Unsere Wissenschaften sind von Zahlen geprägt und das Messen als quantitative Beschreibung spielt eine bedeutende Rolle. Doch wie bewerten wir wissenschaftliche Leistung überhaupt?
Ein Kommentar von Sabine Seidler
Natur- und Technikwissenschaften fußen auf einer gemeinsamen Sprache, der Mathematik. Über die Mathematik werden wir sozialisiert und lernen wir denken. Unsere Wissenschaften sind von Zahlen geprägt und das Messen, die quantitative Beschreibung von Phänomenen, spielt in unserem wissenschaftlichen Leben eine bedeutende Rolle. So ist es nicht von ungefähr, dass wir getrieben sind von dem Gedanken, alles, was möglich ist, messen zu wollen und ständig neue Methoden zu entwickeln, um diese Möglichkeiten in jede Richtung zu erweitern. Dabei ist das Messen nie Selbstzweck, sondern dient dazu, Forschungsfragen zu lösen. Wir messen z. B. die Virenbelastung im Abwasser, um verlässliche Aussagen zu SARS-CoV-2-Mutationen zu treffen. Mit hochempfindlichen Sensoren werden Umweltschadstoffe nachgewiesen, mit anderen lassen sich anhand eines Tropfens Dichte und Viskosität von Flüssigkeiten bestimmen. Für letztere gibt es ganz unterschiedliche Anwendungsbereiche: Aus der Viskosität des Maschinenöls im Motor lässt sich ableiten, ob ein Ölwechsel nötig ist. Die Viskosität des Bitumens im Asphalt verrät, ob der Asphalt erneuert werden muss. Aus der Dichte von Wein kann man ableiten, ob der Gärungsprozess richtig funktioniert hat, und die Viskosität von Blut spielt in der Medizindiagnostik eine wichtige Rolle. Eine Methode, viele verschiedene Anwendungen. Dadurch zeichnet sich Kreativität in der Wissenschaft aus. Doch wie bewerten wir wissenschaftliche Leistung überhaupt? Gerade im Bereich der Natur- und Technikwissenschaften wird auch dabei bevorzugt mit Metriken gearbeitet. Zitationsindex und Hirschfaktor bestimmen, ob wir exzellente Wissenschaftler_innen sind, d. h., wir machen unsere Bewertung wissenschaftlicher Leistung abhängig von Zeitschriften- und Publikationsmetriken. Diese Entwicklung hat so überhandgenommen, dass ein Umdenken – ganz im Sinne von Open Science – begonnen hat. Die Herausforderung ist groß, wollen wir doch unseren Anspruch, exzellente Forschung als solche zu erkennen und zu bewerten nicht aufgeben. Letztlich wird es nötig sein, die Metriken durch aussagekräftige qualitative Bewertungen zu ergänzen, um Wissenschaftler_innen und ihre Leistung angemessen zu bewerten. Die europäische Kommission hat dieses Thema in eine ihrer Aktionen zur Weiterentwicklung des europäischen Forschungsraums aufgenommen und Österreich hat sektorenübergreifend durch die Hochschulkonferenz eine Arbeitsgruppe „Karrieren in der Forschung im Kontext des europäischen Forschungsraums“ eingesetzt, die sich dieser Herausforderung stellt.
SABINE SEIDLER
O. Univ.-Prof.in DIin Dr.in Sabine Seidler wurde als erste ordentlich berufene Professorin für Nichtmetallische Werkstoffe an die Technischen Universität Wien, Fakultät für Maschinenwesen und Betriebswissenschaften berufen. Die erste Rektorin der Technischen Universität Wien steht seit Jänner 2020 der Österreichischen Universitätenkonferenz (uniko) als Präsidentin vor.
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