Sensoren sind die Augen und Ohren Künstlicher Intelligenz. Welche Realität baut sie uns mit diesen Daten?
Von Johanna Müller
Es kann sein, dass sich die Idee des Metaverse, in das sich Menschen um des Vergnügens oder der Information willen begeben, bereits erledigt hat. Künstliche Intelligenz durchdringt unsere Realität bereits auf vielen, nahezu allen Ebenen. Das Metaverse ist längst da, die Welt gibt es vielfach – einmal in echt und tausendfach virtuell. Wir bewegen uns in diesen Welten – meistens ohne es zu wissen. „Heute sind praktisch alle elektronischen Geräte, die wir verwenden, auch Sensoren“, sagt die Politikwissenschaftlerin Petra Schaper-Rinkel, die an der Universität Graz die gesellschaftlichen Implikationen von Digitalisierung erforscht. „Das ist noch kein Problem per se. Allerdings müssen wir uns bewusst sein, dass diese elektronischen Geräte miteinander vernetzt werden können und es zu einem beträchtlichen Teil bereits sind. Dieses Zusammenwachsen der Sensorsysteme ist die Herausforderung, vor der wir stehen.“
Die Herausforderungen lassen sich auch in Zahlen gießen: Rund 60 bis 70 Milliarden Geräte – vom Fertigungsroboter, über den Kühlschrank und Toaster bis zur Türklingel – sind derzeit internetfähig und mit ein bis mehreren hundert Sensoren ausgestattet, so eine aktuelle Schätzung von Statista. Ein Smartphone kommt auf rund zehn verschiedene Sensoren, ein Auto auf mehrere hundert. Physische und nichtphysische Sensoren, also solche, die mittels Simulation Messdaten virtuell errechnen, sind somit in allen Gütern und in allen Stoffkreisläufen präsent – von der Extraktion der Rohstoffe über die Herstellung eines Produkts und seinen Vertrieb bis zum Konsum. Sensoren sind Teil der Energienetze, der Abfallwirtschaft, der Wasserversorgung und der Verkehrssysteme. Es gibt in der gebauten Umwelt des Menschen kaum noch eine Nische ohne technischen Wahrnehmungsapparat und theoretisch sind alle Daten, die so generiert werden, miteinander verknüpfbar.
Unsichtbar
„Den wenigsten Menschen ist klar, dass selbst Kleidung RFID-Chips enthält, die genau mittracken, wo sich ein Kleidungsstück befindet“, sagt Ulrike Felt, Wissenschafts- und Technikforscherin an der Universität Wien. „Diese Technologien sind Teil unseres Alltags, aber wir wissen nicht, was sie tun, was sie über uns wissen, welche Daten sie erzeugen und weitergeben.“
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„Sensordaten machen eine KI nicht objektiv. Unsere Werturteile sind immer schon in eine Technologie beziehungsweise Teil der Datenauswahl eingebaut.“
Ulrike Felt
RFID-Chips aus Kleidung lassen sich natürlich nach dem Kauf herausschneiden, vorausgesetzt, das Wissen darüber ist vorhanden. Jedoch: Sensortechnologien genießen einen gewissen Vertrauensvorschuss. Sie messen ja nur, oder? Nein, sie steuern uns auch, sagt Felt: Eine Künstliche Intelligenz, die statt eines menschlichen Radiologen Bilder aus der Computertomographie analysiert, wird schneller als dieser Muster erkennen, die dann ärztliche Entscheidungen anleiten; wenn Google Maps eine schnelle Route empfiehlt, werden wir geneigt sein, dieser zu folgen. Wir nehmen an, dass die KI, die ja dank der Sensoren ihre Augen überall hat, es schon besser weiß. Was wir dabei verdrängen: Die KI ist aus den Daten entstanden, mit denen wir sie trainiert haben. „Sensordaten machen eine KI nicht objektiv. Unsere Werturteile sind immer schon in eine Technologie beziehungsweise als Teil der Datenauswahl eingebaut“, so Felt.
Sicherheit
Smarte Konsumgüter und Alltagstechnologien sind das eine. Auch der öffentliche Sektor muss sich mit den Chancen und den Grenzen von sensorgestützter KI auseinandersetzen. Sensortechnologien spielen im Abwasser-, Trinkwasser- und Abfallmanagement von Kommunen und Gemeinden eine zunehmend wichtige Rolle, vielfältige Anwendungen sind denkbar: In diesen Bereichen können Sensoren wertvolle Echtzeit-Informationen liefern – etwa über Verunreinigungen im Trinkwasser und den Wasserverbrauch. Sensoren können dazu beitragen, dass Leckagen und Rohrbrüche früher detektiert werden, in Kombination mit einer KI ist es möglich, Wasserverbräuche zu messen, und die Informationen an die Verbraucher in Echtzeit weiterzugeben. Ebenso können Sensoren und KI Abläufe, etwa die Routen von Müllfahrzeugen, effizienter machen – für viele Kommunen in Deutschland und Österreich ist Digitalisierung ein großes Thema.
Pauline Riousset arbeitet als Forscherin im Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag und untersucht für das deutsche Parlament, welche Chancen und Risiken für Kommunen mit digitalen Technologien verbunden sind. Generell müsse man sich bewusst sein, dass digitale Technologien anfälliger sind als geschlossene analoge Systeme, meint die Forscherin. „Mit der steigenden Vernetzung von IT-Systemen werden diese tendenziell zunehmend Bedrohungen ausgesetzt, wie etwa Cyberangriffen.“ Und: „Probleme sind nicht automatisch gelöst, wenn man sie messen kann“, so Riousset.
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„Es ist ja so: Die Sensortechnik von heute, das sind wir alle. Und somit müssen wir entscheiden, was wir diesen Systemen zuliefern und was nicht.“
Petra Schaper-Rinkel
Auch für Ulrike Felt stellt sich die Frage, was man eigentlich tatsächlich weiß, wenn man die Daten kennt: „Es ist in dem Sinne kein Wissen, es sind in erster Linie lediglich Daten. Wie wir daraus Wissen machen, ist die wesentliche Entscheidung.“ Ihr Beispiel ist die Medizin: „Wenn wir alle Daten einer Patientin erhoben haben, was wissen wir dann über den Menschen?“ Das Bild der Wirklichkeit, das die Technologie zeichnet, deckt sich nicht mit der vielschichtigen Wirklichkeit menschlichen Zusammenlebens. „Wir denken über diesen Unterschied noch wenig nach. Wir überlegen nicht, was passiert, wenn wir die Welt vielleicht irgendwann nur noch durch die Brille von Daten und den Modellen, die wir bauen, sehen.“
Smarte Risiken
Mit den Sensoren und allgegenwärtiger KI ist die schiere Menge an Daten, die in Datenzentren dort gespeichert werden, wo die Energie noch vergleichsweise billig ist, ins Unermessliche angewachsen. Der Datenberg wird zunehmend klimarelevant, rund fünf Prozent der globalen Treibhausgasemissionen gehen darauf zurück. Umso problematischer, wenn diese Daten dann nicht der Allgemeinheit zugutekommen. „Die Materialität der Datenindustrie wird vielfach übersehen“, meint Felt, die zugleich dafür plädiert, aus dem Entweder-oder-Diskurs herauszukommen. „Es gibt so viele gute Argumente für das Sammeln von Daten und für den Einsatz von Künstlicher Intelligenz.“
„Meines Erachtens ist das grundlegende gesellschaftliche Problem das Eigentum: Wer kann über die Daten bestimmen? Das ist der Kern einer politischen, demokratischen Selbstbestimmung von Individuen und Gesellschaften auch im Hinblick auf Sensoren“, sagt Schaper-Rinkel. Im Moment sei es so, dass die Daten insbesondere im Konsumbereich den Konzernen überlassen werden, die die Geräte herstellen, die sich wiederum, nebenbei bemerkt, damit auch eher als Datensammelgeräte, denn als Elektroroller, Telefon oder Pulsmesser darstellen. Die Konzerne eignen sich etwas an, das ihnen eigentlich nicht gehört: „Dass Google Maps so herausragend funktioniert, liegt ja daran, dass alle die Standortdaten ihrer Handys bei der Nutzung zur Verfügung stellen. Das heißt, es ist eigentlich nicht Google, das uns so toll navigiert. Es sind wir alle, die wir untereinander Daten teilen.“ Weil Daten meist nur unter dem Gesichtspunkt von Privatheit und Datenschutz diskutiert werden, gerate aus dem Blick, dass auch die Infrastruktur und das Wissen, auf dem zum Beispiel Google sein Geschäftsmodell aufgebaut hat, eigentlich öffentliche Güter seien – angefangen von der Kartographie bis zum städtischen Raum. „Wir müssten regulativ dafür sorgen, dass Nutzer und Nutzerinnen von Geräten und Dienstleistungen die Daten, die dabei generiert werden, nicht automatisch den Anbietern überlassen müssen, sondern sie auch transferieren können – zum Beispiel an Forschungseinrichtungen oder Stadtplaner oder die Kommune“, erklärt Schaper-Rinkel. Auf diese Weise würden die Daten automatisch nicht mehr nur zur Konsumverstärkung genutzt, sondern für vielfältige Zwecke – eine bessere Medizin oder eine bessere Verkehrsplanung. „Es ist ja so: Die Sensortechnik von heute, das sind wir alle. Und somit müssen wir entscheiden, was wir diesen Systemen zuliefern und was nicht.“
ULRIKE FELT
Univ.-Prof.in Dr.in Ulrike Felt ist Professorin für Wissenschafts- und Technikforschung an der Universität Wien, wo sie dem gleichnamigen Institut vorsteht. Sie leitet die Forschungsplattform „Responsible Research and Innovation in Academic Practice” und ist stellvertretende Leiterin des Forschungsnetzwerks Umwelt der Universität Wien.
PAULINE RIOUSSET
Dr.in Pauline Riousset ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag. Dort leitet und bearbeitet sie Projekte im Bereich Umwelt, Nachhaltigkeit und Digitalisierung.
PETRA SCHAPER-RINKEL
Univ.-Prof.in Dr.in Petra Schaper-Rinkel ist Professorin für Wissenschafts- und Technikforschung des digitalen Wandels an der Karl-Franzens-Universität Graz. Als Vizerektorin für Digitalisierung hat sie IDea_Lab, das Interdisziplinäre Digitale Labor der Universität Graz, initiiert, das sie seit 2021 leitet.
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