Integrierte Sensorsysteme, Smart Grids und prädiktive Regelungen: Die Energiewende bringt völlig neue Herausforderungen und innovative Konzepte mit sich. Und längst zeigen spannende Forschungsprojekte, wie der Wandel hin zu erneuerbarer Energie wirklich gelingen kann.

Von Andreas Aichinger

Als das deutsche Öko-Institut anno 1980 eine Untersuchung zu Atomausstieg und erneuerbaren Energien in Buchform vorlegt, ist das die Geburtsstunde des heute vielzitierten Begriffs „Energiewende“. Gut 40 Jahre und viele Klimakonferenzen später ist die Notwendigkeit des Kampfes gegen den menschengemachten Klimawandel weitgehend unbestritten. Gerade angesichts der teils heftigen Diskussionen rund um die geeignetsten Energiewende-Strategien ist allerdings auch so etwas wie ein gemeinsamer gesellschaftlicher Nenner gefragt. Und den gibt es wohl wirklich: Forschung und Technologie.

„Technologie spielt eine ganz zentrale Rolle“, bestätigt auch Albert Treytl. Der Leiter des Zentrums für verteilte Systeme und Sensornetzwerke der Universität für Weiterbildung Krems führt dazu eine Fülle von klimarelevanten Projekten der Universität ins Treffen. Dabei geht es beispielsweise um natürliche Alternativen zu Klimageräten („CoolAIR“), die Anpassung von industriellen Fertigungsprozessen an die Verfügbarkeit von erneuerbarer Energie („Factories4Renewables“) oder die erhöhte Nutzung von erneuerbaren Energieträgern in Prosumer-Gemeinschaften („cFlex“). Apropos Prosumer: Das aus „producer“ und „consumer“ gebildete Wort bezeichnet die für die Energiewende charakteristische Entwicklung, dass ein Stromkunde – etwa dank Photovoltaik – gleichzeitig zum Produzenten wird. Und es führt Treytl auch gleich zu seiner ersten zentralen Botschaft: „Damit die Energiewende funktioniert, müssen Verbrauch und Erzeugung von grüner Energie lokal in Übereinstimmung gebracht werden.“ Nur so ließen sich grüner Strom unmittelbar nutzen und teure Speichersysteme vermeiden. Mit anderen Worten: „Am besten ist es, Energie dann zu verbrauchen, wenn die Sonne scheint.“

„Ein integriertes Sensorsystem hat unserem Verständnis nach vier Komponenten“, beantwortet der Experte die naheliegende Frage. Die erste Ebene wird dabei vom Sensor respektive Messfühler selbst gebildet, der eine physikalische Größe in ein elektrisches Signal umwandelt. Die zweite Ebene bildet eine Elektronik, die dieses elektrische Signal verarbeitet und digitalisiert. „Dann kommt ein großer Bereich der digitalen Messwert-Aufbereitung. Dabei werden Messwerte bereinigt, aber auch schon Methoden der Künstlichen Intelligenz (KI) – primär sind das mittels Machine Learning trainierte neuronale Netze – angewendet“, erklärt Treytl. Die vierte und letzte Komponente schließlich sorgt für die namensgebende Integration durch Kommunikation in Sensornetzwerken und bildet auch den Schwerpunkt der Forschung am Zentrum. Diese Kommunikation läuft potenziell in beide Richtungen: Gemessene Daten werden weitergereicht, umgekehrt können auch Steuerbefehle vom übergeordneten System entgegengenommen werden.

Preisgekrönte KI-Prognostik

Eine besondere Stärke des „Zentrums für verteilte Systeme und Sensornetzwerke“ ist die Expertise rund um den Einsatz von Künstlicher Intelligenz, genauer gesagt von Machine Learning. Am Beispiel des Energieeffizienz-Projekts „CoolAIR“ sowie des Nachfolgeprojekts „CoolBRICK“ wird das besonders klar: Um eine automatisierte nächtliche Kühlung eines Gebäudes ohne stromfressende Klimageräte umzusetzen, ist neben den Sensoren auch eine vorausschauende, prädiktive Regelung unverzichtbar. Sinn der Sache: Das System lernt anhand historischer Daten, wie sich ein Zustand aus dem anderen ergibt, und nutzt das Gelernte für die Steuerung der automatisierten Fensteröffnung. Konkret kann die sogenannte „modellprädiktive Regelung“ (model predictive control, MPC) das Verhalten von Raum- und Außentemperatur mit Hilfe eines neuronalen Netzes erstaunlich gut voraussagen. Das wiederum gestattet eine kostengünstige Ausgestaltung der Sensorik, was das System robust und problemlos skalierbar macht. Übrigens: Erst vergangenen Herbst wurde dieser innovative Ansatz im Rahmen des Energieeffizienzkongresses in Wien mit dem „DECA Award“ gewürdigt.

„Ich versuche unter anderem die Frage zu beantworten, wie fehlende oder fehlerhafte Daten durch intelligente, vorausschauende Mechanismen ersetzt werden können“, unterstreicht auch Gerald Franzl, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum, die Bedeutung von Prognose-Modellen. Und Franzl, dessen Spezialgebiet die verteilte Steuerung von vernetzten Systemen im intelligenten Energienetz, dem Smart Grid ist, denkt auch an die gesellschaftlichen Konsequenzen der Energiewende: „Wir müssen uns wieder bewusst werden, dass Energie einfach nicht zu jedem Zeitpunkt in beliebiger Qualität verfügbar ist.“

Smart Grids & Smart Meter

Konkrete Erfahrungen damit hat man übrigens in Frankreich gemacht, wo im vergangenen Herbst mehr als vier Millionen Warmwasser-Boiler für täglich zwei Stunden fernabgeschaltet wurden, um den hohen Stromverbrauch zu Mittag einzubremsen. Die über intelligente Stromzähler, sogenannte Smart Meter, umgesetzte und zunächst umstrittene Maßnahme führte am Ende zu enormen Einsparungen. Und auch Albert Treytl glaubt, dass man in Zukunft in manchen Bereichen ähnlich vorgehen wird. Damit sich aber das Verhalten der Nutzer friktionsfrei der jeweiligen Verfügbarkeit von Energie angleichen kann, gäbe es eine wichtige Voraussetzung: „Die Systeme müssen das im Hintergrund und für uns Nutzer unsichtbar erledigen.“ Auch der Fall in Frankreich hätte gezeigt, dass es fast keinen Komfortverlust gegeben hätte und dass das Warmwasser nicht ausgegangen sei.

Flexible Energiegemeinschaften

Untrennbar verbunden mit der Energiewende ist auch das Konzept der Energiegemeinschaften, die gemeinsam Energie teilen, produzieren, speichern, verbrauchen und allenfalls auch verkaufen können. Auch hier gilt es, Verbrauch und Erzeugung von grüner Energie bestmöglich in Übereinstimmung zu bringen. „Energiegemeinschaften bringen dann am meisten für die Energiewende, wenn man auch Information bezüglich der Verfügbarkeit an die Mitglieder verteilt“, unterstreicht Gerald Franzl. Erst vor kurzem wurde das thematisch eng verwandte Forschungsprojekt „cFlex“ abgeschlossen, das durch die kooperative Einbindung von Prosumern in die Netzsteuerung den Anschluss von mehr erneuerbaren Erzeugungsanlagen im Verteilernetz ermöglichen soll. Dabei gilt es beispielsweise abzuwägen, ob der Strom aus einer Photovoltaik-Anlage zu einem bestimmten Zeitpunkt besser ins Netz eingespeist wird oder etwa für das Laden einer Batterie verwendet wird. „Die Messwerte der Sensoren im Verteilnetz sowie bezüglich der aktuellen Einspeisung durch die Mitglieder einer Energiegemeinschaft sind somit für die intelligente Steuerung seitens der Prosumer wirklich wichtig“, folgert Franzl. Erfasst wird dabei der Energiefluss, und zwar mittels Smart Meter oder mit eigens installierten Messzählern.

Power Quality als Muss

Karl Knöbl von der FH Technikum Wien hat mit dem Smart Hybrid Energy Lab das erste einschlägige Lehrlabor Österreichs geplant und aufgebaut. Und Knöbl führt noch einen weiteren wichtigen Aspekt ins Treffen: „Das Thema Power Quality ist in den letzten Jahren immer mehr in den Vordergrund gerückt. Gemäß einem Präzedenzurteil aus den Niederlanden ist Strom als Energieträger nämlich ein Produkt, womit natürlich Produktqualität und Produkthaftung von Relevanz sind.“ Ausgerechnet neue Netzkomponenten wie Photovoltaik-Wechselrichter oder Wärmepumpen würden allerdings die Qualitätsparameter beeinträchtigen. „Gerade der hohe Einschaltstrom von Wärmepumpen führt zu Flickern, also zu Spannungsschwankungen“, nennt Karl Knöbl ein Beispiel. Auch hier gilt es somit, die Power Quality – etwa mit Smart Metern – zu überwachen und allenfalls Gegenmaßnahmen zu ergreifen, um die Spannungsqualität abzusichern. Apropos Absicherung: Um die nächsten Schritte hin zur Energiewende nicht zu gefährden, fordert Zentrums-Leiter Albert Treytl vor allem auch auf EU-Ebene mehr Rechtssicherheit. Hintergrund: „Bei allen guten Ideen aus der Forschung sind jetzt die gesetzlichen Rahmenbedingungen wesentlich für die Umsetzbarkeit. Sonst wird die Energiewende für Investoren zu heikel.“


ALBERT TREYTL
DI Albert Treytl leitet das Zentrum für verteilte Systeme und Sensornetzwerke am Department für Integrierte Sensorsysteme der Universität für Weiterbildung Krems. Er steht mehreren nationalen und internationalen Forschungsprojekten vor.

GERALD FRANZL
DI Dr. Gerald Franzl ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Zentrum für verteilte Systeme und Sensornetzwerke am Department für Integrierte Sensorsysteme der Universität für Weiterbildung Krems.

KARL KNÖBL
DI Karl Knöbl, MSc ist Senior Lecturer & Researcher am Department Electronic Engineering der FH Technikum Wien. Er hat das erste Smart-Grid-Lehrlabor Österreichs geplant und aufgebaut.

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