Christian Hanus, Leiter des Departments für Bauen und Umwelt, über die Forschung an der Schnittstelle von baukulturellem Erbe und Energieeffizienz.
Interview: Maik Novotny
upgrade: Welchen Beitrag leistet das baukulturelle Erbe zur Ökologie und Nachhaltigkeit?
Christian Hanus: Im Allgemeinen wird alte Bausubstanz als schön und ansprechend empfunden, die man sich aber leisten können muss, weil sie mehr Energie im Betrieb benötigt. Mit der Einführung des Energieausweises wurde diese Wahrnehmung zusätzlich bestärkt. Wir versuchen, mittels lebenszyklischer Analysen über längere Zeiträume und thermodynamischer Simulationen einen differenzierteren Vergleich zwischen Alt- und Neubauten zu entwickeln. Nehmen wir als Einflussgröße die Klimawandelszenarien, unter welchen wegen steigender Temperaturen Altbauten immer besser und Neubauten schlechter in der Bilanz abschneiden. Der Heizwärmebedarf sinkt bei Altbauten stärker; Neubauten allerdings muss man künftig mehr kühlen. Wir haben vor Jahren schon simuliert, wie Gebäude beschaffen sein müssen, um ohne einen Kühlbedarf auszukommen, und das Ergebnis kam in der Grundkonzeption historischen Beispielen verblüffend nah.
Wie genau sehen Ihre Berechnungen aus?
In den Energieausweisen steht beim Heizwärmebedarf sanierter Altbauten oftmals der Faktor 3 bis 5 gegenüber einem vergleichbaren Neubau, das schreckt natürlich ab. Wir haben uns mit dieser Frage ausführlich beschäftigt und das genau nachgerechnet, und zwar nicht nur statisch gemäß Energieausweis, sondern mittels thermodynamischer Simulation und über längere Zeiträume mit sich wandelnden klimatischen Bedingungen – zumeist über 50 Jahre. Die Simulationen sind zwar ausgesprochen aufwendig, doch lässt sich dabei das Gebäudeverhalten differenzierter erfassen.Die Ergebnisse lassen erkennen, dass bei dieser Betrachtung ein Altbau bis zu 40 Prozent weniger Heizwärmebedarf aufweisen kann, als es die statische Berechnung bei konstanten Verhältnissen nahelegen würde. Die Alt- und Neubauten nähern sich in der Bilanz an.
Es geht also auch darum, die Zukunft mit einzukalkulieren?
Ja. Ein Problem des Energieausweises ist, dass er auf Meteodaten zurückgreift, die Jahre, teilweise Jahrzehnte zurückgehen, und die Daten der Gegenwart, geschweige denn der Zukunft, nicht berücksichtigt. Genau diese zukünftigen Werte sind aber relevant, denn die Sanierung oder der Neubau dient in der Zukunft liegenden Nutzungsperioden. Daher berücksichtigen wir in der thermodynamischen Berechnung Meteodaten, welche einer gemäßigten Prognosekurve des IPCC zugrunde liegen. Noch interessanter wird es, wenn wir die wirklichen Verbrauchsdaten der letzten Jahre extrapolieren. Denn diese sind oftmals signifikant niedriger als angenommen, auch wenn wir noch nicht restlos geklärt haben, warum. Wahrscheinlich weichen die Nutzungsprofile von der standardisierten Temperierung ab und auch der Luftwechsel wird eine Rolle spielen.
Die Bauwirtschaft ist für 30 – 50 Prozent der CO2eq-Emissionen verantwortlich. Kann die kulturelle Wertschätzung der Bausubstanz hier ein Umdenken in Richtung Kreislaufwirtschaft bewirken?
Absolut. Beim Rück- und Neubau entsteht viel Bauschutt, der mitunter nicht rezyklierbar ist. Es ist durchaus möglich, ökologisch so zu bauen, dass der Abbruch kein Problem darstellt und der Energieverbrauch im Betrieb niedrig ist. Ein ganz wesentlicher Faktor, der aber oft übersehen wird, ist die Graue Energie, welche im Baumaterial enthalten ist. Die Errichtung eines Hauses ist mit Energieaufwendungen – und auch Emissionen – verbunden, die für Herstellung, Transport und schließlich auch Entsorgung des Baumaterials aufzuwenden sind. Mit der Quantität Grauer Energie eines Massivbaus lässt sich der Heizwärmebedarf eines sanierten Altbaus über eine Generation und oftmals auch länger decken. Wenn man dies in der Bilanz berücksichtigt, punktet ein historischer Altbau gegenüber einem Neubau zusätzlich. In anderen Bereichen versteht das jeder: Wenn ich im Supermarkt immer ein Plastiksäckli nehme, ist es offensichtlich,dass das nicht so ökologisch ist wie eine über Jahre genutzte Stofftasche. Aber im Bauwesen hat sich diese lebenszyklische Betrachtung immer noch nicht durchgesetzt.
Sie führen auch den Lehrgang „Konzeptuelle Denkmalpflege“ an. Geht es hier auch darum, alte Handwerkstechniken wieder zu erlernen?
Genau. Dieser Kurs wird vor allem in Südtirol und in der Schweiz abgehalten. Dort versucht man, die Charakteristiken der historischen Bauweisen zu dokumentieren, zu analysieren und anzuwenden, auch bei Neubauten. Es geht um einen konzeptuellen Umgang mit traditionellen Techniken auch im zeitgenössischen Kontext.
Baukultur soll nicht musealisiert, sondern als Wissenspool genutzt werden?
Das ist genau das Ziel unseres Forschungsprojekts monumentum ad usum: die Nutzbarmachung des Denkmals. Wir verstehen das baukulturelle Erbe als Selbstverständlichkeit, mit der man aber adäquat umgehen muss. Diesen Umgang muss man lernen. So wie es für jedes Gerät eine Bedienungsanleitung gibt, sollte es auch für Gebäude eine geben. Die vernakuläre, also am Ort herausgebildete Architektur war früher optimal an ihren Standort angepasst und alle waren mit deren Umgang wohlvertraut, das ist in der modernen, globalisierten Bauwirtschaft oft verloren gegangen. Nehmen Sie als Beispiel einen Weinkeller: Die alten Keller in und um Krems haben ganz ohne Energieaufwand eine konstante Temperatur von 11 Grad Celsius, während manche neuen Degustations-Tempel voll verglast sind und die Haustechnik auf Hochbetrieb läuft. Eine reine Ästhetik-Diskussion geht am Thema vorbei.
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„Der ökologischste Weg ist die Einsparung, und zwar nicht im Sinne von Verzicht, sondern durch das Nicht-Entstehen von Bedürfnissen.“
Christian Hanus
Heutzutage gilt das, was repariert werden muss, meist als Mangel und Fehler. Dabei wurden Gebäude früher immer wieder in Stand gesetzt.
Pointiert gesagt: Altbauten waren immer auf Reparatur und Unterhalt konzipiert und Neubauten auf das Auswechseln von Komponenten. Altbauten sind einfacher zu reparieren und zu reinigen, weswegen sie auch in aller Regel bei den Folgekosten günstiger abschneiden als Neubauten. Man muss aber auch darauf achten, dass das technische Wissen nicht verloren geht. In vielen Gegenden findet man heute kaum noch jemanden, der beispielsweise ein Kastenfenster sachgerecht herrichten kann.
Baukultur ist ein Begriff, der in den letzten Jahren oft verwendet wird. Aber was meinen wir eigentlich genau, wenn wir vom baukulturellen Erbe reden? Das einzelne Gebäude, das Quartier, die Region?
Wir verwehren uns dagegen, die Systemgrenze an der Gebäudemauer zu ziehen. Wir müssen Funktionalitäten beurteilen, sie sind auf lokaler, auch regionaler Ebene sehr relevant. Beim Projekt monumentum ad usum berechnen wir den Einfluss, den der Standort eines Gebäudes auf seine ökologische Bilanz hat.
Was waren die Ergebnisse?
Dass der Faktor Mobilität eine zentrale Rolle spielt. Wir haben Mobilitätsprofile über den Lebenszyklus angelegt und auf dieser Basis Szenarien entwickelt und verschiedene Gebäudestandorte verglichen. Dabei haben wir festgestellt, dass der Mobilitätsanteil in der Gesamtenergiebilanz beim Einzelobjekt eine signifikante Einflussgröße darstellt. Wir können heute noch viel lernen von mittelalterlichen Stadtstrukturen, in denen wir viele Bedürfnisse in kurzer Distanz abdecken können. Das sind Tugenden, die wir in die Gegenwart mitnehmen und in raumplanerische Strategien übersetzen können,indem wir bestehende Ortskerne revitalisieren.Der ökologischste Weg ist die Einsparung, und zwar nicht im Sinne von Verzicht, sondern durch das Nicht-Entstehen von Bedürfnissen. Es ist auch die Frage, ob ein Passivhaus auf der grünen Wiese, welches viel Geld und Energie für seine infrastrukturelle Erschließung braucht, so ökologisch ist wie eine Wohnung in einem 300 Jahre alten Haus im dicht bebauten Ortszentrum. Heute fokussiert sich die Diskussion über thermische Optimierung oft auf rein technische Baudetails und lässt den Blick aufs Gesamte und die Mobilität vermissen. Wir müssen über erweiterte funktionale Grenzen und über längere Zeiträume bilanzieren.
CHRISTIAN HANUS
Univ.-Prof. Dipl.Arch.ETH Dr. Christian Hanus leitet das Department für Bauen und Umwelt an der Universität für Weiterbildung Krems. Er studierte und promovierte an der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) in Zürich. Seit 2007 ist er an der Universität für Weiterbildung Krems tätig, installierte dort 2010 das Zentrum für Baukulturelles Erbe wie auch 2015 das Zentrum für Kulturgüterschutz und koordinierte die Ansiedlung des internationalen Baukulturarchivs von Europa Nostra. Er hält seit 2013 die Professur für Bauen und Umwelt.
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