOS International auch und gerade in einer wachsenden, sich weiterentwickelnden Stadt sorgt das immer wieder für Konflikte.“
Während Salzburg in der Schutzzone 1 sehr strenge Bauvorschriften hat, was etwa Kubatur, Materialität, Fassadengestaltung und Farbgestaltung betrifft, lassen die Vorgaben in der Schutzzone 2, in der viele Wohnbauten, öffentliche Gebäude und Infrastrukturprojekte entstehen, weitaus mehr Freiheiten zu. Für die UNESCO, meint Würfl, sei das aber oft nicht genug. Sie übt immer wieder Kritik an Plänen und Entwicklungsprojekten – und hat schon so manch gewonnenen Architekturwettbewerb negativ beurteilt und die Realisierung verhindert. Ein großes Dilemma.
Mit einer Gesetzesänderung 2004, die das Bauen in der Altstadt nicht mehr nur als baurechtliche, sondern auch als stadtplanerische Materie definiert, und der Reactive Monitoring Mission 2009 habe man vieles schon in den Griff bekommen, so der Experte. Die Konfliktherde hätten sich seit damals reduziert. „Das wichtigste Thema heute ist die Schaffung von leistbaren Wohnungen, von Bildungseinrichtungen und von Heimplätzen für Studierende. „Wir sind auf dem richtigen Weg, wir machen vieles schon sehr gut, aber es mangelt immer noch an einvernehmlichen, normativen Spielregeln, die sowohl das Interesse des Kulturgutschutzes als auch das der Stadtentwicklung respektieren.“
Die nächsten Schritte: Es brauche dringend mehr Kommunikation nach außen, die transparent macht, welche Erfolge bereits erzielt wurden und wo es in der Praxis noch knirscht. Schon jetzt hat Salzburg damit begonnen, die Bevölkerung miteinzubeziehen und in die Hot-Spot-Debatten partizipativ zu involvieren. Als Nächstes ist geplant, nach dem Vorbild von Bamberg und Regensburg ein Weltkulturerbe-Besucherzentrum zu etablieren. „Darin wollen wir die wesentlichen Werte und Konfliktpunkte wie Kulturgut, Schutzwürdigkeit, Wachstum und Stadtentwicklung thematisieren. Aber eines ist sicher“, meint der UNESCO-Beauftragte: „In einer dynamischen Stadt, die Weltkulturerbe ist, wird es nie konflikt- und friktionsfrei zugehen.Das liegt in der Natur der Sache. Man muss aber in der Lage sein zu reden und zu verhandeln.“
MANFRED WEHDORN
Univ.-Prof. em. DI Dr. Manfred Wehdorn ist Architekt und Experte für Denkmalpflege und Welterbe. Bis zu seiner Emeritierung 2012 war Wehdorn Professor an der TU Wien und Vorstand des Institutes für Kunstgeschichte und Denkmalpflege. Lehre u. a. am ICCROM in Rom.
PETER STRASSER
MMag. DDr. Peter Strasser, LL.M. wird mit 1. 8. 2022 zum Universitätsprofessor für Kulturgüterschutz an die Universität für Weiterbildung Krems berufen. Strasser war u. a. als Rechtsberater der UNESCO sowie zuletzt für die OSZE in Kulturerbefragen im Kosovo tätig.
INGEBORG HÖDL
Ingeborg Hödl, MA ist seit 2018 Welterbe-Managerin und Geschäftsführerin des Vereins Welterbegemeinden Wachau sowie der Arbeitskreis Wachau Dunkelsteinerwald Regionalentwicklungs GmbH.
ALEXANDER WÜRFL
Mag. Alexander Würfl ist Leiter des Baurechtsamts Salzburg und zugleich Beauftragter für das Weltkulturerbe Altstadt Salzburg. Seit 2001 trägt er dort die Gesamtverantwortung für den „Kernbereich Altstadt“. Würfl studierte Rechtswissenschaften in Wien und Salzburg.
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