Überfischung, Klimakrise, Plastikmüll im Meer: Darf man Fisch noch essen? Nicht jeden Tag. Aber wer für Qualität bezahlt, unterstützt nachhaltige Bewirtschaftung, die auch auf Menschen achtet.
Von Astrid Kuffner
Fische, die in Österreich gegessen werden, stammen aus allen Weltmeeren. In einem Binnenland wenig überraschend zeigt das aber, wie global das Fischereigeschäft ist. Rund 70.000 Tonnen werden pro Jahr nach Österreich importiert. Die Kaufentscheidung über jene im internationalen Vergleich eher geringen 13,3 Kilo Fisch (laut Food and Agriculture Organisation), die pro Kopf und Jahr hierzulande verspeist erden, hat Auswirkungen weltweit. Die Zahlen hat Meeresbiologe Axel Hein, seit zehn Jahren beim WWF, im Kopf. Er ist Mitverfasser des Fischratgebers“, in dem Speisefische nach ihrer Herkunft aus Aquakultur oder Wildfang gegliedert und mit Ampelsystem gekennzeichnet werden. Für jede Auflage werden Fischart, Fanggebiet und Fangmethode neu bewertet, um die Nachhaltigkeit zu beurteilen. Für gefrorenen, verpackten, aber auch frischen Fisch empfiehlt der WWF zertifizierte Ware (MSC, ASC, EU-Bio-Siegel), obwohl gerade am Marine Stewardship Council immer wieder Kritik laut wird. Nur rund 15 Prozent der Fischereien weltweit sind zertifiziert, oder auf dem Weg dorthin. Der Rest lässt sich gar nicht in die Karten schauen. Geschätzt werden rund 10 Prozent der Fischimporte in die EU, 500.000 Tonnen jährlich, illegal, unreguliert und undokumentiert gefangen. Handlungsbedarf ist jedenfalls gegeben, sind doch global 33 Prozent der Bestände überfischt und 60 Prozent bis an die Grenze befischt. Im Mittelmeer sind 93 Prozent der Fischbestände ausgereizt, weshalb auch die Urlaubsländer am Mittelmeer mehr als vier Fünftel des Fisches, den sie konsumieren, importieren (Quelle: WWF).
Wie und wo Fisch gefangen wurde, hat Auswirkungen auf Umwelt, Gleichberechtigung, Wirtschaft, Menschen und Klima, beschreibt es „Fish Forward“, die gemeinsame Kampagne von WWF, Europäischer Union und Environmental Justice Foundation. Illegale Fischerei, Überfischung bedingt durch zu viele Boote und fehlgesteuerte Subventionen, zerstörerische Fangmethoden und insgesamt zu viel Beifang, inklusive Schildkröten, Haien, Delfinen, Walen oder Seevögeln, gefährden Fischbestände, Ökosysteme, Nahrungsnetze UND Menschen. Für ihr Auskommen sind entlang der Produktionskette 800 Millionen auf Fischfang angewiesen. Für rund drei Milliarden Menschen ist Fisch die Hauptproteinquelle. Gerade Menschen in Entwicklungsländern fangen oder produzieren den Großteil des Fischs, den wir essen. Nachhaltiger Fisch unterstützt also Meere und Menschen auf der ganzen Welt. Da darf man sich ruhig Zeit für eine Beratung mit der Einkaufshilfe nehmen.
Nach Weihnachtskarpfen ist Schluss
4.000 Tonnen Fisch werden pro Jahr in Österreich produziert. Vor allem Karpfen und Forelle, doch auch der afrikanische Wels gewinnt an Bedeutung. Der Fish Dependance Day ist jener Tag im Jahr, ab dem Österreich auf Importe angewiesen ist. Er fällt alljährlich auf Mitte Jänner. Drei Wochen nach dem Weihnachtskarpfen ist im Land der Flüsse und Seen Schluss. „Fischerei hat in Österreich einen geringen Stellenwert. Über die wenigen Berufsfischer mit langer Tradition bin ich aber sehr froh, denn sie wissen genau, was sie tun“, erklärt Axel Hein. Während beim Wildfang kein Wachstum mehr möglich ist, könnte die Zucht zulegen und mit Innovationen bei Futtermitteln und Filtern punkten. Es gibt noch Luft nach oben, wie eine aktuelle Potenzialanalyse zur Forellenzucht der Universität für Bodenkultur zeigt. Geeignete Anlagen bauen sich aber nicht von heute auf morgen.
Viele beliebte Speisefische sind Räuber: Lachs, Zander, Hecht, Forelle, Saibling. In der Zucht bekommen sie daher Fischmehl und Fischöl gefüttert, die ebenfalls aus dem Meer geholt werden. Beim Zuchtlachs ist die fish-in fish-out ratio knapp über eins zu eins. Vor ein paar Jahren waren vier Kilo Wildfischfutter für ein Kilo Lachs die Regel. Bei Bioforelle und Biosaibling aus Österreich wird das Futter aus Fischresten hergestellt, denn das Filet ist ja nur die Hälfte eines Fischs. Axel Hein besichtigt weltweit Zuchtanlagen. Sein Fazit: Das Gros der Aquakulturen ist Massentierhaltung, die je nach Umsetzung von Kriterien dennoch verantwortungsvoll sein kann. Tierwohl steht global nicht im Fokus, wird aber am heimischen Markt immer wichtiger. Es gibt gut gemanagte Aquakulturen mit Goldbrasse und Wolfsbarsch am Mittelmeer, deren Umweltauswirkungen gering sind. Das Ideal für Österreich ist aber „der Waldviertler Karpfen – wenn auch nur in begrenzten Mengen“, so Hein.
Auch Fische mögen Vielfalt
Libor Zavorka, Fisch-Verhaltensbiologe am WasserCluster Lunz und an der Universität Glasgow, beschäftigt sich mit dem Zusammenspiel von Futter, Gehirnentwicklung und Verhalten bei Lachs (Salmo salar) und Bachforelle (Salmo trutta). Er erarbeitet damit wichtiges Wissen für die Fischzucht und das Management der Fischteiche. Manche der von Zavorka beforschten Fische interagieren nicht nur mit eigenen Artgenossen, sondern auch über Artgrenzen hinweg, etwa für die Jagd. Auch die Effekte invasiver Arten auf Ökosysteme interessieren ihn. Die Ausbreitung von Karpfen hat global gesehen negative Auswirkungen. Nicht nur beim Konsum ist Differenzierung bei Fischen, dem artenreichsten Stamm der Wirbeltiere, Pflicht. Karpfen ist nicht gleich Karpfen und erfordert die Nennung von konkreten Arten. Der Biologe nennt Vielfalt und Komplexität die Grundprinzipien stabiler Fisch-Gemeinschaften. Das gilt es auch beim Teichmanagement zu beachten, wobei er „keine unüberwindlichen Probleme sieht“. Der Europäische Karpfen (Cyprinus carpio) wühlt auf der Suche nach Larven und Schnecken im Sediment und befördert Nährstoffe aus dem Schlamm in die Wassersäule. So werden diese für andere Arten verfügbar und die Produktivität des Ökosystems steigt. Monokulturen sind auch im Teich ein Problem. Wer nur eine Karpfenart im Teich hält und Nährstoffe zuführt, dosiert leicht über und bringt weitere Wasserökosysteme in Gefahr. Wenn aber zusätzlich Graskarpfen (Ctenopharyngodon idella) im selben Teich weiden, Rotaugen (Rutilus rutilus) im Wasserkörper Plankton fressen und Zander (Sander lucioperca) kleine Fische fressen, dann sieht die Sache schon anders aus. Nachhaltige Aquakultur unterstützt lebendige Ökosysteme, wobei flankierende Maßnahmen notwendig sind. Etwa Jungfische erst einzusetzen, wenn sie aus der Maulgröße der Räuber herausgewachsen sind.
”
„Vielfalt und Komplexität sind die Grundprinzipien stabiler Fisch-Gemeinschaften auch im Fischteich.“
Libor Zavorka
Wenn Karpfen mehr schwimmen, bekommen sie muskulöses statt fettes Fleisch. Viele Menschen schätzen das heute und durch fachgerechtes Schröpfen fällt auch das Gräten-Argument weg. Als Feuchtlebensräume sind Fischteiche ebenfalls wertvoll, weil sie in Europa selten geworden sind. Der Übergang von Wasser zu Festland mit seinen Lebensräumen steht für Amphibien, Wasservögel und Insekten kaum mehr zur Verfügung. In Österreichs Fließgewässern haben es Fische aber schwer – auch mit der Nachkommenschaft. Ihr Lebensraum ist meist verbaut, begradigt, beschleunigt, falsch besetzt und viele Fischaufstiegshilfen funktionieren nicht richtig.
Fisch als gesundes Lebensmittel
Vor allem durch seine der menschlichen Gesundheit zuträglichen Fette gilt Fisch generell als gesundes Lebensmittel. Übersehen werden darf dabei aber nicht, dass viele der von Menschen in die Umwelt emittierten Stoffe aber den Fisch wieder auf unseren Tellern landen. Dazu zählt unter anderem das Neurotoxin Methyl-Quecksilber, das sich insbesondere in großen Räubern wie Schwertfisch, Hai und großen Thunfischen hoch anreichern kann. Auch Mikroplastik wurde als Nahrungsquelle von Fischen bereits nachgewiesen. Da Fische ausgenommen werden, ist nur mit extrem geringer Aufnahmemenge zu rechnen. Informationen zu gefundenen Belastungen finden sich in den Berichten der Agentur für Ernährungssicherheit (AGES). Eine Empfehlung, Seefisch oder heimische Kaltwasserfische in der Größenordnung von ein bis zwei wöchentlichen Portionen zu essen, gibt die AGES dennoch ab, denn die Vorteile von Fisch gegenüber anderem Fleisch sind ernährungswissenschaftlicher Status quo. Auch wenn Fisch kein Alltagsessen darstellt, ist er neben stark pflanzenbasierter Ernährung wichtiges Element gesunder Ernährung. Mit Blick auf die problematischen Umweltauswirkungen konventioneller Importware ist heimischer Bio-Fisch das Beste, was man kaufen kann. Im Vergleich zu den Portugiesen, mit knapp 57 Kilo Europas Spitzenverbraucher von Fisch, sind die Österreicher keine großen Fischliebhaber. Jene, die sich hierzulande für Fisch überhaupt nicht erwärmen können, müssen auf die gesunden Omega-3-Fettsäuren aber nicht gänzlich verzichten: Auch Leinöl, Walnussöl und Rapsöl enthalten hohe Mengen der sonst im Fisch vorkommenden gesunden Fette.
AXEL HEIN
Axel Hein ist Leiter des Konsum und Ernährungsprogramms des WWF Österreich mit Schwerpunkt Fisch und Meeresfrüchte und deren nachhaltige Beschaffung. Hein studierte Meeresbiologie an der Universität
Salzburg.
LIBOR ZAVORKA
Libor Zavorka, Ph.D. ist Fisch-Verhaltensbiologe. Er arbeitet an der University of Glasgow | UofG Institute of Biodiversity, Animal Health, and Comparative Medicine und forscht u. a. am WasserCluster Lunz. Zavorka studierte Ökologie an der Karls-Universität Prag.
LINKS
Weitere Artikel dieser Ausgabe
Tags