In Zeiten von Klimawandel und wachsender Weltbevölkerung gerät die Wasserversorgung unter Druck. Wie lässt sich die lebenswichtige Ressource langfristig sichern?
Von Tanja Traxler
Wer aus dem All einen Blick auf die Erde richtet, sieht vor allem eines: Wasser. Sehr viel Wasser. Zwei Drittel der Erdoberfläche sind davon bedeckt – der Name „Blauer Planet“ kommt nicht von ungefähr. Doch auf diesem unseren Blauen Planeten ist ausgerechnet Wasser zur raren Ressource geworden. Wie kann das sein? Was außerirdische Beobachter nicht sehen können: Rund 97,4 Prozent des Wassers auf der Erde sind Salzwasser. Von den bescheidenen Süßwasservorkommen unseres Planeten ist der Großteil in Eis und Schnee gebunden oder in tiefen Gesteinsschichten eingeschlossen. So sind nur 0,3 Prozent des Süßwassers der Erde für den Menschen in Flüssen, Seen, Böden und der Atmosphäre zugänglich und nutzbar. Dieses Wasser ist ständig in Bewegung und hat in seinen Dynamiken seit jeher den Rhythmus für Gedeih und Verderb der Pflanzen- und Tierwelt vorgegeben. Eine neue Entwicklung am Blauen Planeten ist, dass eine einzige Spezies, nämlich Homo sapiens, die Geschehnisse in planetaren Maßstäben prägt. Aus diesem Grund überlegen Wissenschafter bereits, das aktuelle Erdzeitalter nach dem Menschen zu benennen: Anthropozän. Die menschlichen Eingriffe betreffen zentral das Wasser. „Fast alle Folgen des Klimawandels geschehen über Wasser“, sagt Dieter Gerten, Koordinator für Erdsystemanalyse am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung und Professor für Klimasystem und Wasserhaushalt im Globalen Wandel an der Humboldt-Universität zu Berlin.
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„Fast alle Folgen des Klimawandels geschehen über Wasser.“
Dieter Gerten
Eines der Antlitze des Anthropozäns zeigt sich in der zunehmend beschleunigten Entnahme von Wasser aus den jahrtausendealten Kreisläufen. So ist der weltweite Wasserverbrauch zwischen 1900 und 2010 fast um das Siebenfache gestiegen – allerdings mit großen lokalen Unterschieden. Während ein Österreicher heute im Durchschnitt rund 130 Liter Wasser pro Tag verbraucht – international betrachtet ein bereits eher niedriger Wert –, haben etwa 2,1 Milliarden Menschen weltweit zuhause gar keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser. Da Wasser die Grundlage für jede Form von Leben ist, gelten die Wasserkrisen als eines der größten globalen Risiken für Gesellschaft und Wirtschaft. Zu wenig oder zu viel Wasser zerstören Ernteerträge, vernichten die Lebensgrundlage von Flora und Fauna und machen ganze Landstriche für Menschen unbewohnbar. Wasserengpässe und Nahrungsmittelknappheit sind untrennbar miteinander verbunden und beide Probleme können nicht gelöst werden, wenn es uns nicht gelingt, den gordischen Knoten zu durchschlagen, wie wir uns in Zukunft an den Klimawandel anpassen können.
40 Prozent mit hohem Wasserstress
Laut einer Prognose der Vereinten Nationen werden im Jahr 2050 über 40 Prozent der Weltbevölkerung in Gebieten mit hohem Wasserstress leben. 2012 wurden von den UN-Mitgliedsstaaten 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung beschlossen, die bis 2030 erreicht werden sollen. Neben Vorhaben wie der Bekämpfung von Armut und der Sicherung der Ernährung betreffen zwei Ziele der Vereinten Nationen auch konkret den Umgang mit den Wasserressourcen: In den kommenden zehn Jahren sollen Wasser und Sanitärversorgung für alle Menschen erreicht werden. Außerdem sollen die Bewahrung und nachhaltige Nutzung der Ozeane und Meeresressourcen sichergestellt werden.
Doch reichen die UN-Entwicklungsziele aus, um die Wasserversorgung für Menschen und den Schutz von marinem Leben in Zukunft sicherzustellen? „Meiner Meinung nach sind die Ziele klar und konkret formuliert“, sagt Jan Steckel, der die Arbeitsgruppe zu Klima und Entwicklung am Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change (MCC) in Berlin leitet. „Doch woran es hapert, ist die Umsetzung der Ziele in nationale Politikinstrumente.“
Um die Entwicklungsziele zu erreichen, ist für Martin Kainz, Limnologe am WasserCluster Lunz der Donau-Universität Krems, der Universität Wien und der Universität für Bodenkultur Wien, entscheidend, stärker in Ökosystemen zu denken und auf Ökosystemleistungen zu setzen. Es geht dabei um jene Leistungen, die intakte Ökosysteme vollbringen, ohne dass menschliche Eingriffe notwendig sind. Als Beispiel dafür nennt Kainz Keimbelastungen: „Wenn Wasser durch eine Jauchegrube fließt, können wir es nicht trinken, weil die Keimbelastung zu hoch ist. Wenn allerdings ein intaktes Ökosystem vorhanden ist, spielen sich im Boden Prozesse ab, die dazu bei tragen, das Wasser wieder trinkbar zu machen.“
Wasserkrise durch Klimawandel
Die Herausforderungen, um Zugang zur Grundressource Wasser sicherzustellen, sind teilweise lokal sehr spezifisch gelagert. Man denke beispielsweise an Umweltverschmutzungen, die das Grundwasser lokal verseuchen. Andere Wasserkrisen spielen sich wiederum in globalen Maßstäben ab – zunehmende Wetterextreme mit Dürren und Überflutungen beispielsweise. Bei den globalen Wasserkrisen spielt der Klimawandel die zentrale Rolle – die Zukunft der Wasserversorgung hängt daher von unseren Anstrengungen ab, die Erderwärmung doch noch auf ein verträgliches Maß von 1,5 Grad Celsius gegenüber dem vorindustriellen Zeitalter zu begrenzen. „Jedes weitere Jahr, das ohne erkennbare globale Emissionsminderung von Treibhausgasen vergeht, erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass kommende Generationen mit mehr chronischen oder akuten Verknappungen bzw. zunehmenden Unwägbarkeiten des Wasserdargebots werden umgehen müssen“, schreibt Gerten in seinem Buch „Wasser: Knappheit, Klimawandel, Welternährung“ (C.H. Beck, 2018).
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„Wenn ein intaktes Ökosystem vorhanden ist, spielen sich im Boden Prozesse ab, die dazu beitragen, das Wasser wieder trinkbar zu machen.“
Martin Kainz
Die Herausforderung, in Sachen Klimawandel aktiv zu werden, besteht für Sigrid Stagl, Leiterin des Instituts für Ökologische Ökonomie an der Wirtschaftsuniversität Wien, darin, dass sich die gegenwärtigen Veränderungen „nicht riechen lassen, es stehen auch keine Soldaten vor unseren Türen“. Der Klimawandel ist zwar ein „wissenschaftlich tausendfach abgesichertes Wissen“, aber er ist nicht direkt greifbar. „Aufgrund dieser Problemlage haben wir die Illusion, wir könnten uns aussuchen, ob wir jetzt etwas tun oder nicht“, sagt Stagl. „Diese Wahl haben wir aber tatsächlich nicht, und je länger wir mit den Veränderungen warten, umso größer wird die Herausforderung.“
Größter Nutzer Landwirtschaft
Der enorme Verbrauch von Wasser ist eng mit der Produktion von Nahrungsmitteln verbunden. Denn der größte Wasserverbraucher weltweit ist die Landwirtschaft und angesichts der wachsenden Weltbevölkerung ist nicht abzusehen, dass der agrarische Wasserverbrauch in Zukunft sinken wird.
Auch die Sicherung der Ernährung der Weltbevölkerung steht auf der Agenda der nachhaltigen Entwicklungsziele. Einerseits soll also möglichst wenig Wasser verbraucht werden. Andererseits aber muss die wachsende Weltbevölkerung ernährt werden. Bei derartigen Zielkonflikten sprechen Forscher von „Trade-offs“. Als Beispiel nennt Steckel Zielkonflikte zwischen Klimapolitik und Landwirtschaft: Wenn man das 1,5-Grad-Ziel erreichen will, ist es notwendig, Emissionen aus der Atmosphäre zu entziehen. Das sei beispielsweise durch den großflächigen Anbau von Biomasse möglich, die CO2 in großem Stil bindet. „Damit würde man aber in Konflikt treten mit Anbauflächen, die man anderweitig landwirtschaftlich für die Produktion von Nahrungsmitteln braucht“, sagt Steckel.
Zwischen wirtschaftlichem Aufschwung und Klimaschutz sind Interessenkonflikte offenkundig. „Wir haben in der Vergangenheit gesehen, dass alle Länder, die wirtschaftlich gewachsen sind, zunächst auf fossile Energieträger gesetzt und damit ihren CO2-Ausstoß erhöht haben“, sagt Steckel. Das hat sich in der Vergangenheit an Ländern wie Großbritannien, den USA oder Deutschland gezeigt und wiederholt sich aktuell bei Entwicklungs- und Schwellenländern. „Auf der einen Seite freuen wir uns natürlich, wenn asiatische oder afrikanische Länder wirtschaftlich Fahrt aufnehmen“, sagt Steckel. „Auf der anderen Seite stehen diese Länder natürlich am Scheideweg, mit welchen Energiesystemen sie in Zukunft operieren möchten.“ Immer noch werden weltweit viele Kohlekraftwerke gebaut und in Betrieb genommen – was die Emissionsraten klarerweise noch zusätzlich in die Höhe treibt.
Die Idee, dass man gleichzeitig Wirtschaftswachstum erzielen kann und dabei weniger Treibhausgase verursacht, sei „in der kurzen Zeit, die wir jetzt noch haben, sehr schwer vorstellbar“, sagt Umweltökonomin Stagl. Deswegen müsse man nachdenken, wie man Arbeitsmarkt, Pensionssystem und Sozialversicherung nachhaltiger gestalten kann, um die Klimakrise nicht noch weiter zu befeuern.
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„Wir haben die Illusion, wir könnten uns aussuchen, ob wir jetzt gegen den Klimawandel etwas tun oder nicht.“
Sigrid Stagl
Andererseits ist es den Forschern wichtig zu betonen, dass es neben den Trade-offs auch Synergieeffekte zwischen verschiedenen Entwicklungszielen gibt. Als Beispiel nennt Steckel die engen Zusammenhänge zwischen Klimaschutz und Gesundheit: Wenn Kohlekraftwerke stillgelegt und nachhaltige Antriebstechnologien im Verkehr eingesetzt werden, vermindert sich dadurch auch die Luftverschmutzung, die in vielen Städten wie Delhi oder Peking ein enormes Gesundheitsproblem darstellt.
Damit sich solche Synergieeffekte entfalten können, ist die Finanzierung von Klimaschutz essenziell. „Es ist unglaublich schwer, immer gegen den Markt zu arbeiten, wenn es um Klimaschutz geht“, sagt Steckel. Auch aus diesem Grund sei eine Bepreisung von Klimagasen wünschenswert. „Die Schäden, die mit dem Emittieren von CO2 verbunden sind, werden aktuell für die Investoren und andere Marktteilnehmer überhaupt nicht sichtbar.“ Es brauche daher einen CO2-Preis in der Größenordnung von anfänglich 35 bis 70 Euro pro Tonne CO2, der mit der Zeit steigt. Bei der Einführung so einer Bepreisung sei es wichtig, die ärmsten Teile der Bevölkerung zu entlasten, damit der zu erwartende Preisanstieg sozial verträglich bleibt, betont Steckel.
Klimagase bepreisen
Um künftige Ressourcenengpässe zu vermeiden, haben österreichische Klimaforscher einen Plan mit Maßnahmenbündeln formuliert. Einer der wichtigsten Punkte betrifft die Bepreisung von Klimagasen. Das sei entscheidend, um den herausfordernden Prozess gut zu gestalten, „sodass wir letztlich eine gute Chance haben, eine Steigerung des menschlichen Wohlbefindens für die Bevölkerung zu schaffen, indem wir gleichzeitig innerhalb des 1,5-Grad-Ziels bleiben“, sagt Stagl.
Ein CO2-Preis muss nicht in Konkurrenz zu anderen Entwicklungszielen stehen. Im Gegenteil hat eine Studie von Steckel und Kollegen zuletzt gezeigt, dass die Einnahmen durch einen CO2-Preis für die meisten Entwicklungs- und Schwellenländer ausreichen würde, um das Erreichen der anderen UN-Entwicklungsziele zu finanzieren.
Auch für Martin Kainz gehen Klimaschutz und soziale Politik Hand in Hand: „Man kann die beiden nicht gegeneinander ausspielen.“ Klimaschutz könne nur gelingen, wenn man gemeinsam anpackt, und dabei seien vielleicht auch drastische Maßnahmen notwendig. „Beim Autofahren war es so, dass irgendwann die Gurtenpflicht eingeführt worden ist, später hat man das Alkohol-Limit am Steuer gesenkt. Das wurde als sinnvoll akzeptiert“, sagt Kainz. „Wir werden uns ernsthaft überlegen müssen, wie wir sicherstellen, dass wir auch in Zukunft sicheres Wasser haben.“ Da Wasser die Lebensgrundlage schlechthin ist, ist für Kainz klar: „Wir müssen etwas tun.“ Nachsatz: „Leider wissen wir auch, dass wir
Menschen oft nur dann tätig werden, wenn es vorgeschrieben wird.“
Für Wasserforscher Gerten ist es entscheidend, über Klimawandel, Naturschutz und Wasserknappheit gemeinsam nachzudenken. „Das macht die Dinge nicht einfacher, weil es einen noch sehr viel umfassenderen Blick auf den Planeten Erde bedeutet – aber der ist notwendig.“
Tanja Traxler ist Wissenschaftsredakteurin bei der Tagezeitung „Der Standard“.
DIETER GERTEN
Prof. Dr. Dieter Gerten ist Koordinator für Erdsystemanalyse am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung und Professor für Klimasystem und Wasserhaushalt im Globalen Wandel an der Humboldt-Universität zu Berlin.
MARTIN KAINZ
Priv.-Doz. Dr. Martin Kainz leitet die Forschungsgruppe LIPTOX am WasserCluster Lunz. Der Limnologe studierte Landschaftsökologie an der Universität Wien und promovierte an der Université du Québec à Montréal, Kanada, in Umweltwissenschaften.
SIGRID STAGL
Univ.-Prof. Dr. Sigrid Stagl ist Leiterin des Instituts für Ökologische Ökonomie an der Wirtschaftsuniversität Wien. Sie befasst sich u. a. mit Umweltökonomie und den Zusammenhängen zwischen Klima und Energie. Stagl studierte Betriebswirtschaft und Volkswirtschaft an der Wirtschaftsuniversität Wien.
JAN STECKEL
Dr. Jan Steckel leitet die Arbeitsgruppe zu Klima und Entwicklung am Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change (MCC) in Berlin.
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