Der Siegeszug KI-basierter Systeme stellt viele Bildungskonzepte in Frage. Wie Schulen und Universitäten darauf antworten können, erklärt Bildungstechnologie-Experte Stefan Oppl von der Universität für Weiterbildung Krems.

Von Martin Stepanek

upgrade: Das Sprachmodell ChatGPT, das in wenigen Sekunden Aufsätze und Seminararbeiten schreiben kann, sorgt für heftige Diskussionen. Verstehen Sie die Abwehrhaltung vieler Lehrender?

Stefan Oppl: Im Hochschulbereich nehme ich das gar nicht so negativ wahr. In Arbeitsgruppen, die sich mit solchen Sprachmodellen beschäftigen, steht man diesen eher positiv gegenüber. Das mag einem gewissen Fatalismus geschuldet sein, dass man sie nicht aufhalten kann, was auch tatsächlich so ist.

 

Viele fürchten, dass bisherige Leistungsfeststellungen durch solche Werkzeuge obsolet werden. Ist das nicht problematisch?

Schon jetzt bewegen wir uns mehr in Richtung eines kompetenzorientierten Unterrichts. Das Lernergebnis sollte sein, dass die Unterrichteten handlungsfähig werden und nicht, dass sie irgendwelche Fakten stupide replizieren können. Insofern beschleunigen solche Werkzeuge auch bei der Leistungsfeststellung eine Entwicklung, die ohnehin angeraten wäre.

 

Das mag gerade auf die Naturwissenschaften zutreffen, in den Geisteswissenschaften dreht sich allerdings vieles um das Produzieren von Texten.

Die Kultur- und Geisteswissenschaften sind in der Tat stärker betroffen, weil der Umgang mit Texten dort Teil des Selbstverständnisses und eine Kernkompetenz ist. Diese Kompetenz wird es aber auch weiterhin brauchen, um einschätzen zu können, ob das, was bei ChatGPT und anderen Sprachmodellen herauskommt, tatsächlich sinnvoll oder plausibel ist.

 

Wie soll man an Schulen damit umgehen?

Das vorwissenschaftliche Arbeiten an Schulen besteht bisher darin, dass Schüler_innen aus diversen Quellen einen Text generieren. Das muss überdacht werden. In Zukunft wird es mehr darum gehen, solche Werkzeuge als neue Kulturtechnik zu verstehen. Die Aufgabe des Bildungssystems wird es sein, den Umgang damit zu lernen, und zu entscheiden, ab welchem Alter der Einsatz sinnvoll ist – wie es jetzt etwa beim Taschenrechner der Fall ist.

 

Ist das Bildungssystem auf solche Entwicklungen überhaupt vorbereitet?

Nein. Das liegt schlicht an der Geschwindigkeit, mit der technische Innovationen auftreten. Internet, Smartphone und jetzt intelligente Textgeneratoren: Was früher Generationen brauchte, kommt nun in kürzester Zeit im Alltag an. ChatGPT ist ein besonders spannendes Beispiel: Noch nie hat sich eine Technologie so schnell verbreitet, ohne dass es einen gesellschaftlichen Diskurs darüber gegeben hat, wie man damit eigentlich umgehen soll.

 

Wie erhalten Lehrende die Kompetenz, um den Umgang mit solchen neuen Technologien vermitteln zu können?

Die Ausbildung der Ausbildenden ist in der Tat die große Herausforderung. Das sieht man auch beim neuen Schulfach „Digitale Grundbildung“. Da es bislang nicht im Lehrplan verankert war, gab es auch kein Curriculum in der Lehrer_innen-Ausbildung dafür, geschweige denn Absolvent_innen. Das kommt jetzt zwar alles in Gang, bis es institutionalisiert ist, dauert es aber mehrere Jahre. Die technischen Entwicklungen passieren deutlich schneller.

 

Was ist die Lösung für dieses Dilemma?

Vielleicht die Erkenntnis, dass digitale Grundkompetenz weniger mit Technologie zu tun hat, als man glauben würde. Diese fungiert nur als Übertragungsmedium. Vielmehr geht es darum, mit Informationen und Medien umgehen und etwa kritisch hinterfragen zu können, ob es sich bei verbreiteten Texten um Fake News und andere Falschinformationen handelt. Diese Kulturtechniken fehlen uns in der digitalisierten Welt.

 

Ist das bei künstlicher Intelligenz nicht besonders schwierig, da sie oft auf intransparentem Weg zu ihrem Ergebnis kommt?

Wenn es ums Rechnen oder Programmieren geht, ist es definitiv leichter überprüfbar, ob das Ergebnis stimmt oder funktioniert. Bei einem Textgenerator ist diese Intransparenz problematisch. Lösbar ist das vermutlich nur über eine entsprechende Regulatorik und Kennzeichnung.

 

Macht künstliche Intelligenz Lehrpersonen in letzter Konsequenz obsolet?

Sowohl pädagogisch als auch technisch würde ich darauf mit nein antworten. Solche Systeme wissen zwar schon viel. Ihr Kontextfenster ist aber nicht groß genug. Wo steht ein Schüler, eine Schülerin gesamthaft? Was macht die individuelle Persönlichkeit aus, worin braucht er oder sie Unterstützung? Einer künstlichen Intelligenz fehlen dafür zu viele Informationen.

 

Was sind die Chancen neuer digitaler Werkzeuge wie ChatGPT?

Diese generativen Sprachmodelle ermöglichen erstmals eine natürliche Interaktion mit Computern und anderen Geräten. Dass Technologie bisher immer als kompliziert wahrgenommen wurde, weil man mit dem User Interface nicht zurechtkam, hat zu einer gewissen Technologieskepsis beigetragen. Die löst sich jetzt auf und könnte deutlich mehr Leute motivieren, eine technische Ausbildung einzuschlagen.

 

Wie profitieren Lehrende im Unterrichtsbetrieb von solchen Werkzeugen?

Sie können die Unterrichtsplanung deutlich erleichtern. Existierende Systeme, die an den Stundenplan gekoppelt werden, helfen nicht nur dabei, die Übersicht über den Monats- und Jahresplan zu behalten. Sie können auch auf Materialien zu Themenpools zugreifen. Mit einem Knopf bekommt man dann einen Vorschlag zur Unterrichtsvorbereitung. Das erleichtert den Arbeitsalltag massiv, ohne in die eigene Autonomie einzugreifen.

Stefan Oppl

„Sowohl pädagogisch als auch technisch macht KI Lehrpersonen nicht obsolet.“

Stefan Oppl

Die Pandemie war nicht nur für die Arbeitswelt, sondern auch für das Bildungssystem ein tiefer Einschnitt. Was bleibt von den neuen digitalen Lern- und Lehrformaten?

Technologisch gesehen gab es einen großen Sprung, was die synchrone Kommunikation über Programme wie Zoom oder Teams betrifft. Früher gab es vielleicht Skype, aber ab mehr als drei Personen im Chat wurde es schnell kompliziert. Heute laufen solche Apps auch in größeren Gruppen stabil, auch die Nutzungskompetenz ist in der Breite da.

 

Inwiefern hat die Notwendigkeit von Remote Teaching, etwa über Online-Veranstaltungen, die Lehre nachhaltig verändert?

An Universitäten wie in Krems waren die unterschiedlichen Arbeitsmodi bereits etabliert. Neben Präsenzunterricht waren Selbstlernphasen vorgesehen, die vorher und nachher auf elektronischem Weg bestritten wurden. Heute integrieren wir mehr synchrone Online-Phasen oder bieten auch eine Hybrid-Teilnahme an Lehrveranstaltungen an, sofern das didaktisch möglich ist. Für Schulen war das Ganze sicher eine größere Veränderung, völlig kalt erwischt wurden auch Anbieter klassischer beruflicher Weiterbildung, die weder über die Infrastruktur noch die Lehrkultur verfügten.

 

Welche Bereiche bleiben eine Herausforderung?

Gerade im ländlichen Bereich bleibt die Infrastruktur, etwa eine funktionierende Internetverbindung, Thema. An Hochschulen muss es für die unterschiedlichen Settings, also etwa kleinere Gruppen mit Hybridteilnahme, geeignete Räume geben. Bisher existierten formalisierte Räume für Großgruppen, in Bibliotheken lernte man leise für sich. Gerade hybride Settings erfordern aber flexible Lösungen, die niederschwellig verwendet werden können und trotzdem Ruhe und Privatsphäre bieten.

 

Welche Rolle können technische Entwicklungen wie Virtual Reality und Augmented Reality dabei spielen?

Vieles davon ist bis heute nicht ganz ausgereift und nur eine Spielerei. Was Hybrid-Settings betrifft, könnten AR und VR helfen, situationsbedingte Hürden der sozialen Interaktion abzubauen. Bei Lernmaterialien bleibe ich aber skeptisch. Da sorgt Augmented Reality vielleicht für einen kurzen Wow-Effekt, nachhaltig ist das aber nicht. Kosten und Nutzen stehen dafür einfach nicht im Verhältnis.

Stefan Oppl

„Lehrkräfte können auch auf Materialien zu Themenpools zugreifen. Mit einem Knopf bekommt man dann einen Vorschlag zur Unterrichtsvorbereitung. Das erleichtert den Arbeitsalltag massiv, ohne in die eigene Autonomie einzugreifen.“

Stefan Oppl


STEFAN OPPL
Univ.-Prof. Dipl.-Ing. Dr. Stefan Oppl, MBA ist Dekan Fakultät für Bildung, Kunst und Architektur, wo er das Department für Weiterbildungsforschung und Bildungstechnologien leitet. Oppl lehrte und forschte an der Johannes Kepler Universität Linz, an der er sich in Wirtschaftsinformatik habilitierte. Er forscht u. a. zur Interaktion zwischen Mensch und Technologie sowie zu Unterstützungsinstrumenten für kollaborative Lernprozesse.

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