Was einmal schlicht „Weiterbildung“ hieß, kann der Schlüssel sein, um die großen Herausforderungen unserer Zeit zu bewältigen. Die Universitäten spielen bei der Renaissance des Lernens eine zentrale Rolle.

Von Cathren Landsgesell

Wenn in diesem Frühjahr zehn Universitäten im Rahmen der „European University for Academic Continuing Education“ (EU.ACE) beginnen, zusammenzuarbeiten, setzt dies einen bislang einzigartigen Impuls der universitären beziehungsweise wissenschaftlichen Weiterbildung. Unter dem Dach der EU.ACE haben zehn Universitäten aus zehn europäischen Ländern eine europäische Hochschul-Allianz gebildet im Rahmen der „European Universities“ Initiative der EU-Kommission zur Förderung von zukunftsorientieren europäischen Hochschulallianzen. Den Grundstein hierfür legte die Universität für Weiterbildung Krems als Koordinatorin zusammen mit vier Partnerinstitutionen bereits im Dezember 2022. EU.ACE will, so eine Kurzfassung des Mission Statements vom November 2023, „akademische Weiterbildung als zentrales Merkmal der Universitäten auf allen Ebenen und Disziplinen selbstverständlich machen.“ Ein neues Verständnis von Weiterbildung soll mit Leben erfüllt werden.

„Das Thema lebenslanges Lernen und damit auch Weiterbildung müssen wir heute vor dem Hintergrund von tiefgehenden Veränderungen betrachten, die auch den Hochschulsektor betreffen“, erklärt Attila Pausits, der an der Universität für Weiterbildung Krems das Department für Hochschulforschung leitet. Pausits zählt auf: „Weiterbildung findet heute zunehmend auch außerhalb der etablierten Institutionen statt, informelle Bildung hat ein sehr viel größeres Gewicht als noch vor wenigen Jahren; die Geschwindigkeit, mit der sich Wissen weiterentwickelt, hat sich enorm beschleunigt; und die Komplexität von Arbeits- und Lebenswelten nimmt stetig zu.“ Für Pausits heißt dies: Um tatsächlich lebensbegleitendes Lernen zu ermöglichen, muss sich das europäische Modell von Bildung und Weiterbildung verändern und ebenso die Universitäten. Doch wie könnte dieses neue Verständnis des Lernens aussehen?

Daniela Trani

„Bildung ist heute oft noch institutionell und auch zeitlich begrenzt auf bestimmte Lebensphasen. Das entspricht nicht der Idee des Lernens im Sinne einer ständigen Entwicklung und nicht den Anforderungen moderner Gesellschaften.“

Daniela Trani

Neue Anforderungen, neue Ziele

Daniela Trani arbeitet als Policy-Director an der Universität Maastricht in den Niederlanden. Von 2018 bis März 2023 war sie an der „European Universities Initiative“ beteiligt, zunächst als Mitentwicklerin und dann als Gründungsdirektorin der „Young Universities for the Future of Europe“ (YUFE), einem Pilotprojekt der Europäischen Kommission im Rahmen des Europäischen Hochschulraums. „Bildung ist heute oft noch institutionell und auch zeitlich begrenzt: In der Biografie auf bestimmte Lebensphasen, die Ausbildung, und im Alltag auf die Zeit außerhalb der Arbeit, die Freizeit. Das entspricht aber nicht der Idee des Lernens im Sinne einer ständigen Entwicklung und nicht mehr den Anforderungen moderner Gesellschaften“, sagt sie.

Trani glaubt an eine Organisation von Bildung und Lernen, die die traditionelle Segmentierung – dort die Ausbildung und der Beruf, da die persönlichen Interessen, die in Volkshochschulkursen oder Hobby-Workshops ihren Platz haben – aufhebt und die sich auch entsprechend in der Organisation von Bildung und Lernen wiederfindet:  „Lernen bedeutet eben nicht nur, zusätzliche akademische und nichtakademische Kompetenzen und Fähigkeiten zu erwerben, sondern auch die Auseinandersetzung mit Themen, die für die Gesellschaft, in der wir leben, relevant sind: Nachhaltigkeit, Demokratie, grüne Transformation etc. Wir können keine guten Fachkräfte und keine aktiven Bürgerinnen und Bürger sein, wenn wir uns nicht ständig weiterentwickeln und auch dabei unterstützt werden.“

Neue Aufgaben für die Universitäten

Dieses Verständnis von Bildung und Lernen im Dienst des Einzelnen und der Gesellschaft findet sich auf institutioneller Ebene unter anderem in der „European Universities“ Initiative der EU-Kommission wieder. Die Initiative „Europäische Hochschulen“ adressiert neben Universitäten und Hochschulen, auch alle Bildungsträger und insbesondere zivilgesellschaftliche Akteure.

Der Anspruch der EU, das Verständnis von Bildung und Lernen entsprechend zu erweitern, steht allerdings im Gegensatz zu einer Realität, die auch aus Sicht von Attila Pausits immer noch stark an der Segmentierung festhält: „Lernen findet heute ja bereits nicht nur Kursen, Workshops, Seminaren und dergleichen, sondern latent und permanent im Leben, statt. Dies muss auch in den formalisierten Lehr- und Lernprozessen berücksichtigt werden“, sagt Pausits. Außerhalb von renommierten Institutionen erworbene Kenntnisse, Fähigkeiten und Erfahrungen haben dabei den Nachteil, dass eine formelle Anerkennung oft schwierig ist, weil EU-weite Standards fehlen. Das gilt insbesondere für informelles Lernen. „Da gibt es strukturelle Defizite bei der Validierung und auch Zertifizierung“, sagt Pausits, der in diesem Bereich eine der zukünftigen Aufgaben von Universitäten sieht. „Es gilt, die zwei Welten der Erwachsenenbildung und der wissenschaftlichen Weiterbildung zu verbinden. Das bedeutet, die jeweiligen Lernergebnisse von Kursen Kompetenzen-orientiert zu beschreiben, zu dokumentieren und entsprechend zu zertifizieren, damit Weiterbildungen auch anerkannt werden können. Lernergebnisse müssen so formuliert werden, dass sie auch validiert werden können.“

Auf die Validierungsproblematik hat die EU ansatzweise mit dem Konzept der Micro-Credentials reagiert. Seit Sommer 2022 liegt eine Empfehlung des Rates der Europäischen Union dazu vor. Micro-Credentials sind Kompetenznachweise, die zu höheren Qualifikationen wie einem Bachelor- oder Masterabschlüssen kombiniert werden können. Im Konzept der sich konstituierenden neben dem Austausch von Studierenden und Personal sowie gemeinsamen Abschlüssen und Programmen eines der ersten gemeinsamen Ziele.Hochschulallianz EU.ACE sind die Entwicklung von Micro-Credentials

Die neue Rolle des Lernens

Um einem ganzheitlichen Verständnis der Bildung und des Lernens gerecht zu werden und der tatsächlichen Realität heutigen Lernens zu entsprechen, sollten Hochschulen außerdem versuchen, Metakompetenzen zu schulen, meint Pausits. „Das ist klassisch die Fähigkeit zu vermitteln, wie man lernt, aber auch Fähigkeiten zu fördern, die helfen, die eigenen Kompetenzen einzuschätzen und in der Weiterbildung die richtigen Entscheidungen zu treffen.“

Immer mehr Unternehmen in den Niederlanden versuchen, ihren Mitarbeiter_innen mehr Zeit für Bildungsaktivitäten zu geben – auch wenn diese nicht unmittelbar mit dem Beruf zu tun haben, berichtet Trani. „Dass Weiterbildungen dazu beitragen, dass es Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gut geht, ist wohl den meisten Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern bewusst. Ein großes Problem ist allerdings, dass wir im Arbeitsleben generell oft nicht genug Zeit zum Nachdenken, Innehalten und Lernen haben. Das ist aber essenziell, um kreativ und innovativ zu sein“, so Trani.

Bei der Weiterbildung geht es nicht nur um individuelles Wohlergehen und Selbstverwirklichung. Weiterbildung hat vielmehr eine positive Wirkung auf die gesamte Gesellschaft: „Wenn Menschen neben der Arbeit Zeit haben, neue Fähigkeiten zu lernen, erhöhen sie die Mobilität zwischen den Sektoren. Eine Krankenschwester zum Beispiel, die die Möglichkeit hat, in einem Kurs zu unterrichten, wird vielleicht feststellen, dass es ihr Spaß macht und sie ein Talent als Lehrerin hat.“ Dieser Gedanke ist beispielsweise auch bei der EU Skills Agenda tragend. In dieser spielt intersektorale und interdisziplinäre Weiterbildung eine zentrale Rolle.

Der Generationenwechsel in der Arbeitswelt könnte dazu beitragen, dass Weiterbildung und Lernen künftig automatisch eine noch größere Rolle spielen, weil jüngere Menschen andere Erwartungen an Studium und Ausbildung haben, die eher auf permanente (auch wissenschaftliche) Weiterentwicklung abzielen, wie aus der Shell-Jugendstudie 2019 hervorgeht. Das damit verbundene Verständnis von Lernen und Bildung ist besser angepasst an eine sich schnell verändernde Gesellschaft. „Dass man sich nur aus ganz zielgerichteten Nützlichkeitserwägungen weiterbildet, war ja in Reinform noch nie der Fall“, so Pausits. „Es geht immer auch um Neuorientierung und damit Öffnung für neue Fähigkeiten und Tätigkeiten. Das ist dann eine Neuorientierung, die auch die Bildungsorganisation verändert und gesamtgesellschaftlich passiert. Aber alles in kleinen Schritten.“


DANIELA TRANI

Dr.in Daniela Trani ist Policy-Director der Universität Maastricht. Zuvor war sie Gründungsdirektorin der Young Universities for the Future of Europe (YUFE) Alliance. In dieser Funktion koordinierte Daniela Trani Strategie, Politik und öffentliche Angelegenheiten einer der ersten europäischen Universitäten, die den Weg für die Entwicklung der Universitäten der Zukunft ebnete.

ATTILA PAUSITS
Univ.-Prof. Dkfm. Dr. habil Attila Pausits ist Leiter des Departments für Hochschulforschung der Universität für Weiterbildung Krems und des dortigen Zentrums für Bildungsmanagement und Hochschulentwicklung. Er ist außerdem Vorsitzender des European Higher Education Society (EAIR) und Akademischer Leiter des Erasmus Mundus Master Programms Master in Research and Innovation in Higher Education.

LINK

Artikel dieser Ausgabe

Zum Anfang der Seite