05.10.2021

von Prof. Dr. Peter Parycek  und Matthias Punz 

Herr Parycek, wie sieht die digitalpolitische Bilanz der aktuellen Legislaturperiode aus?

Das ist eine schwierige Frage, weil Digitalpolitik mittlerweile so umfassend ist. Digitalisierung ist die Querschnittsmaterie, gefolgt von dem Thema Klimawandel. Insgesamt sind sicher große Schritte gemacht worden. Dazu hat etwa das Onlinezugangsgesetz (OZG) beigetragen, weil es einen Innovationsschub ausgelöst hat. Zwischen den Bundesländern gibt es nun eine gute Mischung aus Zusammenarbeit und leichtem Wettbewerb. Das »Einer für Alle«-Prinzip ist ein guter Ansatz. Wenn es am Ende »Einer für Fünf« oder »Einer für Acht« wird, ist das immer noch ein Fortschritt zu früher. Man muss aber auch sagen, dass die Ernte noch nicht eingefahren wurde. Das wird die Aufgabe der nächsten Bundesregierung.

Auf einer europäischen und geopolitischen Ebene war es wichtig, dass der Diskurs rund um digitale Souveränität angestoßen wurde. Politische Entscheiderinnen und Entscheider sind sich nun bewusst, dass Technologien für uns als Gesellschaft und für den Staat von hoher strategischer Bedeutung sind. Das Problembewusstsein ist nun vorhanden, jetzt geht es um den Fokus auf zukünftige Schlüsseltechnologien. Dieses Thema kann nicht aus Deutschland alleine herausgelöst werden, vielmehr brauchen wir eine geopolitische Technologiepolitik für Europa.

 

Was werten Sie als größten Erfolg des Digitalrats?

Dass es ein Umdenken in Bezug auf Verwaltungskultur gibt. Uns ist es gelungen, neue Arbeitsweisen und neue Kooperationsformen als zentrales Thema zu etablieren. Verwaltungskultur ist unter anderem für die Attraktivität des öffentlichen Sektors im Wettbewerb um die jungen Talente entscheidend. Nehmen wir nur Work4Germany und Tech4Germany, in den Programmen werden Fellows von außen in die Verwaltung geholt. In den Interviews die wir als ÖFIT gerade gemeinsam mit der Uni Konstanz führen, sehen wir, dass das intern etwas bewegt hat. Dass aus den Programmen nun mit dem DigitalService4Germany eine Inhouse-GmbH wurde, halte ich für eine unheimlich große Chance. Beim Personalrecht oder bei den Tarifverträgen ist da noch einiges zu tun, aber das Problembewusstsein ist auch hier gewachsen.

 

In anderen Staaten ist in den vergangenen Jahren ebenfalls viel passiert. Hat Deutschland im internationalen Kontext aufholen können?

Ich weiß nicht, ob diese Länderrankings immer so sinnvoll sind und die richtige Orientierung für gute Politik geben. Deutschland ist in einer vollkommen anderen Situation als etwa Estland, Österreich oder die skandinavischen Staaten. Bei der Verwaltungsdigitalisierung ist es eben schwieriger mit 16 Ministerpräsidentinnen und –präsidenten eine Strategie zu erarbeiten als mit neun wie in Österreich. Die Komplexität von Diskussionen steigt exponentiell und nicht linear, je mehr Personen beteiligt sind. Aber klar, im internationalen Vergleich ist weiterhin viel Luft nach oben. Mit der nicht vernetzten Registerlandschaft kennen wir auch eine zentrale Ursache dafür. Deshalb möchte ich das Registermodernisierungsgesetz besonders hervorheben. Da war die Bundesregierung mutig, obwohl sie dafür stark kritisiert wurde. Die dezentrale Architektur, die hier entwickelt wurde, könnte aus datenschutzrechtlicher Perspektive beispielgebend für demokratische Staaten werden. In den führenden E-Government-Ländern liegen Daten aus Registern zentral harmonisiert an einem Ort. Das wird in Deutschland nicht der Fall sein. Auch hier wird erst die nächste Bundesregierung die Ernte einfahren. Nun heißt es konsequent in die Umsetzung zu kommen.

 

Sie sollen bei der Registermodernisierung ein wichtiger Mittler im Hintergrund gewesen sein, gelten als Diplomat. Wie kommt es zu der Rolle?

Grundsätzlich war uns ja am Anfang im Digitalrat noch nicht ganz klar, was unsere Rolle sein wird. Es ist uns aber gelungen einen Vertrauensraum zur gesamten Bundesregierung aufzubauen. Wir haben uns öffentlich sehr zurückgehalten – auch zum Leidwesen der Presse. In diesem vertrauensvollen Klima konnten wir gut zwischen den Bundesressorts vermitteln, auch wenn es mal entgegengesetzte Meinungen gab. Bei der Registermodernisierung hatte ich die Ehre, ein bisschen Expertise einzubringen. Es freut mich umso mehr, dass das Vorhaben beschlossen wurde.

 

Hilft da auch Ihre politische Erfahrung? Sie waren mehrere Jahre im österreichischen Bundeskanzleramt aktiv.

Es hilft auf alle Fälle, wenn man sich in unterschiedliche Positionen hineinversetzen kann. Manche Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben daran kein Interesse, weil sie sich ganz auf die Theorie beziehungsweise auf die Grundlagenforschung konzentrieren. Das ist auch gut so. Im Forschungsbereich der Verwaltungsdigitalisierung habe ich es aber immer schon wichtig gefunden, in enger Diskussion mit den Ministerien, Ländern, Städten und verantwortlichen Personen zu stehen. Es braucht eine Multi-Stakeholder-Betrachtung, wenn man politische Kompromisse ermöglichen will.

 

Sie sind auch ein Verfechter digitaltauglicher Rechtssetzung, wie das in Dänemark bereits passiert. Die Bundesregierung wollte ebenfalls »Digital-Checks« für Gesetze ausarbeiten, ist daran aber gescheitert. Warum?

Ich habe in den vergangenen 20 Jahren gelernt, dass man im öffentlichen Bereich Geduld braucht. Als Digitalrat war uns digitaltaugliches Recht jedenfalls ein großes Anliegen. Ich würde sagen, dass das auch in der Politik angekommen ist und mittlerweile wurde die Diskussion auch von den Ländern übernommen. Das ist insofern wichtig, weil ansonsten der Bund digitaltaugliche Gesetze verabschiedet, die von den Landesparlamenten wieder digitaluntauglich gestaltet werden, wenn das Bewusstsein fehlt. Dieses Thema ist ein dickes Brett, das war mir klar. Auch in Dänemark gab es jahrelange Debatten, bevor man so weit war. Die Angst in Deutschland ist groß, dass am Ende ein weiterer Überprüfungskatalog für die Erstellung von Rechtstexten herauskommt. Das würde Juristinnen und Juristen noch stärker belasten, denn schon heute müssen sie über 300 Seiten der jeweiligen Leitfäden berücksichtigen. Ein weiterer Leitfaden ist daher auch nicht das Ziel, sondern eine kurze Orientierung wie der dänische Digital-Check, welcher gerade einmal sieben Punkte auf wenigen Seiten umfasst.

 

Wie soll die nächste Bundesregierung das Thema anpacken?

Eine Verwaltungsverfahrensnovelle wäre ein riesiger Hebel. So könnten Verfahren digitalisiert werden, ohne Fachgesetze ändern zu müssen. Zweitens könnte die nächste Bundesregierung die rechtlichen Hürden, die in den OZG-Digitallaboren gesammelt wurden, möglichst schnell im ersten Jahr der nächsten Regierungsperiode gesetzlich beseitigen. Und drittens könnten interdisziplinäre Einheiten etabliert werden, die Gesetze entwerfen, in denen Daten und Automatisierungspotentiale von Beginn an mitgedacht werden. Auch hier wurden Vorarbeiten geleistet, teilweise getestet, aber die breite Umsetzung ist noch ausstehend.

Grundsätzlich geht es darum, die Informatik mit dem juristischen Bereich zu verschränken. Das schaffen wir, indem wir rechtlich und technisch standardisieren. Es sollte zum Beispiel eine einheitliche Definition des Einkommens- und Vermögensbegriffes geben, aktuell gibt es mehrere unterschiedliche. So können Verwaltungsverfahren im Sozialbereich digitalisiert werden. Eine Person in einer Notlage kann dann innerhalb von Sekunden sehen, welche Verwaltungsleistungen sie auf Basis ihres Einkommens und Vermögens beziehen kann, statt sich durch dutzende Formulare kämpfen zu müssen.

 

Was soll im Verwaltungsverfahrensgesetz geändert werden?

Zum Beispiel die Gleichstellung von digitalen Nachweisen und Papiernachweisen. Hier müsste man nur wenige »Wörter« ändern, um eine große Wirkung zu erzielen, weil das dann für alle Verwaltungsverfahren gilt.

 

Warum tut man sich so schwer damit, digitale Verfahren mit händischen Unterschriften und Papier gleichzustellen?

Das ist tatsächlich ein schwieriges Thema. Hier spielen Beharrungskräfte eine Rolle, manchmal wird auch angezweifelt, ob das rechtlich überhaupt möglich ist. Oft werden bestehende Freiräume bei Ländern und Kommunen auch nicht genutzt und man verlangt im Zweifel Papier, statt das »Digitale« zu akzeptieren. Viele Dinge wären heute schon möglich, die Unsicherheit ist aber zu groß beziehungsweise das Sicherheitsdenken in der Verwaltung zu stark. Letztendlich ist eine tiefgreifende Novellierung des Verwaltungsrechts der Politik noch nicht gelungen. Erschwerend kommt natürlich hinzu, dass der elektronische Personalausweis nicht stark verbreitet ist. Da wären wir auch wieder bei den Länderrankings. Neben der Registerlandschaft ist das Thema der elektronischen Identitäten (eID) in Kombination mit der Liebe zum Papier der zweite Grund, warum Deutschland schlecht abschneidet.

Nur die skandinavischen Länder haben wirklich erfolgreich eine eID ausgerollt. Österreich kommt dahinter, aber auch schon abgeschlagen. Was ich sagen will: Viele Länder kämpfen mit der eID. In Deutschland knüpft man das Thema aber eng an die Schriftformerfordernis. Also erst wenn die eID weit verbreitet ist, fällt die händische Unterschrift. Am Beispiel Wien: Dort gibt es bei 90 bis 95 Prozent der Verwaltungsverfahren keine eID, gleichzeitig werden die Services aber fast durchgehend digital angeboten. Vielleicht braucht man ja gar nicht immer eine eID für ein Online-Verfahren. Diese Bewertung fällt in Deutschland allerdings anders aus: Wenn wir keine verbreitete eID haben, stellen wir das Verfahren nicht online.

 

Elektronische Identitäten rückten in der Pandemie generell in den Fokus. Worauf kommt es an?

Wichtig ist: Wir müssen von dem Kartenformat wegkommen. Deutschland hat zwar ein technisch hochsicheres eID-System geschaffen, das aber von den Usern nicht akzeptiert ist. Paradoxerweise wurde mit dem Fokus auf IT-Sicherheit ein extrem unsicheres Gesamtsystem geschaffen, aufgrund der fehlenden Verbreitung. Das sieht man in der Pandemie, da hätten wir elektronische Identitäten gut gebrauchen können. Andere Länder haben einfachere Systeme. Dort braucht man lediglich einen Nutzernamen, ein Passwort und einen weiteren Faktor, den man auf das Smartphone zugeschickt bekommt. Die eID in Dänemark wurde als Papierzettel mit verschiedenen Code-Kombinationen in Zeilen und Spalten gestartet, wie TAN-Listen beim E-Banking. Mehr steckt da nicht dahinter, so haben die Dänen aber rund 90 Prozent Verbreitung geschafft.

 

Wohin geht die Reise bei der Digitalisierung des öffentlichen Sektors? Was werden die Trends?

Es muss uns in den nächsten zehn Jahren gelingen, die Bereiche Digitalisierung und Klimawandel miteinander zu verknüpfen. Wir brauchen eine Technologie- und Klimapolitik, die ineinandergreifen und sich ergänzen. Denn beide Themen sind disruptiv und betreffen die gesamte Gesellschaft. Daten werden dabei eine riesige Rolle spielen, wenn wir effizient arbeiten und wirtschaften wollen. Das bedeutet für mich auch, dass wir in Europa eine neue Diskussion über den Datenschutz führen müssen. Das betrifft vor allem den Bereich der Forschungsdaten: Wir brauchen klare Regeln, die nicht von Land zu Land unterschiedlich sind. Und die Wissenschaft muss Freiräume bei der Datennutzung bekommen, wenn wir die großen Herausforderungen lösen wollen. Wichtig wird auch die Digitalisierung der kommunalen Ebene. Da geht es um die Digitalisierung der Daseinsvorsorge, also unter anderem um bessere Stadtplanung und multimodalen Verkehr.

 

Stehen Sie nochmal für den Digitalrat der Bundesregierung zur Verfügung?

Der Digitalrat war für eine Periode angelegt und das ist auch gut so. Es war eine unglaublich spannende Zeit, in der wir viel bewegt haben von Verwaltungskultur bis Geopolitik. Sollte ich wieder gefragt werden, stehe ich gerne zur Verfügung.

 

Dieses Interview erschien erstmals am 05.08.2021 im Tagesspiegel Background.

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