Im Hintergrund verweilend, gestalten integrierte Sensorsysteme viele Produkte und Leistungen sicherer, effizienter und nachhaltiger. Österreichs Beitrag zu deren Erforschung und Weiterentwicklung ist beeindruckend. Bekannt ist das hierzulande nur wenigen.

Von Jochen Stadler

Dahinfließender Verkehr auf der Autobahn. Plötzlich kommt das voranfahrende Auto ohne zu bremsen abrupt zum Stehen, weil der Mensch am Steuer ein Stauende nicht wahrgenommen hat. „Als Lenker_in hätte man keine Chance, rechtzeitig zu bremsen, denn man wird nicht einmal durch ein Aufleuchten der Bremslichter gewarnt“, sagt Stefan Rohringer von Infineon Technologies Austria in Villach: „Ein Auto mit Radarsensoren bekommt aber sehr wohl mit, dass der andere Wagen plötzlich langsamer wird, und kann eine Vollbremsung auslösen. Im Endeffekt bleibt man kurz dahinter stehen, ohne überhaupt bemerkt zu haben, dass man reagieren hätte sollen.“

„Sensoren beeinflussen das tägliche Leben und die Produktion immens im positiven Sinn“, sagt Hubert Brückl vom Department für Integrierte Sensorsysteme der Universität für Weiterbildung Krems. Sie sind die Sinnesorgane in der digitalisierten Welt und unter anderem unabkömmlich für: Big Data, das Internet der Dinge, Industrie 4.0, künstliche Intelligenz, maschinelles Lernen, autonomes Fahren und kognitionsfähige Roboter. „Sensoren scheinen in all diesen Schlagworten nirgendwo explizit auf, werden aber ganz massiv in all diesen Technologien benötigt“, so Brückl. Dass sie versteckt arbeiten, stört ihn nicht. „So soll es sein“, meint er: „Man will sie haben und braucht ihre Daten, aber sie sollen unsichtbar sein und kaum etwas kosten.“ Das funktioniert offensichtlich sehr gut, denn sonst wären Sensoren nicht schon in großen Mengen in Handys, Autos, intelligenten Heimstätten und Produktionsanlagen betriebsam.

 

Hubert Brückl

„Künstliche Intelligenz kann große Mengen an Daten auswerten und Zusammenhänge feststellen, die für einen Menschen nicht erkennbar wären.“

Hubert Brückl

Es gibt vielerlei Sensortypen, an denen in Österreich geforscht und an deren Entwicklung gearbeitet wird, berichtet Stefan Rohringer: Zum Beispiel Magnetsensoren für Positionsmessungen bei drehbaren Bauteilen, wie einer Autolenkung oder der Kurbelwelle eines Verbrennungsmotors. Mikromechanische Systeme können wiederum gut Druck messen, etwa in Autoreifen und den Hohlräumen von Seitentüren, wo bei einer abrupten Druckänderung durch einen Aufprall die Airbags ausgelöst werden. Damit kann man auch eruieren, ob über ein Gleis gerade ein Zug fährt. Licht ist ebenfalls gut mittels Sensoren messbar, etwa um die Umgebung anhand einzelner Bildpunkte dreidimensional auszuloten, und nicht nur über ein flaches Kamerabild. „Daraus kann man zusätzliche Informationen generieren, um etwa ein Airbagsystem korrekt auf die aktuelle Sitzposition angepasst auszulösen“, erklärt er. Auch Messungen der Spannung, des Stromflusses und Widerstands bei elektrischen Systemen liefern vielfältige Informationen: Erhöhter Stromverbrauch von Maschinen verrät zum Beispiel, wenn Gleitlager erneuert werden sollten, und bei Elektroautos sind solche Messungen für den Ladevorgang der Akkus gefragt. „Dort braucht man generell sehr viele Informationen über das Verhalten des gesamten elektrischen Systems“, sagt der Experte.

Halbleiter als Voraussetzung

„Kurz: Es gibt viele physikalische Phänomene und Größen, die man über geeignete Halbleitersysteme in elektrische Signale übersetzen kann“, so Rohringer. Sie werden registriert und mittels Algorithmen ausgewertet. So erwirbt man Kenntnisse über den ursprünglichen physikalischen Effekt, um daraus wiederum Steuersignale zu erstellen. „Auf diese Art verknüpfen wir die reale Welt mit der digitalen Welt“, meint er.

Große Nachfrage

„Sensorsysteme sind enorm gefragt, wo es um Energiesparen, Ressourcenschonung und Klimaeffizienz geht“, sagt Christina Hirschl von den Silicon Austria Labs in Villach. Zum Beispiel beim Gebäudemanagement mit intelligenter Lüftung, Kühlung und Heizung, so Brückl. Zum Beispiel, wenn der Reifendruck bei Automobilen genau überwacht wird, weil er einen großen Effekt auf den Treibstoffverbrauch hat, erklärt Rohringer. „Ich arbeite im Moment an einem Quantengyroskop“, berichtet Hirschl. Mit solch einem quantenmechanischen Kreiselinstrument könne man von Satelliten aus viele Dinge auf der Erde messen. „Wenn man so etwas schon zur Verfügung hätte, bräuchte es nicht so viele Satelliten im All, weil im Prinzip einer davon reichen würde“, meint sie.

Es braucht zwar Energie, um Sensorsysteme herzustellen, aber über ihre Lebensdauer verteilt haben sie einen CO2-einsparenden Effekt, erklärt Rohringer. Bei den Infineon-Produkten hätte der „Hebel“ für solche Einsparungen global gesehen ein Verhältnis von eins zu dreiunddreißig. „Bei der Villacher Fertigung ist das Verhältnis aufgrund eines hohen Anteils an Produkten im Energieeffizienz-Sektor sogar eins zu sechzig“, sagt er: „Je erfolgreicher wir mit dieser Elektronikindustrie in Österreich sind, umso mehr kann dieser CO2-Einsparungshebel weltweit bewirken.“

Beschleunigte Neuerungen

Durch die Miniaturisierung kommen die Anwendungen immer schneller im Alltag und in der Produktion zur breiten Anwendung, sagt Rohringer. Bei Airbags und ABS habe es vor ein paar Jahrzehnten viel länger gebraucht, bis sie von Luxusklasse-PKWs zu Kleinwagen gekommen sind, als es bei den verschiedenen Sensorsystemen der jüngsten Entwicklung dauern wird, die das Fahren massiv sicherer und energieeffizienter machen. Ein weiterer Technologietreiber war die Digitalisierung. „Es hätte kaum einen Nutzen, wenn der Sensor im Auto eine Gefahr wahrnimmt, das System aber nicht sofort von selber reagiert“, meint er.

„Auch die Lasertechnologie, die sehr günstig geworden und nun massivst im Vormarsch ist, hat viel Weiterentwicklung ermöglicht“, erklärt Christina Hirschl. Damit kann man etwa winzige Abstandsänderungen und Formen kontaktlos vermessen, sowie die Konzentration gasförmiger Substanzen. Wo die Limits der klassischen Physik erreicht sind, kommt vielleicht bald die Quantensensorik zur Anwendung. „Auch dort tut sich eigentlich extrem viel, und wir haben schon die ersten Industrieprojekte in diesem Bereich laufen“, sagt Hirschl. Demnach gibt es auch Fortschritte in jenem Bereich, wo Forscher_innen teils schnellere Erfolge erwartet hatten (siehe Interview mit Hubert Brückl).

Traumpaar KI und Sensoren

Ein wichtiger Partner für integrierte Sensorsysteme ist die künstliche Intelligenz (KI), erklärt Hubert Brückl. „Sie kann große Mengen an Daten auswerten und darin Zusammenhänge feststellen, die für einen Menschen nicht erkennbar wären.“ Dies sei eine Voraussetzung, um etwa Maschinenausfälle oder Materialeigenschaften vorherzusagen. Auch in die andere Richtung besteht ein Abhängigkeitsverhältnis: Künstliche Intelligenz ist etwa beim autonomen Fahren oder bei der Steuerung von Robotern auf das automatisierte Sammeln von Umgebungsdaten angewiesen. Das kann freilich nur ein großes Sensorium bewerkstelligen.

Optimalerweise ist die künstliche Intelligenz direkt im Sensor verankert. „Die großen Datenmengen werden dann direkt vor Ort verarbeitet, und man muss sie nicht beispielsweise in eine Cloud schicken, sondern nur die Ergebnisse“, sagt Brückl. „Das bedeutet natürlich eine immense Energieersparnis.“ Dazu müssen die Denkvorgänge allerdings auf Minicomputern laufen. „Insofern sind die Sensorsysteme ein Treiber für die Miniaturisierung der KI-Systeme“, meint er.

 

Stefan Rohringer

„Je erfolgreicher wir mit dieser Elektronikindustrie in Österreich sind, umso mehr kann dieser CO2-Einsparungshebel weltweit bewirken.“

Stefan Rohringer

„Künstliche Intelligenz ist bei Sensoren hochattraktiv, aber in manchen Bereichen ist die Sicherheit ihrer Angaben nicht immer ausreichend“, urteilt Christina Hirschl. Wenn sie bei Herstellungsprozessen „nur“ mit 90 Prozent Sicherheit feststellen kann, ob ein Produkt einwandfrei oder fehlerhaft ist, würde jedes zehnte davon unnötigerweise zur Ausschussware degradiert. „Ich glaube deshalb, dass es eine Kompetenz ist zu wissen, wo künstliche Intelligenz und maschinelles Lernen in Verbindung mit Sensorik Sinn machen, und wo nicht“, erklärt sie.

Auch Stefan Rohringer sieht absolute Fehlerfreiheit als unmöglich, er plädiert deshalb für eine realistische Einschätzung, was technische Systeme leisten können. Er kritisiert eine „unfaire“ Erwartungshaltung von Anwender_innen gegenüber Computersystemen: „Wenn wir einem elektronischen System eine Aufgabe übergeben, erwarten wir, dass es Null Fehler macht.“ Aber: „Das Bewerten der Situation ist hochkomplex und daher eine nicht zu unterschätzende Herausforderung“, erklärt Stefan Rohringer.

Datenverwendbarkeit

Damit künstliche Intelligenz mit Sensordaten überhaupt etwas Vernünftiges anfangen kann, sind sogenannte Ontologien erforderlich. Daran arbeitet die Softwareexpertin und Chemikerin Alexandra Simperler: Die Daten werden dabei „getaggt“, also etikettiert, und die Regeln für mögliche Schlussfolgerungen festgelegt. Dies sollte standardisiert passieren, denn nur so könnten sie für unterschiedlichste Anwendungen verwendet werden. „Wir arbeiten daran, dass diese Daten FAIR gemacht werden“, sagt sie. Der erste Buchstabe dieses Akronyms steht für „findable“, also auffindbar, der zweite für „accessible“, vulgo zugänglich. „Diese beiden Punkte sind leicht zu erfüllen, man braucht die Daten dafür nur auf einer fortschrittlichen Datenbank speichern und verfügbar machen“, sagt sie. Dass man sie letztlich „re-usen“, also wiederverwerten kann, wird oft durch Akronym-Initial Numero Drei vereitelt, erklärt sie: Bei der „Interoperabilität“ hapere es oft daran, dass die Semantik nicht exakt definiert ist, also die Bedeutung der Daten und welchen Bezug es zwischen ihnen gibt. Daten, die nicht interoperabel sind, wären für Anwendungen, die auf mehreren automatisierten Schritten basieren, im Prinzip mangelhaft, so Simperler.

Starke Position, wenig Bekanntheit

Österreich ist in der Forschung, Entwicklung und Produktion von Halbleitern, Grundlage für Sensoren, bezogen auf die Bevölkerung Nummer Drei in Europa, sagt Stefan Rohringer, der auch Chairman des Branchenvereins ESBS (Electronics and Software Based Systems) Austria ist. Diese Tatsache wäre in der breiten Öffentlichkeit unbekannt. „Deshalb sind die Menschen hier auch nicht stolz darauf, obwohl es wirklich guten Grund dafür gäbe“, meint der Experte. Viele Produkte, die entscheidend sind etwa für die digitale Souveränität, Ressourceneffizienz, Nachhaltigkeit, Klimaneutralität und Sicherheit im Straßenverkehr, stammen aus österreichischer Forschung, Entwicklung und teils Fertigung. „Wenn man die Leute auf der Straße fragt, kann sich das kaum jemand vorstellen“, so Rohringer. Hier würde die Meinung vorherrschen, dass Hochtechnologie aus den USA, aus Taiwan oder Japan kommt, aber nicht aus Europa oder gar Österreich. Vor allem der Süden, also Kärnten und die Steiermark sind bei der Halbleiter- und Sensortechnik sehr stark, erklärt er: „Doch kaum jemand ahnt hier, dass das coole neue Feature auf dem Handy oder die Energieeffizienz des neuen Autos etwa aus der nächsten Gemeinde kommt und vielleicht vom Nachbarn mitgestaltet wurde.“

Nachwuchssorgen

Die mangelnde Bekanntheit, wie gut Österreich in dieser Technologie dasteht, wirkt sich auf den Nachwuchs aus, so Stefan Rohringer. Dieser strömt nicht so zahlreich in das spannende Gebiet, wie man es vielleicht glauben könnte. „Es gibt eine gewisse Frustration bei allen Beteiligten in der Branche, denn es ist kaum vorstellbar, dass man gerade die Jugend nicht dafür interessieren könnte“, berichtet er. Der Nachwuchs könnte von diversen Ausbildungsrichtungen wie Chemie, Physik, Elektrotechnik, Elektronik, Informatik und Mathematik ins Feld stoßen. „Es ist Teamarbeit und hat hohes Potenzial, dass man auch international arbeiten kann, wenn man das möchte.“

 

Alexandra Simperler

„Damit künstliche Intelligenz mit Sensordaten etwas Vernünftiges anfangen kann, braucht man sogenannte Ontologien. Die Daten werden ‚getaggt‘, also etikettiert.“

Alexandra Simperler

Vielleicht sei es ein Nachteil, dass unsere Produkte so klein sind, und sie deshalb schlecht herzeigbar seien, sinniert Rohringer. Doch er ist überzeugt von der Bedeutung der Halbleiter- und Sensortechnologie: „Die Anwendung dieser Technologien ist entscheidend für alle großen aktuellen Ziele der Menschheit wie den Green Deal, die digitale Souveränität, CO2-neutrale Mobilität und nachhaltiges Wirtschaften.“


WISSENSWERTES

Nummer Drei in Europa

Österreich ist in der Forschung, Entwicklung und Produktion von Halbleitern bezogen auf die Bevölkerung an dritter Stelle.
Quelle: ESBS


Wie Sensoren arbeiten

Sensoren sind Bauelemente oder Schaltungen. Sie wandeln ein nichtelektrisches Eingangssignal wie z. B. Temperatur, Beleuchtungsstärke, Kraft, magnetische Feldstärke in ein elektrisches Ausgangssignal in Form von Spannungen bzw. Stromstärke um. Sensoren bedienen sich dabei der Halbleitertechnik.


HUBERT BRÜCKL
Univ.-Prof. Dr. Hubert Brückl leitet das Department für Integrierte Sensorsysteme der Universität für Weiterbildung Krems. Der Physiker leitete davor das Geschäftsfeld „Nano Systems“ am Health & Environment Department des AIT Austrian Institute of Technology in Wien.

CHRISTINA HIRSCHL
Dr.in Christina Hirschl studierte Physik an der Universität Wien. Sie ist bei Silicon Austria Labs (SAL) Leiterin der Forschungsabteilung für Sensorsysteme (Head of Research Division Sensor Systems).

STEFAN ROHRINGER
DI Stefan Rohringer studierte Informatik an der Technischen Universität Wien. Er hält einen Master of Science in Computer Science der State University of Delaware, USA. Rohringer leitet das Development Center von Infineon Austria in Graz und ist Deputy CTO von Infineon Austria.

ALEXANDRA SIMPERLER
Dr.in Alexandra Simperler studierte Chemie an der Universität Wien. Sie leitet das unabhängige Büro für Wissenschafts-Beratung Simperler Consulting.

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